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Zentralasien: Wie sich die Gen Z in Kasachstan von Russland losreißt

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Noch heute dominiert die russische Sprache in Kasachstan – ein Erbe der ehemaligen Kolonialmacht Russland während der Sowjetunion – doch die Jugend entfacht eine "kasachische Renaissance". Bild: imago images / Thomas Koehxler
Analyse

Kasachisch plötzlich wieder cool: Gen Z in Kasachstan reißt sich von Russland los

23.06.2023, 18:37
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Kasachstan – das Steppenland in Zentralasien befindet sich auf der Suche nach seiner neuen alten Identität. Vor allem die Jugend rebelliert offensichtlich gegen die Vergangenheit – geprägt durch die ehemalige Kolonialmacht Russland.

Die Veränderungen im Land entgehen auch nicht dem Sozialwissenschaftler Azamat Junisbai vom Pitzer College in Kalifornien. "Als jemand, der im sowjetischen Kasachstan aufgewachsen ist, bin ich erstaunt, wie anders es sich heute anfühlt", berichtet der gebürtige Kasache auf watson-Anfrage.

Junge Kasach:innen treiben laut Experten einen kulturellen Wandel im Land voran – weg vom russischen Einfluss.
Junge Kasach:innen treiben laut Experten einen kulturellen Wandel im Land voran – weg vom russischen Einfluss. bild: anne hamilton

Vor allem zwei Dinge ändern sich im Land zunehmend: die Sprache und die Kultur. Ein Wandel, der dem russischen Präsidenten Wladimir Putin wohl nicht gefallen dürfte. Schließlich gilt Kasachstan als einer der engsten Verbündeten Moskaus – selbst nach dem Zerfall der damaligen Sowjetunion.

Doch die kasachische Jugend hat auf Russland offenbar keine Lust mehr.

Das junge Kasachstan kehrt zurück zu seinen alten Wurzeln

Wenn Junisbai sein Heimatland besucht, ist er überrascht, wie oft er die kasachische Sprache unter den jungen Menschen hört. "Als ich aufwuchs, waren die russische Sprache und Kultur unter jungen städtischen Kasachen völlig dominant", sagt er.

Sozialwissenschaftler Azamat Junisbai beobachtet einen kulturellen Wandel in seinem Heimatland.
Sozialwissenschaftler Azamat Junisbai beobachtet einen kulturellen Wandel in seinem Heimatland.bild: Azamat Junisbai

Damals herrschte laut ihm die Annahme, dass höchstens Menschen vom Land kasachisch sprechen. In den Großstädten wie Almaty galt die eigene Sprache des Landes als "altmodisch". "Die kasachische Kultur wurde nicht als cool oder interessant angesehen", betont Junisbai. Doch das dreht sich jetzt offenbar um 180 Grad.

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Während und kurz nach der Sowjetunion galt Kasachisch als Sprache vom Land und altmodisch. Bild: imago images / Bruno Morandi

Kasachen finden wieder Stolz in ihrer eigenen Sprache und Kultur

Kasachisch erfährt laut des Experten wieder einen Aufschwung. Deshalb sprießen Sprachkurse wie Pilze aus dem Boden. Zum Beispiel ruft der Russe Alexey Skalozubov sogenannte Sprachclubs, etwa in Almaty, ins Leben.

Im Grunde genommen sei Kasachisch heutzutage trendy, meint der Sozialwissenschaftler. Er führt aus:

"Ich kann gar nicht genug betonen, wie sehr es sich von der Zeit unterscheidet, als ich in der späten Sowjetzeit und in den ersten Jahren der Unabhängigkeit zur Schule ging."
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Auch durch ihre Kleidung setzen junge Menschen im Land ein Statement. So wandern laut Junisbai traditionelle kasachische Designs in die Garderoben von etwa hippen Kasachen zurück. Auch präsentiere man sich gern mit klaren Botschaften auf seinen Sachen.

Ein Trend, auf den etwa die Bekleidungsmarke Qazaq Republic aufspringt – und zwar mit großem Erfolg bei jungen urbanen Kasachen, meint Junisbai.

