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Korrektur zu Berichterstattung um Chemnitz: Hitlergruß-Bild mit RAF-Tattoo ist kein Fake

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Korrektur zu Berichterstattung um Chemnitz: Hitlergruß-Bild mit RAF-Tattoo ist kein Fake

05.09.2018, 23:0405.09.2018, 23:09
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Auf der rechtsextremen Demonstration in Chemnitz am vergangenen Montag wurde mehrfach der Hitlergruß gezeigt. Die Fälle wurden vielfach auf Fotos und in Videos dokumentiert. In den sozialen Medien verbreiten manche Nutzer seitdem die Behauptung, die Hitlergruß-Zeiger seien nicht Rechtsextreme, sondern "Provokateure", die von linken Gegendemonstranten oder "den Medien" eingeschleust worden seien.

So äußerte sich zum Beispiel der Vorsitzende von "Pro Chemnitz":

Video: watson/Felix Huesmann, Lia Haubner Marius Notter

Wir haben keinerlei Hinweise darauf, dass an diesen Behauptungen etwas dran ist. Aber in der Berichterstattung über die Fälle ist watson ein schwerer Fehler passiert – und auch t-online.de, wo der betreffende Artikel ebenfalls erschien:

Wir bezeichneten ein Bild als Fotomontage, auf dem ein RAF-Tattoo zu sehen ist, und zwar auf der Hand eines Mannes, der einen Hitlergruß zeigt. Wir hielten dabei das RAF-Tattoo für nicht echt.

Das ist falsch.

Nachdem wir das vorliegende Material sowie weitere Aufnahmen noch einmal genauer geprüft haben, sind wir zu dem Schluss gekommen: Auf der Hand des abgebildeten Demonstranten sind tatsächlich die Schriftzeichen "RAF" zu erkennen. Wir haben deshalb den Inhalt des Original-Artikels gelöscht, der unter diesem Link zu finden war.

Das Kürzel "RAF" steht unter anderem für "Rote Armee Fraktion", eine linksterroristische Gruppe, die von den 1970ern bis in die 1990er Jahre in Deutschland aktiv war und insgesamt 33 Menschen tötete.

In den Augen von Rechten ist die Handbemalung des Mannes ein Hinweis darauf, dass es sich bei ihm um einen eingeschleusten Provokateur handele.

Die Argumentation: Linke Aktivisten und Journalisten hätten die Hitlergrüße inszeniert, um die Proteste als rechtsextrem zu diskreditieren.

So hatte watson berichtet:

Am vergangenen Samstag veröffentlichte unter anderem ein anonymer Twitter-Account einen Fotoausschnitt, auf dem der Mann zu sehen ist.

Ebenfalls sichtbar: der "RAF"-Schriftzug auf dem rechten Handrücken.

Dazu veröffentlichte der Account folgenden Text: "Neuerdings sind RAF Tattoos der letzte Schrei bei Nazis" und in einem weiteren Tweet: "immer diese Bösen Nazis mit den R.A.F Tattoos XD".

Ein anderer Account benutzte das Bild mit den Worten: "Was sagt Herr #Maas zu einem #Linken der den #Hitlergruss zeigt obwohl er eine #RAF #Tätowierung besitzt?"

Unser Reporter verglich das Bild daraufhin mit seinen eigenen Videoaufnahmen aus Chemnitz. Er hatte den Mann dabei gefilmt, wie er vor den Augen von Polizisten den Hitlergruß zeigte. Auf diesen Videoaufnahmen ist auf den ersten Blick der Schriftzug "RAF" nicht zu erkennen.

Dies sind die Screenshots aus dem watson-Videomaterial:

Bild
Bild

Dies ist ein Videoausschnitt: 

Video: watson/Felix Huesmann, Lia Haubner

Auf dem verbreiteten Bild ist der Schriftzug hingegen sehr deutlich sichtbar.

Dies ist der veröffentlichte Bildausschnitt:

Bild

Daraufhin kam unser Reporter zu dem Schluss, es handele sich bei dem Fotoausschnitt um eine Montage.

Watson nahm den Fall in seine Berichterstattung auf und bezeichnete ihn darin als "Fake". Nun wurde watson aber auf ein Foto hingewiesen, aus dem der Ausschnitt stammen könnte.

Dieses Foto wurde auf Flickr hochgeladen – von einem  Account, der vermutlich der linken Szene zuzuordnen ist, namens "RechercheNetzwerkBerlin", der unter anderem regelmäßig Fotos von rechtsextremen Veranstaltungen postet. (Flickr)

Auch in einem Video von VICE sind die Buchstaben A und F nach Ranzoomen zu erkennen. (Vice)

Das ist unser Fehler:

Auf den watson-Aufnahmen ist in bestimmten Einstellungen auch ein Schatten erkennbar. Spätestens bei unserer Recherche zum Thema Falschmeldungen hätte das auffallen müssen.

Zumindest konnten wir zu dem Zeitpunkt mit den vorhandenen Aufnahmen nicht ausschließen, dass die Schriftzeichen "RAF" existieren.

