In der Republik Moldau toben seit Wochen Proteste gegen die prowestliche Regierung. Die verarmte Bevölkerung wird dabei von russischen Kräften instrumentalisiert.Bild: Pool Sputnik Kremlin / Sergei Savostyanov
Analyse
15.03.2023, 11:4915.03.2023, 11:55
Marina Tauber versucht, sich durch eine Mauer aus Polizei und Militär zu kämpfen. Perfekt gestylt, in weißem Wollmantel und grünem Pullover, ist sie mit einem Megafon auf einem ruckeligen Video zu sehen. Sie wird zurückgedrängt, doch nutzt eine freie Sekunde, um in ihren Verstärker zu schreien: "Russland!" Es wirkt, als hätte sie genau diese Situation gesucht. Für die Kameras. Für die Erzählung.
"Nieder mit der Diktatur" – rufen Demonstrierende in dem demokratischen Land.
Marina Tauber ist eines der Gesichter der prorussischen moldauischen Partei Schor. Die beschriebene Szene spielte sich am Sonntag in Chișinău, der Hauptstadt Moldaus, ab. Seit Wochen gibt es dort Proteste gegen die proeuropäische Regierung der Republik.
Organisiert sind sie von prorussische Kräften – damit ist vor allem der Schor-Parteigründer und Namensgeber Ilan Shor gemeint. Der hat sich vor vier Jahren nach Israel abgesetzt, weil er wegen seiner Verwicklung in den Diebstahl von über 700 Millionen US-Dollar aus Moldaus Bankensystem zu einer Haftstrafe von 7,5 Jahren verurteilt wurde.
Aus Israel heraus lenkt Oppositionsführer Proteste in Moldau
Shor lenkt jedoch weiter die Bemühungen seiner Partei. In mehreren Videos soll sich der 36-Jährige an Bürger:innen Moldaus gewandt und ihnen Geld versprochen haben, wenn sie zu den Protesten kommen. Seine rechte Hand und Partei-Vize Tauber gab bereits zu, dass Menschen bezahlt wurden.
Shor-Vize Marina Tauber auf der Demonstration am Sonntag.Bild: AP / Aurel Obreja
Kurz vor dem Protest veröffentlichten moldauische Behörden die Nachricht: Man will ein prorussisches Netzwerk enttarnt haben. 25 Menschen wurden befragt, sieben festgenommen. Den Angaben zufolge hat ein Undercover-Agent Gruppen infiltriert, deren Mitglieder zum Teil russische Staatsbürger gewesen seien. "Destabilisierende Aktionen durch russische Geheimdienste" sollen "mittels Demonstrationen" geplant gewesen sein.
Wie viele postsowjetische Länder steht auch die Republik Moldau im Zentrum russischer Desinformation und auch russischer antidemokratischer Bemühungen. Moldau will in die EU, ist seit Juni 2022 Beitrittskandidat. Für Russland wohl ein Grund, einzugreifen. Offenbar sind auch russische Teilnehmende Woche für Woche unter den Demonstrierenden in Chișinău.
Aber was ist Putins Moldau-Plan? Will er auch hier einmarschieren?
Wie Investigativteams von WDR, NDR und der "Süddeutschen Zeitung" nun herausgefunden haben wollen, verfolgt Russland offenbar seit Langem einen Plan in der Republik. Die Journalist:innen haben ein Dokument ausgewertet, in dem Russlands Präsidialverwaltung bereits 2021 festgehalten hat, wie prorussische Strömungen gefördert werden sollen. Gleichzeitig sollen Bemühungen Richtung Westen verhindern werden.
Nicht nur prorussische Kräfte aktiv
Politisch, militärisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich will Moskau demnach in Moldau eingreifen. Den Angaben der Journalist:innen zufolge stammt dieses Dokument von denselben Autor:innen, die ebenfalls 2021 eine Strategie zur Einverleibung von Belarus entworfen haben sollen.
Doch sind es eben nicht bloß russische und prorussische Kräfte, die in Chișinău gegen die proeuropäische Regierung der Politikerin Maia Sandu demonstrieren. Es sind vor allem ältere Menschen, ärmere Menschen, Menschen aus der Agrarwirtschaft. Denn: Moldau ist das ärmste Land Europas.
Und gerade durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine ist das Land noch stärker gebeutelt als zuvor: Mehr als eine halbe Million ukrainische Geflüchtete kamen in das Land mit nur 2,6 Millionen Einwohner:innen. Die Energiekrise schlägt zu – und zwar heftig. Die globale Finanz- und Wirtschaftssituation, auch die Nachwirkungen der Pandemie sind große Faktoren.
