Ein junger Mann stirbt, erneut instrumentalisieren Neonazis den Tod für ihre Zwecke. Bei einem "Trauermarsch" in Köthen haben Teilnehmer Neonazi-Symboliken gezeigt. In Reden wurde rassistische Hetze verbreitet. Der Oberbürgermeister des Ortes in Sachsen-Anhalt hat deshalb zu Besonnenheit aufgerufen.
Bernd Hauschild (SPD) hat sich erschrocken über Gewaltaufrufe bei dem "Trauermarsch" gezeigt. Es sei schwer, wenn die Gewalt von außen nach Köthen komme, sagte Hauschild im ZDF-"Morgenmagazin". Er selbst habe zwar keine Aktionen gegen Rechts geplant, wenn aber etwas passiere, seien die Köthener vorbereitet.
Mit Blick auf die letztlich weitgehend friedlich verlaufenen Proteste vom Vorabend fügte Hauschild hinzu:
Er sei erschrocken über die Reden. Vor dem sogenannten "Trauermarsch", für den in der rechten Szene mobilisiert worden war, hatte der Bürgermeister am Sonntag auf Facebook ausdrücklich von einer Teilnahme abgeraten. Ihm würden Informationen vorliegen, dass auch gewaltbereite Gruppen von außerhalb Köthens teilnehmen wollten. Zu der Kundgebung kamen 2500 Menschen. Im ZDF sagte Hauschild, er sei froh, dass die anheizenden Redner keine Köthener gewesen seien. Er selbst hatte gemeinsam mit Bürgern an einem Gedenkgottesdienst teilgenommen.
Die Kundgebung am Abend war zeitweise aggressiv, aus dem Teilnehmerkreis erschallten Rufe wie "Auge um Auge, Zahn um Zahn", "Wir sind das Volk" oder "Lügenpresse". Als ein Beobachter die Szenerie mit einem Handy filmte, wurde er geschubst. Die Polizei griff schnell ein.
Offenbar war es auf einem Spielplatz zu einem Streit zwischen mehreren Männern gekommen. Drei aus Afghanistan stammende Männer sollen zunächst mit einer Frau dort darüber gestritten haben, von wem sie schwanger ist. Dann sollen der 22-jährige Deutsche und dessen Bruder hinzugekommen sein. Am Ende war der 22-Jährige tot.
Nach dpa-Informationen waren die beiden Afghanen polizeibekannt, einer wegen mehrerer kleinerer Delikte und Körperverletzung. Einer hatte eine Duldung. Der zweite sollte eigentlich abgeschoben werden, was aber wegen laufender Ermittlungen auf Eis lag.
Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) warnte vor einer Instrumentalisierung des Falls. "Bei aller Emotionalität ist jeder Versuch zurückzuweisen, aus Köthen, wie es im Internet heißt, ein zweites Chemnitz machen zu wollen", sagte er.
In Chemnitz war vor zwei Wochen ein 35-jähriger Deutscher getötet worden. Zwei junge Männer sitzen inzwischen in Untersuchungshaft. Sie stammen nach eigenen Angaben aus Syrien und dem Irak.
Laut Journalisten und Beobachtern vor Ort verlief der "Trauermarsch" in Köthen still und friedlich ab. Die Teilnehmer zogen schweigend und ohne Transparente oder Spruchbänder durch die Straße in Richtung eines Spielplatzes, wo sich der Streit ereignet hatte. Dort legten Teilnehmer Blumen nieder. Dennoch seien viele Neonazis gekommen, die teils Hakenkreuz-ähnliche Symbole zur Schau stellen. Es sollen sich rund 1000 Teilnehmer versammelt haben.
Laut Pressemitteilung der Polizeidirektion Sachsen-Anhalt Ost, soll der nach einem Streit mit zwei Afghanen verstorbene Markus B. aufgrund von Herzversagen ums Leben gekommen sein. Das ist das Ergebnis einer Obduktion am Sonntag. Der junge Mann soll eine kardiologische Vorerkrankung gehabt haben.
Die Polizei schreibt in der Pressemitteilung:
Buzzfeed Reporter Marcus Engert ist vor Ort und berichtet von der Gegenkundgebung, die sich gerade formiert.
Der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff (CDU) hat sich zu Köthen geäußert und warnte vor Gewalt:
"Bei aller Emotionalität ist jeder Versuch zurückzuweisen, aus Köthen, wie es im Internet heißt, ein zweites Chemnitz machen zu wollen", sagte er am Sonntag der Deutschen Presse-Agentur. Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) habe geeignete Schritte eingeleitet, damit es dazu nicht komme.