Wir hätten deshalb weitere Quellen durchsuchen und kontaktieren müssen.

So ein Fehler darf nicht passieren.

Dafür möchten wir uns entschuldigen.

Wir als Redaktion betrachten diesen Fehler als besonders schwerwiegend in einer Situation, in der große Mengen bewusster Falschmeldungen in den sozialen Medien verbreitet werden.

Es entspricht unserem redaktionellen Selbstverständnis, dass wir alle Behauptungen, die wir aufstellen, prüfen und nur dann veröffentlichen, wenn uns dazu zwei voneinander unabhängige Quellen vorliegen.

Genauso gehört es jetzt aber auch zu unserem journalistischen Selbstverständnis, dass wir diesen Fehler transparent korrigieren und kommunizieren.

Unsere Nutzer sollen sich darauf verlassen können, bei uns valide Informationen zu erhalten. Und darauf, dass wir aus unseren Fehlern lernen.

In den kommenden Tagen werden wir unsere Arbeitsprozesse überprüfen, damit solche Fehler in Zukunft nicht mehr passieren.

Auch bei anderen Medien, die sich auf unsere Recherchen bezogen haben, entschuldigen wir uns.

Wir wissen um den Effekt, den unser Versäumnis auf den aktuellen Diskurs sowie die Vorbehalte in Teilen der Gesellschaft gegenüber Journalisten haben kann. Daran anschließend möchten wir diese neuen Informationen nun einordnen:

Ist der Mann nun ein "linker Provokateur"?

Für die Theorie der "eingeschleusten Provokateure" liegen watson keinerlei Beweise vor.

Fest steht: Auf mehreren Aufnahmen ist zu sehen, dass der Mann die Buchstaben "RAF" auf dem rechten Handrücken stehen hat. Ob sie aufgemalt oder tätowiert sind, ist unklar.

Ausschließen können wir nicht, dass es sich bei dem Mann um einen Provokateur handelt. Das kann auch die Staatsanwaltschaft bislang nicht.

"Eine zuverlässige Zuordnung zur PMK (Anmerkung der Redaktion: Politisch motivierte Kriminalität) rechts oder PMK links können wir nicht vornehmen, dies ist aber auch für die Erfüllung des Straftatbestandes des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (§ 86a StGB) irrelevant", sagt Oberstaatsanwalt Wolfgang Klein zu watson.

Das Sat1-Magazin "Akte" hat die mutmaßliche Identität des Mannes recherchiert und mit ihm in der Nacht nach der Demonstration gesprochen. Dabei verstrickte sich der Mann in Widersprüche. (Akte)

Die Reporter besuchten auch das Haus, in dem der Mann wohnen soll: Im Hausflur sahen sie zahlreiche neonazistische Aufkleber. Mehrere Nachbarn, mit denen die Reporter sprachen, trugen Kleidungsstücke mit eindeutig neonazistischer Symbolik.

Einer von ihnen sagte: "Wenn die Leute durch Chemnitz dann latschen, und irgendwie hier Ausländer jagen, ist dann irgendwie, geb‘ ich mein Ja dazu."

Die Reporter kamen zu dem Schluss: "An der Mär vom eingeschleusten Provokateur scheint nicht viel dran zu sein."

Der Ermittlungsstand der Polizei:

Die Polizei konnte insgesamt fünf Personen identifizieren, die bei den Demos am Montag und auch schon am Sonntag zuvor den Hitlergruß gezeigt haben sollen.

In zwei Fällen hat die Dresdner Generalstaatsanwaltschaft beschleunigte Strafverfahren beim Amtsgericht Chemnitz beantragt.

Die beiden Männer sind 32 und 34 Jahre alt und sollen am Montag den Hitlergruß gezeigt haben. Einem der beiden wird außerdem vorgeworfen, einen Polizisten beleidigt zu haben. Oberstaatsanwalt Wolfgang Klein erklärte dazu: "Wir haben keine Erkenntnisse, dass einer davon ein eingeschleuster Provokateur oder derartiges wäre."

Wir werden diesen Artikel laufend aktualisieren, sobald es neue Erkenntnisse zur Identität des Mannes mit der RAF-Aufschrift gibt.

Zum Hintergrund: Hitlergrüße auf der Demo

Im Verlauf der Demonstration wurde mehrfach von verschiedenen Personen der Hitlergruß gezeigt. Das ist in mehreren Foto- und Videoaufnahmen dokumentiert.

Ein Kamerateam von Spiegel TV hat einen der Hitlergruß-Zeiger mehrere Tage nach der Demonstration in Chemnitz wiedergetroffen. Die Journalisten filmten den Mann zunächst aus einigen Metern Entfernung. In den Aufnahmen ist zu sehen, wie er einen Mann auf offener Straße mit Hitlergruß begrüßt. Auch von diesem Hitlergruß-Zeiger wurde zuvor in den sozialen Medien behauptet, er sei ein "eingeschleuster Provokateur gewesen". (Spiegel TV)