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Nach HIMARS: Jetzt fordert die Ukraine die ATACMS-Rakete – so reagiert Russland

Eine ATACMS-Rakete abgefeuert von einem HIMARS.
Eine ATACMS-Rakete abgefeuert von einem HIMARS.Bild: picture alliance / YONHAPNEWS AGENCY / Yonhap
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Jetzt wollen die Ukrainer die ATACMS-Rakete – und so reagieren die Russen

Die Ukrainer feiern mit den HIMARS erste Erfolge. Doch das Waffensystem hätte noch viel mehr Potenzial.
20.07.2022, 12:25
Corsin Manser / watson.ch
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Die Ukrainer können im Krieg gegen Russland neu auf den Raketenwerfer HIMARS zählen. Damit sollen sie bereits erhebliche Erfolge gefeiert haben, wie die Nachrichtenagentur AFP schreibt. Seit Mitte Juni seien 20 größere russische Munitionsdepots und Kommandoposten zerstört worden, die ohne HIMARS nicht erreichbar gewesen wären.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj zeigt sich über die Effektivität der HIMARS höchst erfreut:

"Die Besatzer haben bereits sehr gut zu spüren bekommen, was moderne Artillerie ist. Sie werden nirgendwo auf unserem Land einen sicheren Rückzugsort haben."

Bisher ist die Lieferung von insgesamt zwölf HIMARS bestätigt.

So bedrohlich sind die HIMARS für Russland

Das neue Waffensystem, das von den USA geliefert wird, stellt Russland tatsächlich vor größere Probleme. Die HIMARS hätten "zu einer erheblichen Störung der russischen Logistik geführt", stellt der ehemalige australische General und Militärexperte Mick Ryan auf Twitter fest.

Die Raketen würden russische Artillerie-Munitionslager sowie taktische Hauptquartiere zerstören, so Ryan. Selbst die russischen Luftabwehrsysteme hätten sich als anfällig erwiesen. Gemäß Ryan sind die Aussichten für die Russen nicht gut. Nicht nur seien jetzt Angriffe der ukrainischen Luftwaffe wahrscheinlicher. Auch die Moral der russischen Truppen sei durch die HIMARS-Schläge beschädigt worden, sagt Ryan.

HIMARS können mit sechs Boden-Boden-Raketen (GMLRS) bestückt werden. Es kann jedoch auch eine ATACM-Rakete abgefeuert
HIMARS können mit sechs Boden-Boden-Raketen (GMLRS) bestückt werden. Es kann jedoch auch eine ATACM-Rakete abgefeuertBild: picture alliance / abaca / ABACA

Da die Ukrainer die HIMARS mit Lenkraketen bestücken, die bis zu 80 Kilometer weit fliegen können, müssen die Russen ihre Munitionslager weiter hinter die Front verlegen. Der Nachschub wird so bedeutend schwieriger. Vor allem, wenn man bedenkt, wie viel Artillerie-Munition die Russen jeden Tag verbrauchen. "Gestern haben die Russen 20.000 Munitionsladungen verschossen", rechnete Militär-Experte Sean Bell am Sonntag bei Sky News vor. "Im Durchschnitt wiegt eine Ladung 50 Kilogramm. Das ist also eine Million Kilogramm pro Tag."

Wie einschneidend die Bedrohung durch HIMARS für die Russen ist, zeigt die Karte von Twitter-User "Def Mon". Falls die Invasoren immer noch in gleicher Menge Artillerie verschießen wollen, müssen sie doppelt so viele Fahrten mit Lastwagen machen wie bisher, da die Munitionslager weiter entfernt sind. Der Benzinverbrauch wird sich dadurch ebenfalls merklich erhöhen. Zudem sind wichtige russische Nachschubwege per Zug nun ebenfalls in Reichweite der HIMARS.