Die Sicherheitsbehörden in Sachsen-Anhalt sind in erhöhter Alarmbereitschaft. Nach Informationen des "Tagesspiegel" sollen am Sonntagabend in Köthen mindestens 500 Polizeibeamte im Einsatz sein. Ein über die Einsatzplanung informierter Innenexperte sagte der Zeitung: "Denen ist die Brisanz klar. Die fordern alles an, was geht"
Nach Angaben des Experten gebe es bereits Zusagen aus Berlin, vermutlich würden auch Kräfte aus Niedersachsen und die Bundespolizei um Unterstützung gebeten. "Das Innenministerium ist im Unterschied zu Chemnitz alarmiert", sagte der Experte.
Uwe Schulze, der Landrat des Landkreises Anhalt-Bitterfeld sagte gegenüber MDR Sachsen-Anhalt, dass es sich bei den Tatverdächtigen um einen 18- und einen 20-Jährigen handele. Einer der beiden sei als Flüchtling anerkannt, der andere haben abgeschoben werden sollen.
Die Staatsanwaltschaft ermittele aber noch gegen ihn. Warum, dazu konnte Schulze keine Angaben machen. Der Landrat sagte, er trauere um das Opfer und spreche den Angehörigen sein Beleid und Mitgefühl aus.
Auf Facebook äußerte sich der Köthener Oberbürgermeister bestürzt über den Tod des 22-Jährigen und lud zur Andacht der Jakobskirche. Von einer Teilnahme am geplanten "Trauermarsch" um 19:00 Uhr rate er allerdings ab, da ihm Informationen vorliegen, dass auch gewaltbereite Gruppen von außerhalb Köthens in großer Zahl anreisen werden.
Die Evangelische Landeskirche Anhalts will nach dem tödlichen Streit in Köthen Spenden für die Bestattung des Opfers sammeln.
Die Spendensammlung sollte mit einer Trauerandacht am Sonntagnachmittag beginnen und noch einige Tage dauern, sagte Kirchenpräsident Joachim Liebig. "Der Tod eines Menschen ist der schlechteste Anlass für eine Instrumentalisierung", sagte Liebig. "Es betrifft die ganze Gemeinschaft, wenn jemand so aus ihrer Mitte zu Tode kommt."
Zu der Andacht kamen etwa 300 Menschen, darunter auch mehrere Politiker.
Das "Bündnis Dessau Nazifrei" hat zu einer Gegendemo auf Facebook und Twitter aufgerufen. Sie wollen sich ab 18:00 Uhr am Bahnhof Köthen treffen.
Auf dem AfD-Landesparteitag im Köthen nahe gelegenen Dessau hielt die AfD eine Schweigeminute ab. Vorab äußerte sich der Köthener AfD-Abgeordneter Hannes Loth gegenüber der Mitteldeutschen Zeitung: „Zunächst warten wir das Ergebnis der Obduktion ab und rufen zu Besonnenheit auf".
Der Landesvorsitzende Martin Reichardt sagte auf dem Parteitag, es werde keine Teilnahme an Spontandemos geben.
Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht ruft zu "Besonnenheit" auf, auch wenn er Verständnis für die Betroffenheit der Bürger habe:
Dieter Riefling, ehemaliger Kader der verbotenen FAP (Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei) rief auf Twitter zu einem "Trauermarsch" in Köthen nach Chemnitzer Vorbild auf.
Der "Trauermarsch" solle am Sonntag um 19 Uhr in Köthen stattfinden. Nach Informationen des Senders MDR beriet der Landrat des Kreises, Uwe Schulze, derzeit über mögliche Sicherheitsmaßnahmen.
Noch vor dem angekündigten rechten Aufzug war für 16 Uhr in der Jakobskirche eine Trauerandacht geplant. Der Kirchenpräsident der Evangelischen Landeskirche Anhalts, Joachim Liebig, rief zur Besonnenheit auf und erklärte: „Unsere Gebete und Gedanken sind bei ihm und seinen Angehörigen.“ Zugleich rief er zur Besonnenheit auf.
Die SPD-Fraktionvorsitzende Im Magdeburger Landtag, Katja Pähle, sprach der Familie des Opfers ihr Mitgefühl aus und erklärte: "Der gewaltsame Tod eines Menschen ist immer zu verurteilen."
Susi Möbbeck, die Integrationsbeauftragte des Landes Sachsen-Anhalt mahnte Zurückhaltung. Auf Twitter schrieb sie:
Rechte Gruppen versuchten den Tod des jungen Mannes zu instrumentalisieren. Auch auf Facebook riefen Gruppierungen wie die "Heidenauer Wellenlänge"" zum "Trauermarsch" in Köthen auf.
Die Linksfraktion im Magdeburger Landtag forderte "eine schnelle, vorurteilsfreie und lückenlose Aufklärung der Todesumstände" des Mannes in Köthen. "Spekulationen und Vorverurteilungen sind fehl am Platz - gebraucht wird jetzt vor allem Besonnenheit", erklärte Fraktionschef Thomas Lippmann.
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(yp/dpa)