"Protect trans kids" steh auf einem Plakat auf der Pride Parade in Houston, Texas.Bild: IMAGO/NurPhoto / Reginald Mathalone
watson antwortet
19.06.2023, 19:1719.06.2023, 19:25
Es ist Pride Month – der Monat, in dem LGBTQIA+-Personen auf ihre Rechte aufmerksam machen. Doch noch immer hat sich der Bundestag nicht abschließend zum geplanten Selbstbestimmungsgesetz positioniert. Der Gesetzentwurf steht, doch die Debatte steht noch aus.
Neu: dein Watson-Update
Jetzt nur auf Instagram: dein watson-Update!
Hier findest du unseren
Broadcast-Channel, in dem wir dich mit den watson-Highlights versorgen. Und zwar nur einmal pro Tag – kein Spam und kein Blabla, versprochen! Probiert es jetzt aus. Und folgt uns natürlich gerne
hier auch auf Instagram.
Was aber beinhaltet das Selbstbestimmungsgesetz? Warum löst es das Transsexuellengesetz ab und wo gibt es Kritik? Ein Überblick.
Was sind die Inhalte des Selbstbestimmungsgesetzes?
Grundsätzlich geht es beim Selbstbestimmungsgesetz (SBGG) darum, transgeschlechtlichen (oder trans*) Personen, intersexuellen und non-binären Menschen eine Änderung im Personenstandsregister zu vereinfachen und ihnen diesen Vorgang würdevoll und unter Wahrung der Menschenrechte zu ermöglichen.
Künftig, wenn Bundestag und Bundesrat dem Gesetzentwurf zustimmen, soll die Änderung des eigenen Vornamens sowie des Eintrags im Personenstandsregister beim Standesamt vollzogen werden. Was wird hierfür gebraucht? Eine Erklärung der jeweiligen Person und eine angefügte Eigenversicherung sollen quasi die einzigen Voraussetzungen sein.
Was die Begriffe bedeuten:
Transgeschlechtlich oder trans*
Menschen, die sich nicht oder nicht nur mit dem Geschlecht identifizieren, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde.
Intergeschlechtlich
Menschen haben angeborene körperliche Merkmale, die sich nach medizinischen Normen nicht eindeutig als (nur) männlich oder (nur) weiblich einordnen lassen.
Non-binär
Das ist eine Selbstbezeichnung für Menschen, die sich weder als Mann noch Frau identifizieren.
Zunächst einmal geht es darum, dass die betroffene Person mit ihrer Erklärung versichert, dass der gewählte Geschlechtseintrag oder die Streichung des Eintrags ihrer Geschlechtsidentität am besten entspricht, und ihr die Tragweite bewusst ist. Zuvor waren Gutachten von Sachverständigen notwendig und ein Amtsgericht hatte die Gewalt darüber, zu entscheiden: Darf die Person ihren Geschlechtseintrag ändern oder streichen – oder nicht.
Mit dem SBGG ändern sich die Geschlechter innerhalb des Registers allerdings nicht: Es wird weiterhin die Einträge "männlich", "weiblich" und "divers" geben oder die Möglichkeit, die Angabe beim Geschlecht komplett zu streichen.
Warum kommt das neue Gesetz?
Bisher hatte das Transsexuellengesetz (TSG) die Regelungen und Voraussetzungen vorgegeben, wenn Menschen ihre Namen oder das Geschlecht auf dem Papier ändern wollten. Dies wurde bereits seit Längerem heftig kritisiert.
Allein der Name des Gesetzes war für viele schon ein Problem. Denn transsexuell beschreibe nicht den Kern der Identität.
Auch das Familienministerium unter der Grünen-Ministerin Lisa Paus schreibt:
"Das Wort 'transsexuell' ist historisch verknüpft mit der Pathologisierung und Stigmatisierung von transgeschlechtlichen Personen."
Erst 2018 strich die Weltgesundheitsorganisation übrigens Transgeschlechtlichkeit aus der Liste der psychischen Krankheiten.
April 2023: Marco Buschmann und Lisa Paus stellen die Eckpunkte des Selbstbestimmungsgesetzes vor.Bild: dpa / Kay Nietfeld
Zudem ist das Gesetz bereits mehr als 40 Jahre alt, und beinhaltet Maßnahmen, die für trans*, intersexuelle oder non-binäre Personen entwürdigend sind.
Den Namen oder Geschlechtseintrag zu ändern, ist noch immer mit einer langen und teuren Prozedur verbunden. Betroffene müssen zwei unabhängige Gutachten vorlegen, in denen sie intimste Fragen zu ihrer Sexualität, ihren Vorlieben und auch der Häufigkeit der Masturbation beantworten.
Das Bundesverfassungsgericht hat zudem festgestellt, dass zur Menschenwürde eben auch das Recht auf geschlechtliche Selbstbestimmung zählt – und dieses durch das TSG nicht gedeckt wird.
Welche Sonderregelungen gibt es?
Grundsätzlich sollen Menschen, die ihren Geschlechtseintrag geändert haben, vor dem Gesetz genauso gleich sein, wie alle anderen. Hat eine gesetzliche Maßnahme in irgendeiner Art und Weise das Geschlecht zur Grundlage, soll das eingetragene Geschlecht gelten.