Nun wollen die Ukrainer die "ATACMS"-Rakete

Das Kräftegleichgewicht hat sich durch die HIMARS also wesentlich verändert. Die Ukraine kann dank des modernen Waffensystems ihre Unterlegenheit bei der Artillerie etwas wettmachen. Nun könnte es für die Russen noch bitterer kommen. Denn die Ukrainer haben noch nicht einmal das ganze Potenzial der HIMARS ausgeschöpft.

Denn die HIMARS – und übrigens auch das kürzlich in der Ukraine eingetroffene Raketenwerfersystem M270 – können theoretisch mit sogenannten ATACMS (MGM-140 Army Tactical Missile System) bestückt werden.

ATACMS-Raketen fliegen mit einer Reichweite von 300 Kilometern nochmals deutlich weiter als die bisher eingesetzten Raketen. Damit könnten die Ukrainer die ganze Krim, die Krim-Brücke, das ganze besetzte Gebiet und Teile Russlands ins Visier nehmen. Zudem würde es für die Russen schwieriger, die Schwarzmeerblockade aufrechtzuerhalten.

Als US-Präsident Joe Biden Anfang Juni die Lieferung der HIMARS bekannt gab, stellte er jedoch auch klar, dass keine ATACMS-Raketen in die Ukraine mitgeliefert würden. Der US-Präsident befürchtete eine Ausweitung des Krieges. "Wir wollen keinen Krieg zwischen der Nato und Russland", sagte Biden damals.

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Der amerikanische Präsident Joe Biden hatte die Lieferung von Atacms-Raketen im Juni abgelehnt. Bild: dpa / Michael Kappeler

Doch nun, da die Ukrainer beweisen konnten, dass sie die HIMARS effektiv einsetzen können, wollen sie von Biden, dass er seinen Entscheid überdenkt. "Unsere Regierung spricht mit Vertretern der USA auf allen Ebenen über die Notwendigkeit, uns mit HIMARS-Raketen mit größerer Reichweite zu versorgen", sagte das ukrainische Parlamentsmitglied Fedir Wenislawsky vergangene Woche. Er zeigte sich zuversichtlich, dass die Ukraine die ATACMS-Raketen bekommen würde.

Ähnlich äußerte sich der ukrainische Verteidigungsminister Olexij Resnikow in einem Interview mit der Financial Times. Er glaube, dass die USA weitere HIMARS und Raketen mit einer Reichweite von 300 Kilometern schicken würden. "Ich denke, das passiert Schritt für Schritt. Wir liefern ihnen den Beweis, dass wir sie mit Präzision und Raffinesse einsetzen können, und wir bekommen mehr und eine größere Reichweite."

So reagieren die Russen

Bisher hat sich die Haltung der USA offiziell nicht geändert.

Doch in Russland wird man zunehmend nervös.

Am Sonntag verkündete Serhii Bratchuk, ein Sprecher von Odessas Militärverwaltung, dass Russland eine "bedeutende Anzahl" Schiffe von Sewastopol nach Noworossijsk verlegt habe. Diverse Beobachter vermuten nun, dass die Schiffe damit aus der Reichweite der ATACMS-Raketen gebracht wurden. Was an diesen Spekulationen dran ist, lässt sich momentan nicht sagen.

Klar ist, dass sich die Russen durchaus vor den ATACMS-Raketen fürchten. Die Zerstörung der westlichen Waffensysteme hat im Kreml höchste Priorität. So erteilte der russische Verteidigungsminister Sergei Schoigu seinen Truppen bei einem Frontbesuch den Befehl, die Raketensysteme zu zerstören, wie der russische Kriegsreporter Alexander Sladkov auf Telegram mitteilte.

Auch im russischen Staatsfernsehen waren die ATACMS-Raketen Thema. Moderatorin Olga Skabejewa tat, was die Putin-Propagandisten immer tun, wenn sie sich in die Enge getrieben fühlen: Sie reagierte mit einer Drohung. Skabejewa wetterte: "Wenn die Amerikaner Raketen liefern, die 300 Kilometer weit fliegen können, dann können wir nicht mehr stoppen und gehen bis nach Warschau."

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