Feminismus. Das ist der Sammelbegriff für eine gesellschaftliche und soziale Strömung. Eine Denkrichtung. Eine Lebenseinstellung. Es ist der Begriff für den Kampf, um die Gleichstellung. Menschenwürde. Ein Kampf gegen Sexualisierung und gegen das Patriarchat.
Eine Gesellschaftsordnung, in der Männer als das starke und Frauen als das schwache Geschlecht angesehen werden. Und das schon so lange, dass die Geschlechterrollen, die wir erlernt haben, sich diesem Grundsatz angepasst haben. Feministinnen und Feministen brechen damit. Und sie wollen dafür Kämpfen, dass sich gesamtgesellschaftlich etwas verändert.
Seit 104 Jahren etwa dürfen Frauen in Deutschland wählen, seit 25 Jahren ist die Vergewaltigung in der Ehe strafbar, seit 64 Jahren dürfen Frauen ein eigenes Konto eröffnen. Im 20. Jahrhundert hat sich also einiges getan. Doch bis heute ist Luft nach oben.
Feminismus, das bedeutet, dass Frauen andere Frauen supporten. Und trotzdem gibt es eklatante Streitpunkte zwischen den feministischen Strömungen, zwischen den feministischen Generationen. Einer dieser Streitpunkte: der Hijab.
Das Kopftuch, das manche Muslimas aus religiösen Gründen tragen, steht für manche westliche Feministin im Gegensatz zur Grundidee des Feminismus.
watson hat mit Feministinnen, die einen Hijab tragen, darüber gesprochen, warum das Kopftuch für sie keinen Gegensatz darstellt. Und sie gefragt, wie ihre Religion sie bestärkt und welche Erfahrungen sie mit anderen Feministinnen aufgrund ihres Hijabs gemacht haben.
"Feminismus bedeutet für mich persönlich Freiheit.
Frei von allen Stereotypen, frei von jeglichen Hindernissen, die dir die Gesellschaft und dessen Systeme in den Weg stellen. Zusammenhalt und Rücksicht. Nach dieser Vorstellung streben wir Feministen. Egal welcher Gruppe oder Minderheit du zugehörst oder dich zugehörig fühlst, diese Freiheit zu entscheiden, wie, wo und was du trägst, sagst und verdienst sollte gegeben sein. Ohne Ausnahmen.
Deshalb schließen sich mein Verständnis von Feminismus und mein Hijab auch nicht aus.
Für jeden Menschen, ja sogar für jedes Lebewesen, bedeutet Freiheit etwas anderes. Für die einen mag es sein, dass sie sich frei fühlen, wenn sie sich kurz anziehen und so der Sexualisierung des weiblichen Körpers durch die Gesellschaft und Kultur entgegenwirken.
Für mich und viele andere Frauen ist es das Bedecken, welches das gleiche Ziel hat. An allererster Stelle steht natürlich mein Gottesdienst, der durch das Kopftuch erfolgt, aber mein Hijab hat so viele Vorteile (spirituelle, psychische sowie physische), die es einem erleichtern, die Entscheidung zu fällen, es anzuziehen.
Eingeschränkt fühle ich mich tatsächlich dann erst, durch die Menschen, die mich mit meiner Identität und dem Hijab nicht akzeptieren wollen. Menschen, die mir Dinge zuschreiben, die durch Stereotype beeinflusst sind.
Ich frage mich: Wie kann man einer Großzahl von Menschen, die alle komplett verschieden sind, mit genau den gleichen Vorwürfen verurteilen?
Mein Hijab ist meine Freiheit. Meine Identität. Meine Liebe und mein Recht.
Und trotzdem treffe ich immer wieder auf Menschen, sogar Feministen, die mir dieses Recht absprechen wollen.
Ob es große Gesellschaften waren, die mit ihren Posts oder Veranstaltungen das Hijab und den Islam verurteilen oder es "nur" Alltagsrassismen sind. Dieses Thema ist ein Riesen-Problem, über welches viel öfter und strenger gesprochen werden sollte.