Kombiniert mit den EU-Eintrittsplänen bedeutet das noch mehr Leid. Denn Moldau muss sich langsam aber sicher aus der russischen Energieabhängigkeit lösen. Das ist teuer. Das schlägt vor allem in ländlich geprägten Regionen zu Buche.
Ilan Shor, der Oppositionsführer im Ausland, forderte am Montag, die Regierung solle die Energierechnungen der Bevölkerung für die Wintermonate übernehmen – oder zurücktreten. Das skandieren auch die Protestierenden in der Hauptstadt Woche für Woche.
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Ein verzweifeltes Volk also, das von prorussischen Kräften instrumentalisiert und desinformiert wird. Doch Nadja Douglas, Forscherin am Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien in Berlin, warnt: "Es wird viel spekuliert über verschiedene Formen der Unterwanderung, die aus Russland gestartet werden: Das muss man allerdings differenziert betrachten."
Klar seien Saboteure und Provokateure, die russische Interessen verfolgten, aktiv und machten sich die Not der Bevölkerung zunutze. "Doch ich würde davor warnen, die Rhetorik der moldauischen Regierung komplett zu übernehmen und zu sagen, die Proteste, die gerade stattfinden, sind gänzlich von Russland gelenkt", erklärt Douglas.
Viele Menschen, die auf die Straße gingen, befänden sich in großer wirtschaftlicher Not. "Die Inflation galoppiert, die Menschen können sich Heizmittel, Obst, Gemüse und Lebensmittel allgemein nicht mehr leisten. Sie sind einfach verzweifelt." Wenn man nicht mehr wisse, wie man seine Lebenshaltungskosten bestreiten soll, suche man nach Schuldigen. "Dafür hält die moldauische Regierung, die Staatsführung jetzt her – also auch Maia Sandu wird verantwortlich gemacht."
Putsch in Moldau noch in diesem Jahr?
Der Russland- und Osteuropaexperte bei der Deutschen Gesellschaft für Internationale Politik, Stefan Meister, sieht eine große Gefahr darin, dass genau diese Kombination aus Unmut und prorussischer Instrumentalisierung zu einem Putsch führen könnte. Die Lage sei "relativ instabil", sagte er dem "Handelsblatt".
Vor allem ältere Menschen demonstrieren in Chișinău.Bild: imago images / SNA
Im schlimmsten Fall könne es noch in diesem oder im nächsten Jahr zu einem Umsturz kommen. Auch die Regierungschefin Sandu hatte bereits vor etwaigen Umsturzplänen gewarnt. Geheimdienste aus der Ukraine und den USA bekräftigen diese Sorge. Und nicht nur das: Offene Drohungen gehören seit Jahren zu Russlands Einschüchterungsstrategie: Erst kürzlich drohte Russlands Außenminister Sergei Lawrow, Moldau müsse nach der Ukraine dran glauben.
Auch Expertin Douglas sagt, dass die russische Einflussnahme zunimmt. Der Oligarch und Parteigründer Ilan Shor dirigiert diese Proteste. Und: "Er bekommt Anweisungen aus Russland, das ist unstrittig", sagt Douglas.
Für die Politikwissenschaftlerin ist klar: Russland will Moldau destabilisieren. "Dass Moldau seit Juni vergangenen Jahres den EU-Kandidatenstatus hat, passt nicht in das russische Narrativ des Nahen Auslands." Damit sind die 14 ehemaligen Unionsrepubliken der Sowjetunion gemeint. Aus Sicht Russlands will man damit vor allem eine historische, kulturelle und wirtschaftliche Verbundenheit oder auch die Abhängigkeit dieser Staaten von Russland suggerieren.
Douglas sagt:
"Der Kreml und Putin möchten Moldau und die Länder mit großen russischsprachigen Bevölkerungsanteilen im russischen Orbit belassen und Einfluss ausüben. Natürlich sind sie über Kreuz mit der derzeitigen proeuropäischen Regierung, die sich ganz klar positioniert hat – auch gegen den Krieg in Solidarität mit der Ukraine."
Immer wieder wird vor allem in westlichen Medien davor gewarnt, Moldau könnte zu einer zweiten Ukraine werden. Douglas sieht derzeit keine unmittelbare Gefahr für die militärische Sicherheit der Republik, "doch die Gefahr weiterer Destabilisierung und Versuche der Unterwanderung ist real".
Insgesamt, meint die Expertin, nimmt Russland Einfluss und will Staat und Gesellschaft in Moldau verunsichern – auf hybride Art und Weise. "Aber zu mehr ist es gerade nicht fähig." Das Ziel: den EU-Beitritt verhindern. "Aber solange es die Kriegsaktivitäten in der Ukraine gibt, droht Moldau vermutlich kein sicherheitspolitisches Risiko. Ausschließen kann man es trotzdem nicht."