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Bürgergeld: Arbeitslos und faul – was an den Vorurteilen dran ist

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Menschen, die Bürgergeld beziehen, sehen sich oft Vorurteilen ausgesetzt.Bild: imago images / Michael Gstettenbauer
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Zu faul zum Arbeiten? Was an den Vorurteilen zum Bürgergeld dran ist

27.01.2024, 20:11
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Das Bürgergeld ist Gegenstand vieler Diskussionen. Es erhalten Menschen, die beispielsweise keine Arbeit finden oder nicht genug verdienen, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. In Deutschland gibt es 5,4 Millionen Bürgergeldempfänger:innen. Vorurteile ihnen gegenüber halten sich hartnäckig. Etwa jenes, dass sie eigentlich nur zu faul zum Arbeiten seien.

Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hat kürzlich die Regeln für Bürgergeldbeziehende verschärft. So soll Geld eingespart werden. Jetzt gilt: Wer sich innerhalb eines Jahres zweimal weigert, eine angebotene Arbeit anzunehmen, erhält für zwei Monate kein Geld. Die CDU will gar eine komplette Abschaffung des Bürgergelds in seiner aktuellen Form, ohne konkrete Pläne für ein Ersatzmodell.

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Laut Umfragen denken 64 Prozent der Deutschen, dass einige Menschen aufgrund des Bürgergelds nicht mehr arbeiten wollen.Bild: Imago images / Fotostand

Dadurch werden die Vorurteile über scheinbar "faule Bürgergeldbeziehende" verschärft. Laut Umfragen denken 64 Prozent der Deutschen, dass einige Menschen aufgrund des Bürgergelds nicht mehr arbeiten wollen. Organisationen wie die Caritas halten dagegen. Doch wer sind die Menschen, die von staatlicher Grundsicherung leben – und warum finden sie keine Arbeit? Wie so oft lautet auch hier die Antwort: Es ist kompliziert.

Bürgergeld: Viele Empfänger sind Kinder oder leisten Sorge-Arbeit

Zunächst einmal zu den reinen Zahlen: Von den 5,4 Millionen Bürgergeldempfänger:innen sind fast ein Drittel Kinder, wie "Zeit" berichtet. Sie dürfen und können ohnehin nicht arbeiten. Damit bleiben etwa 3,9 Millionen erwerbsfähige Leistungsbezieher:innen übrig.

Unter ihnen sind 480.000 Ukrainer:innen und 596.000 Menschen aus Syrien, Afghanistan und anderen wichtigen Asylherkunftsländern. Sie können nicht direkt nach ihrer Ankunft einer Arbeit nachgehen. Als "erwerbsfähig" gilt, wer gesundheitlich dazu fähig wäre, mindestens drei Stunden täglich zu arbeiten.

Von den 3,9 Millionen erwerbsfähigen Bürgergeldempfänger:innen stehen 2,2 Millionen "dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung". Ein Großteil davon geht zur Schule, studiert, pflegt Angehörige oder kümmert sich um Kinder. Eine Gruppe bezieht Bürgergeld ergänzend während der Elternzeit. Andere nehmen an staatlichen Fördermaßnahmen teil oder gehen einer Beschäftigung nach, verdienen jedoch nicht genug, um ohne zusätzliche Hilfe auszukommen.

Unter den 3,9 Millionen erwerbsfähigen Bürgergeldempfänger:innen gibt es 1,7 Millionen, die als "arbeitslos" gelten. Diese Menschen könnten arbeiten gehen, tun es aber nicht. 56 Prozent davon sind Deutsche, 44 Prozent Ausländer:innen. Ukrainer:innen machen unter ihnen die größte Gruppe aus, gefolgt von Syrer:innen. Ein Blick auf die Statistik zeigt, dass Kriege und Krisen in anderen Weltregionen sowie Migrationsbewegungen direkte Auswirkungen auf den deutschen Sozialstaat haben.

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Oft gibt es einfach nicht das passende "Match" zwischen Arbeitssuchenden und Jobangeboten.Bild: ZB / Jan Woitas

Verdienen Bürgergeld-Empfänger tatsächlich mehr?

Eine Studie des Münchner Ifo-Instituts widerlegt die Behauptung, dass sich Arbeiten für viele Bürgergeld-Empfänger:innen schlicht nicht lohnen würde. Wer arbeitet und alle verfügbaren Sozialleistungen, zum Beispiel Wohngeld und Kinderzuschlag bezieht, hat demnach in jedem Fall mehr Geld zur Verfügung als Menschen, die nicht arbeiten und nur Sozialleistungen beziehen.

So bleiben alleinstehenden Bürgergeldempfänger:innen nach Abzug der vom Staat übernommenen Kosten für Wohnung und Heizung pro Monat 563 Euro. Wer allerdings schon ein Gehalt von nur 1000 Euro brutto bezieht, hat nach Abzug aller Steuern und Sozialabgaben und Anrechnung von Sozialleistungen wie dem Wohngeld bei einem mittleren Mietniveau immer noch 891 Euro übrig. Das entspricht 328 Euro mehr.

Eine Arbeit in Teilzeit allerdings könnte laut "Zeit" nur einen geringen Zuverdienst zum Bürgergeld bedeuten. Zudem könnten zusätzliche Kosten, etwa für die Kinderbetreuung, anfallen. Frauen sind im Schnitt länger auf staatliche Unterstützung angewiesen als Männer mit gleichen Qualifikationen. Laut Bertelsmann Stiftung stellt der Mangel an Kitaplätzen in Deutschland eine weitere Hürde für die Arbeitsaufnahme dar.

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Oft beziehen Eltern Bürgergeld, weil das Geld sonst nicht zum Leben reicht.Bild: Deutsche Presse-Agentur GmbH / Sebastian Gollnow

Bürgergeld: Oft fehlt schlicht die Qualifikation für eine Arbeit

Ein weiterer Aspekt ist die Qualifikation der arbeitslosen Menschen. Zwei Drittel haben keine abgeschlossene Berufsausbildung. Laut IAB-Ökonomin Anja Bauer liegt rund ein Viertel der Arbeitslosigkeit in Deutschland an "Mismatch-Arbeitslosigkeit" – Menschen haben nicht die nötigen Qualifikationen für vorhandene Jobs. Auch die geografische Unstimmigkeit zwischen offenen Stellen und Wohnort stellt demnach eine häufige Barriere dar.

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Bettina Kohlrausch, Direktorin des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, verweist gegenüber "Zeit" auf weitere Faktoren. Soziale Problemlagen und Gesundheit.

Langzeitarbeitslose könnten aufgrund "multipler sozialer Problemlagen" oft formal einen Job annehmen, sind dazu jedoch eigentlich nicht in der Lage. Hierzu gehören psychische Erkrankungen oder Suchtprobleme. Wie hoch der Anteil jener Menschen ist, lässt sich allerdings schwer sagen. Daten der AOK Rheinland/Hamburg zeigen, dass Bürgergeldempfänger:innen doppelt so häufig wie arbeitende Versicherte an Depressionen oder Lungenkrankheiten leiden.

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