Das neue Parlament hat so viele Abgeordnete wie nie zuvor.Bild: imago images / Frederic Kern
Exklusiv
26.10.2021, 20:2527.10.2021, 07:58
Wäre nicht ohnehin schon Herbst, könnte man den frischen Wind spüren, der seit Dienstag durch die ehrwürdigen Räume des Reichstags weht. Das neu gewählte Parlament ist jünger und weiblicher als je zuvor.
"Heute ist ein ganz besonderer Tag, für die Demokratie und für mich persönlich", sagt Ricarda Lang gegenüber watson. Die ehemalige Sprecherin der Grünen Jugend hat den Sprung in den Bundestag geschafft und freut sich auf die kommenden Herausforderungen. Es sei schön zu erleben, wie lebendig und handlungsfähig die Demokratie in Deutschland sei.
Zu Beginn der konstituierenden Sitzung am Dienstag hatte vor allem die AfD für Aufmerksamkeit gesorgt. Die EU-Kommission solle ein rechtstaatliches Verfahren wegen Missachtung der Opposition einleiten, sagte ein AfD-Vertreter. Und meinte damit die Wahl des Alterspräsidenten des Bundestages. Dieses stehe dem AfD-Fraktionsvorsitzenden Alexander Gauland zu, denn der sei nun mal der älteste Politiker im Haus.
Angela Merkel nimmt auf der Tribüne Platz
Am Ende fiel die Wahl statt auf Gauland, der 2018 die Zeit des Nationalsozialismus als einen „Vogelschiss“ in der deutschen Geschichte bezeichnet hatte, auf Wolfgang Schäuble. Er ist zwar etwas jünger als Gauland. Dafür ist er der dienstälteste Abgeordnete in der Geschichte des Bundestages.
Den neu gewählten Kolleginnen und Kollegen gibt Schäuble mit auf den Weg, sich den Sinn dafür zu bewahren "was anständig ist, und mehr noch – was unanständig ist". Eine Volte, die durchaus in Richtung der AfD interpretiert werden kann.
Was unten im Plenarsaal passiert, wird währenddessen aus gehobener Position beäugt. Und zwar von der scheidenden Bundeskanzlerin Angela Merkel, die nur noch geschäftsführend im Amt ist. Sie nimmt regelkonform erstmals auf der Tribüne Platz.
Auch zwei Dutzend AfD-Abgeordnete müssen das Geschehen von außen betrachten. Weil sie sich weigern, sich an die 3G-Regel zu halten und ihren Impfstatus offenzulegen, müssen auch sie auf einer eigens für sie reservierten Tribüne sitzen.
Skepsis gegenüber den Corona-Maßnahmen zu streuen, war eine zentrale politische Strategie der Partei im Wahlkampf. Die Fraktionen hatten sich darauf geeinigt, dass nur Geimpfte, genesene und Getestete Zugang zum Plenarsaal haben. Wer die Kriterien erfüllte, bekam ein schwarz-rot-goldenes Bändchen.
"Es ist wirklich ein ganz besonderes Gefühl jetzt den eigenen Namen zu hören und abstimmen zu dürfen – eine große Ehre"
Zu ihnen gehört auch der 34-jährige FDP-Politiker Benjamin Strasser. Im Gespräch mit watson sagt er: "Es ist wirklich ein erhebendes Gefühl in der Herzkammer der Demokratie arbeiten und dienen zu dürfen. Diesen Eindruck nimmt mir auch nicht der Klamauk der AfD." Politisch wolle er für Reformen und Veränderung in Wirtschaft, Bildung, Klima, Staat und Verwaltung kämpfen. "Ich will mich persönlich dabei vor allem auf die Reform der föderalen Sicherheitsarchitektur konzentrieren", ergänzt er.
Verena Hubertz von der SPD sagt: "Es ist wirklich ein ganz besonderes Gefühl jetzt den eigenen Namen zu hören und abstimmen zu dürfen – eine große Ehre. Übrigens konnte ich gleich in meiner ersten Sitzung neben Karl Lauterbach sitzen."
Der erste Tag ist geschafft – jetzt wird sich zeigen, was der frische Wind in den kommenden Jahren an Veränderung bringt.