Die Ampel hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Rechte von trans*Personen zu stärken – für den Gesetzentwurf zur Selbstbestimmung gibt es von vielen Seiten Kritik.Bild: IMAGO/NurPhoto / Wlktor Szymanowicz
Deutschland
Jeder Mensch in Deutschland soll seinen Namen und sein Geschlecht selbst festlegen können – auch mithilfe eines vereinfachten Verfahrens beim Standesamt. Das zumindest war der Plan der Ampel-Regierung, auf den sie sich in ihrem Koalitionsvertrag geeinigt hat. Den Entwurf zum neuen "Selbstbestimmungsgesetz" gibt es jetzt.
Geplant ist, dass der Entwurf noch vor der Sommerpause dem Kabinett vorgelegt wird. Danach muss er durch Bundestag und Bundesrat. Das Papier ist mittlerweile auch an die Öffentlichkeit gelangt – und wird nicht nur von konservativen und rechten Akteur:innen kritisiert. Betroffene fürchten sich nämlich, dass sich ihre Situation dadurch weiter verschlechtert.
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Gesetzentwurf mit einer Reihe Sonderregelungen
Das Gesetz richtet sich laut Familien- und Justizministerium an transgeschlechtliche, intergeschlechtliche und nicht-binäre Menschen. Dem bisherigen Transsexuellengesetz liege ein "medizinisch veraltetes, pathologisierendes Verständnis von Transgeschlechtlichkeit" zugrunde, heißt es in der Begründung zum Gesetzentwurf.
Künftig soll für eine Änderung des Geschlechtseintrags niemand mehr ein Gerichtsverfahren durchlaufen müssen oder ärztliche Bescheinigungen und Sachverständigengutachten benötigen. Es reicht eine einfache Erklärung beim Standesamt. Es gibt aber auch eine Reihe an Sonderregelungen.
Die Ministerien von Lisa Paus (Grüne) und Marco Buschmann (FDP) sind am Gesetzentwurf maßgeblich beteiligt.Bild: dpa / Kay Nietfeld
Zum Beispiel sollen biologische Männer im Verteidigungsfall nicht durch Änderung ihres Geschlechtseintrags einer möglichen Einberufung entgehen können. Weitere Sonderregelungen und Klarstellungen gibt es etwa mit Bezug auf Sport, Wettkämpfe, Umkleideräume, den Strafvollzug oder Quotenregelungen in Unternehmen.
Konservative Kritik reibt sich bereits am Namen des Gesetzes
Das Gesetz wird von konservativer Seite und von rechts kritisiert. Bereits der Name "Selbstbestimmungsgesetz" suggeriere, dass geschlechtliche Identität für alle jederzeit frei wählbar sein müsse, hieß es zuletzt von CDU und CSU. Die stellvertretende AfD-Fraktionsvorsitzende Beatrix von Storch hatte das Vorhaben als "Schlag ins Gesicht von Frauen, die sich mit Männern auseinandersetzen müssen, die sich selbst als Frauen definieren" bezeichnet.
Geäußerte Befürchtungen, dass sich cis-Männer nun mit bösen Hintergedanken zu Frauen erklären könnten, tritt der Gesetzentwurf mit Klarstellungen entgegen: Durch das Gesetz entstehe kein Anspruch auf Zugang zu geschützten Räumen. Das private Hausrecht bleibe unberührt. Bei Haftanstalten müsse sich die Unterbringung von Strafgefangenen nicht allein am Geschlechtseintrag orientieren, heißt es.
Brockschmidt sieht mit Entwurf Anti-trans-Propaganda rechtlich gestützt
Aber nicht nur die konservativen und rechten Kritiker:innen sind mit dem Gesetzentwurf offensichtlich unzufrieden. Sondern auch weite Teile der Queercommunity und ihren Unterstützer:innen. Sie fürchten sogar, dass sich die Situation für trans*Personen weiter verschlechtern könnte.
Ein Twitter-User regt sich beispielsweise um die Fristen auf, die das Standesamt für die Änderungen weiterhin benötigt:
"Unfun fact: Wenn ihr heiraten und dabei den Nachnamen ändern wollt, bekommt ihr Unterlagen, um den neuen Perso rechtzeitig auf den Weg zu bringen. Abholen könnt ihr den dann mit der Heiratsurkunde ein Tag nach Hochzeit. Versus drei Monate Rückhaltefrist im Selbstbestimmungsgesetz."
Der neue Name oder Geschlechtseintrag soll drei Monate nach Abgabe der Erklärung gelten, heißt es im Gesetzentwurf, bis dahin kann die Änderung auch noch zurückgenommen werden.
Andere User:innen kritisieren, dass durch die Sonderregelungen das geplante Selbstbestimmungsgesetz zu einem FREMDbestimmungsgesetz würde. "Wie könnt ihr sowas als Fortschritt verkaufen, Sven Lehmann und Lisa Paus?", fragt Userin "Lilischote". Lehmann (Grüne) ist der Queer-Beauftragte der Bundesregierung und nennt den Gesetzentwurf "einen entscheidenden Schritt weiter".
Die Autorin Annika Brockschmidt geht mit ihrer Kritik sogar noch einen Schritt weiter. "Im Selbstbestimmungsgesetz wird anti-trans Propaganda eine rechtliche Legitimationsgrundlage gegeben, indem Ausnahmen geschaffen werden, die auf der Lüge basieren, dass trans Frauen eine Gefahr für cis Frauen seien", schreibt sie auf Twitter. So werde mit dem neuen Gesetzentwurf die rechtliche Lage von trans*Frauen sogar weiter verschlechtert.
Grünen-Politikerin Cornelia Kost schreibt in einem Tweet, was dieser Gesetzentwurf bei einer Verabschiedung für sie selbst bedeuten würde: "ein Geschlecht wird praktisch in jedem Lebensbereich als rechtlos deklariert, bei Hausrecht, Sport und Wehrdienst. Da rollt ein Alptraum von Gewalt auf uns zu." Der Entwurf sei gefährlich und diskriminierend. Weil so verschiedene Szenarien in einen juristischen Zusammenhang mit dem Geschlecht gebracht würden.
(Mit Material der dpa)
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