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AfD-Erfolg in Sachsen: Wie die Grünen, SPD und CDU die Jugend verprellen

03.05.2020, Dranse, Brandenburg, GER - Dranse, Deutschland, Menschen warten auf den Bus. MRyes, 15-20 Jahre, 40-50 Jahre, Alltag, auf dem Land, aussen, Aussenaufnahme, Brandenburg, Bushaltestelle, Bus ...
Die Jugend in Sachsen fühle sich ungesehen und verdrängt, meint die ostdeutsche Aktivistin Sarah Schröder.Bild: imago images / Frank Sorge
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AfD-Erfolg in Sachsen: Aktivistin beklagt Ampel-Desinteresse an Jugend

30.07.2024, 19:35
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"Die Hühner sind genauso freiheitsliebend wie wir – sie passen zu uns", scherzt Sarah. Hinter der Kapuze ihrer Jacke ertönt ein herzliches Lachen. Der Regen trommelt auf das Gewächshaus neben dem Hühnerstall.

Vier gefiederte Tiere picken nach Käfern im Gras. Normalerweise dürfen sie sich frei über das ganze Gelände bewegen, aber sie büxen immer wieder über den Zaun zum Nachbarn aus. "Der droht uns, sie in den Kochtopf zu schmeißen", sagt die junge Frau. Nun gackern sie hinter einem Gitter, in ihrem "Schutzraum".

In der "Alten Spitzenfabrik" im sächsischen Grimma kommen Tiere und Jugendliche zusammen.
In der "Alten Spitzenfabrik" im sächsischen Grimma kommen Tiere und Jugendliche zusammen.bild: watson / anne hamilton

Mauern einreißen und Grenzen überwinden – trotz Drohungen: Die Hühner passen tatsächlich zu dem Projekt "Alte Spitzenfabrik", wo ein "Dorf der Jugend" entsteht; ein Hafen für Menschen wie Sarah, die sich der blauen Welle durch die AfD in Sachsen entgegenstellen.

Aktivistin will AfD-Dominanz in Sachsen mit Jugendarbeit eindämmen

Spätestens seit der EU-Wahl ist der Vormarsch der vom Verfassungsschutz als rechtsextremistisch eingestuften Partei nicht mehr zu verdrängen. Auch in der sächsischen Kleinstadt Grimma sei der Rechtsruck deutlich spürbar, meint Sarah.

"Ich habe bereits verbale sowie körperliche Anfeindungen erlebt."
Aktivistin Sarah

Bei der Kommunalwahl im Juni wird die AfD mit knappem Vorsprung stärkste Kraft in Grimma. Kein Einzelphänomen: In manchen ostdeutschen Kommunen kommt die Partei auf fast 40 Prozent.

Einknicken oder aufgeben? Für Sarah ist beides keine Option. Schon gar nicht wolle sich die 24-Jährige von den Rechten einschüchtern lassen. Seit zehn Jahren engagiert sie sich in mehreren Projekten, um die Demokratie im ländlichen Sachsen zu stärken.

Manchen gefällt das nicht: "Ich habe bereits verbale sowie körperliche Anfeindungen erlebt, auch fliegen ab und an Steine durch die Fenster der 'Alten Spitzenfabrik'", sagt sie.

Sarah Schröder vor der "Alten Spitzenfabrik" in Grimma, wo sie sich für die Demokratie einsetzt.
Sarah Schröder vor der "Alten Spitzenfabrik" in Grimma, wo sie sich für die Demokratie einsetzt. bild: watson / anne hamilton

Wie eine alte Festung steht das marode Gebäude nahe der Mulde umgeben von Wiese und Wald. Früher produzierte man hier Textilen, die unter der Marke "Plauener Spitze" vertrieben wurden. Seit 1991 stehen die Maschinen still und das Gelände leer – bis die Jugend einzog.

Das Projekt "Dorf der Jugend" haucht den leeren Hallen wieder Leben ein. Die tristen betonfarbigen Mauern erhalten einen neuen Anstrich durch Graffiti.

"Kacken ist wichtiger als Deutschland", die Jugend lebt sich hier kreativ aus.
"Kacken ist wichtiger als Deutschland", die Jugend lebt sich hier kreativ aus.bild: watson / anne hamilton

Reifen dienen als Blumentöpfe, abgebrochene Teile von Skateboards formen den Zaun. "Wir nutzen das, was da ist", sagt Sarah. Im Sommer öffnet ein Café in einem Container, es gibt eine Fahrradwerkstatt, Hochbeete und Hühner.