Als Hijabi wird man oft als unterdrückt, ungebildet, introvertiert und schwach gelesen. An allererster Stelle finde ich es wichtig, dass jeder, der sich als Feminist bezeichnet, sich über den Islam und seiner Perspektive des Feminismus informiert. In meinen Augen bist du erst dann wirklich ein Feminist, wenn du auch intersektional denkst.
Wieso einer Frau etwas absprechen, wenn man nur eine Perspektive kennt?
Bestärkt fühle ich mich in meiner feministischen Haltung sehr durch die Frauen in der Geschichte des Islams! Zum Beispiel durch Khadijah, die Frau unseres Prophetens (Friede und Segen sei auf Ihm), welche eine sehr starke Geschäftsfrau im früheren Mekka war. Ihre Geschichten und Präsenz waren wirklich unglaublich und sie ist ein Vorbild für viele Muslim/innen!"
"Ohne Feminismus könnten viele Frauen heute nicht Ihre Rechte einfordern. Feminismus ist somit eine Grundhaltung, sich als Frau für die eigenen Menschenrechte einzusetzen und sich für Gleichheit und Gleichwertigkeit gesellschaftlich, politisch und öffentlich einzusetzen. Sie ist eine notwendige offensive Haltung, die aus der Unterdrückung von Frauen in sämtlichen Systemen entstanden ist.
Feminismus wird so lange fortbestehen, bis der Zustand von Gleichheit und Gerechtigkeit der Frauen in der Gesamtgesellschaft erreicht ist.
Die Selbstbestimmung der Frauen über ihre Denkweise und Kleidungsweise im gesellschaftlichen, politischen und religiösen Kontext ist ein Kernpunkt des Feminismus aus meiner Sicht. Der Wunsch nach Gerechtigkeit und das Bedürfnis der Frauen, sich aus freien Stücken bedeckter als andere Frauen zu kleiden, ohne jegliche Ungleichheit zu erfahren, ist ein weiterer wichtiger Aspekt des international und intersektional verstandenen Feminismus.
Es gibt vielfältige Dimensionen, die Frauen in ihrer Identität prägen, dazu gehören Herkunft, Religion, sexuelle Orientierung, Kultur und vieles mehr. Das eine oder andere Identitätsmerkmal aufgrund familiärem, gesellschaftlichem oder politischem Druck und Erwartungshaltungen aufzugeben, bedeutet eine Verstellung oder gar Verleugnung der eigenen Identität.
Frauen werden in unseren Gesellschaften viel zu oft nach ihrem äußerlichen Erscheinungsbild beurteilt und unter Druck gesetzt, wogegen sich Frauen selbst wehren müssen. Dieser Druck und diese Erwartungshaltung gegenüber den Frauen, sei es mit Tüchern auf dem Kopf oder ohne Tücher, sollte gesellschaftlich und politisch wegfallen und kein Maßstab dafür sein, Frauen aus dem öffentlichen Leben und von der Partizipation auf allen gesellschaftlichen Ebenen auszuschließen oder zu benachteiligen.
Eine Gesellschaft, die Frauen ihre Identität abspricht und nicht einmal die Diversität der Frauen am Erscheinungsbild aushalten kann, ist eine schwache Gesellschaft.
Ein System, das diese Denkweise politisch verfolgt, ist antifeministisch sowie demokratieschädlich und schadet hauptsächlich der freien und gerechten Entfaltung von Frauen, deren Bildungsteilhabe sowie der Beteiligung an politischen und strukturgestaltenden Prozessen.
In den letzten zwanzig Jahren habe ich in Deutschland unzählige Erfahrungen damit gemacht, dass Frauen, die sich emanzipieren wollten, aufgrund des Kopftuches in unserer Gesellschaft regelrecht daran gehindert wurden. Feminismus heißt für diese Frauen nicht Kopftuch ab, sondern Gerechtigkeit her – und zwar für alle Frauen, dazu gehört auch das Recht der Glaubens- und Gewissensfreiheit.
Den Frauen die eigene Entscheidungsfreiheit darüber abzusprechen, wie sie zu glauben oder zu leben haben und wie und ob sie sich freiwillig zu bedecken haben, führt dazu, dass man die eigene Willens- und Entscheidungsfähigkeit dieser Frauen mit Füßen tritt. Die Hauptangreifer der muslimischen Frauen, die selbstbewusst und emanzipatorisch ein Kopftuch tragen, sind leider nicht nur Rechtsextreme, sondern teilweise auch Feministinnen, die den Feminismus eindimensional verstehen, ein laizistisches System etablieren wollen oder Religionen kategorisch ablehnen.
