Am Mittwoch findet ein Migrationsgipfel mit Innenministerin Nancy Faeser (SPD) statt, weil Kommunen und Landkreise die aktuelle Situation nicht alleine bewältigen können. Bild: IMAGO/Marc Schüler
Deutschland
Seit Jahresbeginn haben rund 100.000 Menschen in Deutschland einen Asylantrag gestellt. Das ist deutlich mehr als im Vorjahreszeitraum. Und weil Kommunen und Landkreise immer stärker an ihre Grenzen gedrängt werden, wollen sich Bund und Länder bei einem Migrationsgipfel austauschen.
Darüber, dass Asylsuchende, die Schutz brauchen, in Deutschland gut untergebracht und versorgt werden sollen, ist man sich weitestgehend einig. Auch das Ziel, die Zahl der unerlaubten Einreisen zu reduzieren, wird im Prinzip von allen geteilt. Doch da hört die Einigkeit auch schon auf.
In manchen Teilen Deutschlands gehen Menschen mittlerweile gegen Geflüchtete auf die Straße.Bild: dpa / Michael Reichel
Konkret wird es um das Thema Geld gehen. Und darum, wie der Bund den Ländern und Kommunen besser unter die Arme greifen kann. Ob sich die Parteien einigen können, ist bisher offen.
Innenministerin Nancy Faeser (SPD) und die Asylpolitik der Ampel stehen aber nicht nur bei den Partner:innen in den konservativeren Ländern in der Kritik. Vielmehr gibt es viel Empörung, auch und gerade vonseiten progressiver Politiker:innen.
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Vorschlag der Kontrolle an Außengrenzen kommt nicht gut an
Der Vorwurf: Faeser und die Ampel verschärften das Asylrecht mit ihren Vorschlägen sogar. "Wer eine europäische Asylpolitik à la Seehofer betreibt, gründet die nächsten Morias", warnt zum Beispiel die Grüne Jugend auf Twitter und spielt damit auf das Geflüchtetenlager Moria auf der Insel Lesbos an.
Aber was ist da los mit der Ampel-Asyl-Politik? Faeser will, dass Asylsuchende künftig an den EU-Außengrenzen verlässlicher als bisher registriert und identifiziert werden. Dafür möchte sie sich bei den laufenden Beratungen zur Reform des Gemeinsamen europäischen Asylsystems einsetzen. Dieses Ansinnen ist innerhalb der Koalition abgestimmt.
Zu den in Brüssel diskutierten Vorschlägen gehört auch, dass diejenigen, die keine Aussicht auf Schutz haben, die EU nach einer schnellen Prüfung direkt wieder verlassen sollen. Geschützt werden sollen die Grenzen der EU, wenn es nach Finanzminister Christian Lindner (FDP) geht, im Zweifel auch mit Zäunen.
Faeser und Lindner sind sich beim Thema EU-Außengrenzen einig.Bild: dpa / Kay Nietfeld
Er erklärte in einer Talkrunde von RTL/ntv: "Ich glaube, dass, um Kontrolle herzustellen, auch der physische Schutz der Außengrenze in Betracht gezogen werden muss" – etwa durch einen Grenzzaun. Er sei dafür, "wenn zugleich die Möglichkeit humanitärer und qualifizierter Einwanderung rechtlich erleichtert wird."
Der Sprecher des Bundesinnenministeriums sagte, Kinder, Schwangere und andere besonders Schutzbedürftige sollten von den Grenzverfahren nach Ansicht der Bundesregierung ausgenommen werden.
Mit Unterstützung des Sonderbevollmächtigten Joachim Stamp (FDP) will die Bundesregierung zudem sogenannte Migrationsabkommen mit Herkunftsstaaten schließen. Diese Staaten sollen bei der Abschiebung ihrer Staatsbürger, die ausreisepflichtig sind, aber Deutschland trotzdem nicht verlassen, besser kooperieren. Im Gegenzug soll es für sie Erleichterungen geben, etwa bei Visa für Arbeitskräfte oder Studierende.
Kritiker sorgen sich um Schutz von Geflüchteten
Pro Asyl hat daraufhin die Parteivorstände von SPD, Grünen und FDP aufgefordert, eine deutsche Zustimmung zu Asylverfahren an den Außengrenzen der Europäischen Union beim nächsten Treffen der EU-Innenminister zu verhindern. "In fernab gelegenen, geschlossenen Lagern an den Rändern der EU geht es nicht um Schutzgewährung", meint die Organisation, die sich für die Rechte Geflüchteter einsetzt.
Auch Grünen-Politiker Erik Marquardt kritisiert die Pläne. Auf Twitter schreibt er:
"Es gibt jetzt 6-mal mehr Zäune an EU-Grenzen als 2014. Das hat allerdings keinen Einfluss auf die Zahlen der Asylanträge. Was viele nicht verstehen wollen: Zäune verhindern keine Asylanträge, ebenso wenig wie mehr Grenzschützer oder Überwachung."
Die Pläne bedeuteten für viele Geflüchtete konkret, dass sie kaum noch Zugang zu rechtstaatlichen Verfahren für das Beantragen von Asyl hätten, die Ausgrenzung von Schutzsuchenden würde riesig werden. Er fügt in einem Tweet an: "Dabei gibt es keine realistische Erwartung, dass dadurch weniger Menschen nach Europa fliehen. Die EU-Staaten hätten aber viel mehr rechtliche Mittel, Menschen abzulehnen."
Für Linken-Politikerin Clara Anne Bünger sind die EU-Pläne, die die Ampel wohl mitträgt, nicht mehr und nicht weniger als das Ende des individuellen Rechts auf Asyl. Auch interne Dokumente, die die Abschiebe-Pläne von Kanzler Olaf Scholz (SPD) offenlegen sollen, heizen die Kritik an.
In dem Papier, das dem Nachrichtenportal "t-online" vorliegt, steht unter anderem, dass geplant sei, Menschen schneller abzuschieben. Außerdem sollen wohl die Abschiebehaft verlängert und die Haftgründe ausgeweitet werden. Bünger kommentiert die Pläne:
"Mit EU-Asylkompromiss und den beim Flüchtlingsgipfel geplanten Änderungen, haben wir es de facto mit einer noch nie dagewesenen Verschärfung des Asylrechts zu tun. Und das alles unter einer links gelesenen Koalition aus SPD, Grünen und FDP."
Auch Linken-Chefin Janine Wissler hat die neue Linie der Bundesregierung in der Flüchtlingspolitik scharf kritisiert. Die SPD schwenke "auf den Asylkurs der Rechten ein", sagt Wissler in einer Pressekonferenz. Und fährt fort: "Europa macht dicht und die SPD macht mit", meint Wissler.
(Mit Material der dpa)
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