Stephan Pusch kennt das Gefühl gut, wie ein Aussätziger behandelt zu werden. Der Landrat aus der Coronavirus-Hochburg Heinsberg in Nordrhein-Westfalen erinnert sich im Gespräch bei "Markus Lanz" am Mittwochabend: "Ich habe schon Fernsehteams mit Mundmasken vor mir stehen gehabt."
Der CDU-Kommunalpolitiker hatte um 16 Uhr noch 134 Corona-Fälle in seiner Heimat, unmittelbar vor der Aufzeichnung waren es dann schon 150 Fälle, wie er telefonisch erfragt habe. Darunter aber "wenig wirklich schwer verlaufende Erkrankungen". Acht Patienten müssten stationär behandelt werden, zwei seien allerdings sogar in Lebensgefahr.
Er gibt zu, dass er die Situation anfangs – wie eigentlich alle – nicht richtig eingeschätzt und volles Verständnis dafür habe, dass einer seiner Bürger trotz Grippe-Symptomen sein eigens einstudiertes Männerballett beim Karneval aufgeführt hat. "Da wusste noch kein Mensch, dass das Virus in Deutschland angekommen ist." Nun plädiert er für einen weniger panischen Umgang.
"Ich habe den Eindruck", sagt er, "die Angst ist da am größten, wo die echte Betroffenheit am geringsten ist. Weil das Unbekannte viel schlimmer ist, als das was man kennt." Er berichtet auch, dass es sich derzeit seltsam anfühle in seiner Stadt, wo viele Geschäfte geschlossen seien. Man müsse sich die Normalität zurückkämpfen, betont er. Und warnt:
Neben Pusch sind an diesem Abend die Journalistin Helene Bubrowski, die Börsenexpertin Anja Kohl und Winfried Kretschmann, Ministerpräsident von Baden-Württembergs zu Gast. Es soll um Politik und Corona gehen. Und Kretschmann will noch nicht einmal von Hamsterkäufen sprechen. "Wenn 20 Leute eine Packung Nudeln mehr kaufen", sei das Regal auch leer, aber eben am nächsten Tag auch alles wieder da.
Aus wirtschaftlicher Sicht sieht das Börsenexpertin Anja Kohl aber anders. Diese Zeiten seien die turbulentesten seit der Finanzkrise. Anleger reagieren "fast panisch". "Es hat alle überrascht, man dachte, es bleibt bei China."
Weil die Dax-Konzerne 15 Prozent ihres Umsatzes mit China machten und die wirtschaftliche Verflechtung von Deutschland und Norditalien so intensiv sei wie die mit Japan, ist "durch die Quarantäne die Wirtschaftsaktivität erlahmt", sagt Kohl. 2003, zu Zeiten der Sars-Epidemie, habe China noch lediglich vier Prozent Anteil an der Weltwirtschaft gehabt, heute seien es 17 Prozent. "Das wird sich auf die Weltwirtschaft auswirken."
Es habe Verluste von sieben Billionen Euro Kapital in nur einer Woche gegeben. Während es Großkonzerne wie Apple aussäßen, könne es für Mittelständler schwer werden. "Da muss sich die Regierung bewegen", findet Kohl.
Das sieht auch Winfried Kretschmann so. Er meint, dass die "Förderbanken bei Liquiditätsengpässen helfen müssen und auch das Kurzarbeitergeld anzupassen ist eine wichtige Maßnahme". Daneben müsse man überdenken, ob es wirklich sinnvoll sei, fast ganz auf die Lagerhaltung zu verzichten – vor allem bei pharmazeutischen Produkten.
"Sie klingen wie der kommende Kanzler", versucht Lanz den Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg aus der Reserve zu locken. Als Erstes soll er das Krisenmanagement bewerten ("Läuft. Ich kann mich über nichts beschweren") und dann die GroKo ("Sie ist mal ein bisschen aus dem Krisenmodus raus"). Und doch stellt er klar: "Ich bin jetzt nicht begeistert, aber sie wird halten bis zur nächsten Wahl."
Wovon er denn träume, will Lanz von dem Grünen-Politiker wissen: "Von Rot-Rot-Grün oder Schwarz-Grün?" "Ich träume eigentlich von ganz anderen Dingen", schlägt Kretschmann einen typischen Politiker-Haken und gibt dann aber zu: "Ich wünsche mir, dass wir an der nächsten Regierung beteiligt sind." Er mahnt, seine Partei solle "vorsichtig sein, vom Kanzler zu träumen."
Und im nächsten Satz gesteht er: "Ich kann mir nicht vorstellen, wie man mit der Linken auf Bundesebene regieren soll." Das sei vor allem der Wirtschaftspolitik geschuldet.
Weiter aus dem Fenster lehnt sich die Journalistin Helene Bubrowski, was die Erfolgsaussichten der Grünen angeht. Sie vergleicht die beiden grünen Kanzlerkandidaten: "Beide haben ihre Stärken oder Schwächen. Baerbock hat in meinen Augen das dickere Fell", und das sei manchmal entscheidend. "Für das Amt kommt es gar nicht so auf den Intellekt oder auf die Analysefähigkeit an." Habeck fühle sich "angegriffen und vielleicht auch schneller beleidigt als Annalena Baerbock".
Das überrascht Kretschmann. "Dass der schnell beleidigt sein soll, das ist mir nicht aufgefallen." Allerdings lässt er schon durchscheinen, dass auch er im Falle eines Falles eher auf Baerbock setzen würde. Doch noch vor den Wahlen im Herbst 2021 stehen Wahlen in seinem Bundesland an. Ob er denn nochmal das Ministerpräsidenten-Amt wahrnehmen werde, will Lanz wissen.
Kretschmann erzählt von seiner Familie. Seine Tochter hätte gesagt: "Papa, es gibt genug alte Männer, die nicht aufhören können auf der Welt." Sein jüngster Sohn habe ihm ebenfalls abgeraten: "Deine Enkel wollen Dich jetzt und nicht später." Wohingegen sein mittlerer Sohn ihm zugeraten hat: "Das wird deinen Alterungsprozess aufhalten." Und auch seine Frau habe festgestellt "Du machst es nochmal."
Ob er die ganzen Fünf Jahre durchziehen wolle? Wollen schon. Aber ob er es schafft, "das weiß man vorher nicht".