Allerdings hat es im Vorfeld Kritik und Sorgen gegeben, denen die Ampel-Regierung versuchte, entgegenzukommen.
- Minderjährige:
Für Minderjährige bis 14 Jahre geben die Sorgeberechtigten die Änderungserklärung ab. Wer 14 bis 18 Jahre alt ist, gibt die Erklärung selbst ab, aber nur mit Erlaubnis aller Sorgeberechtigten. Sind sich die Sorgeberechtigten nicht einig oder erlauben den Schritt nicht, kann im Zweifel auch ein Familiengericht die Erlaubnis geben.
- Quotenregelungen
Grundsätzlich gilt der Eintrag im Register. Ändert eine Person allerdings nach Anstellung oder Berufung den Eintrag, soll der vorherige Geschlechtseintrag maßgeblich sein.
- Sport
Regeln zur Bewertung sportlicher Leistungen im Schulunterricht werden laut Familienministerium von den Ländern gemacht. Im Vereins- und Wettkampfsport sollen die jeweiligen Veranstalter entscheiden. - Verteidigungsfall
Sollte sich Deutschland in einem Krieg verteidigen müssen, gilt laut dem Gesetzentwurf der männliche Eintrag – auch, wenn die trans* Person ihre weibliche Identität amtlich geändert hat. Allerdings nur dann, "wenn ein Änderungsantrag in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit dem Spannungs- und Verteidigungsfall gestellt wird".
- Gefängnisse
Bei Haftanstalten müsse sich die Unterbringung von Strafgefangenen nicht allein am Geschlechtseintrag orientieren. Persönlichkeitsrechte und Sicherheitsinteressen anderer Strafgefangener könnten der Verlegung in ein Frauengefängnis entgegenstehen.
- Schutzräume
Umkleidekabinen, Toiletten: Für einige Kritiker:innen waren diese Schutzräume ein großes Problem. Das Familienministerium stellt allerdings klar: Es wird keinen Anspruch auf Zugang zu geschützten Räumen geben. "Die bestehende Rechtslage in Bezug auf die Vertragsfreiheit und das private Hausrecht bleibt durch das SBGG unberührt."
Warum gibt es Kritik?
Populistische Kritik vonseiten der AfD war zu erwarten. Im Februar 2022 fiel die Abgeordnete und ehemalige Vize-Parteichefin Beatrix von Storch über die Grünen-Abgeordnete Tessa Ganserer her, bezeichnete sie als Mann und nannte ihren Deadname.
Doch auch die Linkenpolitikerin Sahra Wagenknecht bezeichnete den Entwurf als absurd und "ideologiegetriebene Politik, für die man in bestimmten Sekten bejubelt wird".
Genannt werden in diesem Zusammenhang die immergleichen "Sorgen":
- Änderung "nach Lust und Laune" möglich
- Schutz für Frauen werde nicht mehr gewährleistet
- Kindern werde nahegelegt, "dass sie die Lösung ihrer Probleme im anderen Geschlecht suchen sollten"
Auch aus der Union kommt Kritik. Der ehemalige Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) wirft der Ampel einen aktiven Kulturkampf vor. Mit zahlreichen Gesetzesvorhaben wie dem Selbstbestimmungsgesetz, der Streichung der Abtreibung aus dem Strafgesetzbuch, der Freigabe von Cannabis oder einem neuen Staatsbürgerschaftsrecht in Zeiten von "Rekordmigration" überfordere die Regierung viele Bürger:innen. "Selbst die Ansicht, ein Mann hat einen Penis und eine Frau nicht, gilt inzwischen in Teilen der Ampel-Koalition als problematisch."
Laut Jens Spahn ist die "Rekordmigration" wichtiger als das Selbstbestimmungsgesetz.Bild: dpa / Carsten Koall
Auch weitere Unionspolitiker:innen meldeten sich zu Wort. Die Pläne der Ampel gingen "in ihrem extremen und pauschalen Ansatz" zu weit. Allein der Name "Selbstbestimmungsgesetz" mache vor, geschlechtliche Identität müsse jederzeit frei wählbar sein. Für die große Mehrheit der Bevölkerung stehe ihr Geschlecht jedoch nicht infrage.
Doch nicht nur von populistischer oder konservativer Seite gibt es Bedenken.
Der Queer-Beauftragte der Bundesregierung, Sven Lehmann, setzt auf Nachbesserungen. Zwar sieht er das SBGG als "großen Fortschritt für Grund- und Menschenrechte", kritisch wertete der Grünen-Politiker aber, dass diese Eintragsänderung erst nach drei Monaten gültig werden soll.
Auch dass im Gesetzentwurf mit Blick auf den Zugang zu Saunen oder Fitnessstudios vor allem auf das Hausrecht der Betreiber verwiesen wird, hält Lehmann für abänderungsbedürftig. Man könne übergriffige Menschen rausschmeißen, aber niemanden abweisen, weil sie oder er trans* sei.
(Mit Material der dpa)
Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat die skandinavischen Staaten dazu gebracht, ihre Neutralität aufzugeben. Finnland trat im April 2023 der Nato bei. Im März 2024 folgte dann Schweden.