Noch sei das Projekt von Fördermitteln abhängig, aber man will finanziell unabhängig werden. Auf die Frage, ob sie befürchte, dass die AfD nach der Landtagswahl das Projekt einstampft, wenn sie noch mehr an Einfluss gewinnt, antwortet Sarah: "Angst? Es ist Fakt."

Schon jetzt schaue die Partei den Aktivist:innen genau auf die Hände.

Auf der Grünfläche findet Ende Juni ein Festival statt. Sarah zählt zahlreiche Bands und Aktivitäten auf. Im Mittelpunkt steht die Förderung der Demokratie. Denn in diesem Punkt werde im ländlichen Sachsen nicht genügend unternommen, klagt die Aktivistin.

Kommt die Demokratie auf dem Lehrplan in Sachsen zu kurz?

Die gebürtige Sächsin ging in Grimma zur Schule. Laut ihr sollte das Thema "Demokratie" fester im Lehrplan verankert werden. Laut Sarah muss die Jugend lernen, wie sie Demokratie anwendet, wie man sich etwa selbst zur Wahl aufstellen lassen kann.

"Mit einem Demokratietag ist die Sache nicht erledigt", meint sie. Allgemein fehle es an mehr politischer Bildung – ob in oder außerhalb der Schule. "Wir teilen die Auffassung, dass das Thema 'Demokratie' in den Lehrplänen fest verankert sein muss", teilt ein Sprecher vom Sächsischen Staatsministerium für Kultus auf watson-Anfrage mit.

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Kommt Demokratiebildung zu kurz im Lehrplan in Sachsen? Das Ministerium verneint.Bild: imago images / Uwe Ernst

Sachsen habe mehrere Maßnahmen durchgeführt, mit denen man die politische Bildung und Demokratiebildung an Schulen stärken will: Etwa wurden alle Fachlehrpläne überarbeitet, die Lehrerbildung angepasst und den Schulen steht ein Beratungsnetzwerk zur Verfügung.

"Trotz der vielfältigen Krisen, Konflikte und Kriege hoffen wir damit, unsere Schülerinnen und Schüler in aufgeregten gesellschaftlichen Zeiten zu stärken und klar für die Werte unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung Stellung zu beziehen", heißt es.

Der Sprecher kann den Vorwurf der Aktivistin demnach nicht nachvollziehen, eventuell sei es ihre persönliche Sicht oder ein Einzelproblem einer Schule. "An sächsischen Schulen haben Abwertung, Ausgrenzung und Diskriminierung keinen Platz", betont er.

Laut Sarah ist Demokratie etwas, das junge Menschen nicht automatisch in die Wiege gelegt bekommen. "Man muss es richtig verstehen, um es schützen zu können." Hier habe das Bundesland Sachsen viel verpasst – "jetzt ist der Zug abgefahren, der Kipppunkt erreicht", warnt die junge Frau. Für die Landtagswahl im Herbst sehe sie schwarz – besser gesagt: blau.

Dabei dürfe man aber nicht nur mit dem Finger auf die AfD zeigen, auch die sächsische CDU lasse sich von der Rechten treiben. Von einer Brandmauer spüre Sarah nicht viel.

Der Rechtsruck ist laut ihr nicht nur ein Problem in Ostdeutschland, jedoch treffe rechtsextremes Gedankengut in dieser Region auf fruchtbaren Boden.

Sachsen: Jugend hängt am Busbahnhof ab und bleibt in ihrer Bubble

Gerade im Sozialen werde viel gespart, was sich die Rechte zunutze mache, meint Sarah. Auch der Einfluss der Eltern spiele eine Rolle, die Teil der sogenannten "Baseballschlägerjahre" waren und das nie aufgearbeitet hätten. Während der Nachwendezeit jagten rechte Schlägerbanden etwa Linke oder Menschen mit Migrationshintergrund.

Ein lauter Motor durchbricht die Stille in der idyllischen Flussaue. Ein Postauto nutzt die Einfahrt der Fabrik zum Umlenken. An diesem Wochentag im Juni sind nur wenige Menschen unterwegs.