Der Koran kann von Menschen positiv oder negativ ausgelegt werden. Es ist eine Frage der Leseart des Korans und die Überlieferungen des Propheten.
Ich sehe viele Grundlagen im Koran, die eine feministische Haltung untermauern.
Der Koran muss jedoch aus meiner Sicht im Kontext seiner Zeit und in Verbindung mit unserer Zeit gesehen und verstanden werden. Jeder Mensch wird einen anderen Zugang dazu haben. Menschen, die den Islam im Kontext von Feminismus, Wissenschaft, Umweltschutz etc. verstehen wollen, müssen genug Wissen, das heißt theologisches, soziologisches, sprachliches, weltliches, spirituelles etc. Wissen haben, um die Texte für sich entsprechend zu verstehen und deuten zu können.
Das Hindernis, das uns Frauen oft begegnet, ist die noch immer zu rare Perspektive der Frauen in den religiösen Quellen und die jeweiligen theologischen Deutungen. Der Wunsch und das Verlangen der Frauen, immer stärker feministisch an diese Quellen heranzugehen, ist das Ergebnis dieser Tatsache.
Solange eine sexistische Sicht und eine dominante patriarchalische Systemstruktur vorhanden ist, gleichwohl ob sich Frauen darin befinden, wird es einen dringend notwendigen Feminismus geben."
"Feminismus bedeutet für mich, das Kämpfen für die Gleichheit der Geschlechter. Feministisch zu denken und zu leben, bedeutet demzufolge, diese Gleichheit einzufordern, wo sie noch nicht erreicht ist.
Deshalb verstehe ich nicht, wieso viele Frauen, sich dagegen wehren, als Feministin bezeichnet zu werden oder behaupten, wir bräuchten heute keinen Feminismus mehr. Ich finde es wichtig, das zu benennen: Ihr unterstützt damit, dass strukturelle Ungerechtigkeiten weiter fortbestehen können.
Für mich muss Feminismus intersektional gedacht werden. Heißt: Sich nicht auf bestimmte, ausgewählte Gruppierungen beschränken, sondern jede Frau inkludieren. Egal, welcher sozialen Schicht, Religion oder kulturellem Kreis diese angehört. Für mich bist du kein Feminist, wenn du Frauen ausschließt und ihnen vorschreiben willst, wie sie zu leben haben.
Was ich zum Beispiel mit meinem Körper mache, ist allein meine Entscheidung und da hat sich niemand einzumischen. Wenn eine andere Frau für sich entscheidet, ihren Körper zu zeigen, dann ist das ihr gutes Recht. Genau so habe ich das Recht, meinen Körper zu bedecken, egal aus welcher Motivation heraus.
Ich finde es schade, dass viele ihr Weltbild so klein halten.
Und ja, es ist verletzend.
Und es macht mich wütend.
Wie kann ein Teil meiner Identität zum Symbol von Unterdrückung gemacht werden?
Natürlich gibt es Frauen und Mädchen, die dazu gezwungen werden, sich zu bedecken. Keine Frau, die einen Hijab aus freien Stücken trägt, würde je abstreiten, dass es solche Fälle gibt. Aber das sind doch zwei völlig verschiedene Diskussionen. Das so zu polarisieren und uns in eine Ecke zu drängen, uns unseren freien Willen abzusprechen halte ich für diskriminierend. Es verstärkt Rassismen und spaltet. Und viel mehr noch: Ich fühle mich durch solche Aussagen entmenschlicht.
Meine Religion bestärkt mich in meiner feministischen Haltung. Die Punkte, an denen ich mich störe, halte ich vor allem für kulturell-bedingt. Beispielsweise, dass vor allem weibliche Körper tabuisiert werden. Aufklärung ist so wichtig. Ich muss wissen, wie mein Körper funktioniert, ihn kennenlernen. Dass solche Themen mit so viel Scham behaftet sind und das Ganze im Namen des Islam passiert, verurteile ich enorm."