In der "Alten Spitzenfabrik" soll ein Veranstaltungsraum für junge Menschen entstehen.
In der "Alten Spitzenfabrik" soll ein Veranstaltungsraum für junge Menschen entstehen.bild: sarah schröder

Sarah zeigt auf eines der großen Fenster. Hohes Gras und Brennnesseln reichen bis zum Fensterrahmen. "Dort soll ein Veranstaltungsraum entstehen, seit 2017 werkeln wir daran herum. Am Ende wird es noch um die 150.000 Euro kosten", sagt sie.

In Grimma sei nicht viel los für junge Menschen, es gibt nicht mal eine Kneipe. "Die Jugend hängt am Busbahnhof oder am Supermarkt ab", sagt Sarah. Eine richtige soziale Infrastruktur, wo Austausch entsteht, gebe es kaum. Die Teenager verkehren in ihrer Bubble. Auf dem Land herrsche auch eine Art Anonymität – "hier findet sie hinter dem Gartenzaun statt".

Die Jugend fühle sich ungesehen und verdrängt – auch von den Volksparteien. Es herrsche ein gewisses Desinteresse nach der Devise: "Ach, ist doch nur der Osten." Und plötzlich fallen alle aus den Wolken, wenn sie die AfD-Werte sehen? Für Sarah kam das nicht überraschend, sondern schleichend. Menschen, die hier was bewegen wollen, erhielten laut ihr nicht genügend Unterstützung, den Prozess aufzuhalten.

"Die Faschos nehmen den öffentlichen Raum ein."
Aktivistin Sarah Schröder

AfD ist "am lautesten am Stammtisch" – Grüne sind nicht präsent

Laut ihr öffnete sich ein großer Raum, den die AfD gut zu füllen verstand – bis heute. "Sie sind am lautesten am Stammtisch, die Grünen haben in Grimma nicht mal ein Büro." Eine Anfrage von watson an die Grünen im Landkreis Leipzig blieb dazu unbeantwortet.

Laut Sarah dominiert die Rechte den Diskurs und liefert einfache Antworten, die unkritisch übernommen werden; auch von jungen Menschen.

"Die Faschos nehmen den öffentlichen Raum ein, sei es in den umliegenden Discos oder auf dem Stadtfest", erklärt die Aktivistin. Dann fallen schon mal Hitlergrüße und es werde offen Sexismus, Rassismus und Homofeindlichkeit ausgelebt. "Aber man kennt sich ja, es ist gesellschaftlich akzeptiert", sagt sie.

Die "Leute von der Spitzenfabrik" seien hingegen die "nervigen Nestbeschmutzer", die den "Frieden" in der Stadt stören. Es kommt zu Vandalismus: "Sie beschmutzen die Fabrikwände mit Hakenkreuzen, schlagen Scheiben ein oder drohen uns direkt." Dennoch will Sarah weitermachen, zeigt auch ihr Gesicht in der Öffentlichkeit.

Aktivistin Sarah Schröder im Gespräch mit watson.
Aktivistin Sarah Schröder im Gespräch mit watson.Bild: watson / anne hamilton

Seit sie 14 Jahre alt ist, setzt sich Sarah für Demokratie und Jugendarbeit ein. Auslöser sei der Sommer der Migration 2015 gewesen, "als die Leute durch Grimma zogen und offen fremdenfeindliche und rechte Parolen grölten". Rechte Inhalte schwappten damals bis in Sarahs Klassenzimmer auf ihre Mitschüler:innen über.

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Laut ihr ist die AfD zu präsent in Ostdeutschland, während andere Parteien nicht greifbar sind – vor allem für die Jugend. "Mal eben eine neue Tischtennisplatte hinbauen und dann ist gut?", fragt die junge Frau mit hochgezogener Stirn. Es brauche mehr – mehr Einsatz, mehr Präsenz, mehr Unterstützung.

Sarah studiert in Leipzig Politik, Philosophie und Germanistik auf Lehramt. Für ihre Arbeit fährt sie mehrmals die Woche nach Grimma. Sie möchte weiterhin einen sozialen Beruf in der Kleinstadt ausüben; etwas verändern, für die Freiheit einstehen, Grenzen einreißen – wie die Hühner der "Alten Spitzenfabrik" – egal, ob (ihr) der heiße Kochtopf droht.

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