Modemarke "Qazaq Republic" trifft Nerv der kasachischen Jugend

Qazaq Republic verkauft etwa T-Shirts und Hoodies mit den Aufschriften "Modern Society" oder "Born Qazaq". Auffällig: Qazaq Republic nutzt dafür lateinische statt kyrillische Buchstaben.

Auch sei die Kleidung nicht billig, meint Junisbai. Ein einfaches T-Shirt kostet über 20 Dollar – viel Geld für die jungen Leute in Kasachstan.

Das Fashion-Unternehmen trifft laut ihm den Zeitgeist. Denn: Die Menschen wollen zeigen, dass sie stolz auf ihre Wurzeln sind. Hippe junge Menschen folgen demnach wieder kasachischen Künstler:innen und Musiker:innen, meint Junisbai. "Das war in meiner Jugend unvorstellbar", betont er.

Laut Daniyar Kosnazarov von der George Washington University sind die jüngeren Generationen, also die Millennials und die Gen Z, die treibenden Kräfte hinter all diesen Veränderungen.

Kasachisch als Ausdruck der Selbstbestimmung

Kosnazarov beschäftigt sich mit der Popkultur und Gen Z in Kasachstan. "Junge Kasachen haben in vergangener Zeit viel durchgemacht. Sie sind Zeugen des Machtwechsels, des blutigen Januars, der Pandemien und der Ukraine", sagt er auf watson-Anfrage.

Laut ihm ist das eine ziemlich traumatisierende Erfahrung. Der junge Kasache führt aus:

"All diese Ereignisse haben uns, insbesondere die jüngeren Generationen, noch stärker nach innen gedrängt, um einen tieferen Sinn und Einfallsreichtum in unserer eigenen Kultur, Musik, Sprache und Identität zu finden."

Deshalb glaubt er, dass die jungen Menschen im Land eine Art kasachische Renaissance erleben. Sie wollen Inhalte konsumieren, die von Einheimischen in kasachischer Sprache geschaffen wurden, aber nach globalen Standards produziert werden, meint Kosnazarov.

Hierbei orientiere man sich an amerikanischen, europäischen, koreanischen und japanischen Kulturtrends, Marken sowie Künstler:innen.

Er sagt:

"Wir erleben in gewisser Weise, was Georgien und die Ukraine durchgemacht haben. Das Sprechen in unserer eigenen Sprache ist zu einer gesellschaftlichen Entscheidung geworden. Sie ist der Kern unserer Nation, unserer Politik, unserer Selbstbestimmung."

Zum Hintergrund: Nachdem Russland 2014 die Krim annektiert hatte, entschieden sich immer mehr Ukrainer:innen, wieder zu ihrer eigentlichen Muttersprache zurückzukehren. Davor sprach der Großteil der ukrainischen Bevölkerung Russisch.

Laut Kosnazarov ist die kasachische Sprache wie eine Therapie, um die koloniale Vergangenheit hinter sich zu lassen. Es vermittle ein Gefühl von Stolz und Würde.

Dabei schrecken die Kasachen auch nicht zurück, Putin-freundliche Künstler:innen, die den Krieg in der Ukraine bejubeln, zu boykottieren.

Kasachstan sagt Konzert von Kreml-treuen Musiker ab

So wurde ein geplantes Konzert des russischen Künstlers Grigorij Leps in Kasachstan abgesagt. Grund: Laut Junisbai hatte der Musiker behauptet, er würde jedem russischen Soldaten, dem es gelingt, einen Leopard-Panzer in der Ukraine zu zerstören, 1.000.000 russische Rubel zahlen. Das sind umgerechnet grob 10.900 Euro.

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Grigorij Leps bei einem Konzert in Moskau, das den russischen Soldaten in der Ukraine gewidmet ist.Bild: imago images / Pavel Bednyakov

Seit dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine geht Kasachstan auf Distanz zu seinem sonst engen Verbündeten. Expert:innen sprechen von einem Austesten der Grenzen. Sprich: Wie weit kann sich das zentralasiatische Land von Russland abnabeln.

Laut Junisbai befeuert die aggressive Invasion Russlands in der Ukraine den kulturellen Wandel in Kasachstan.

Krieg in der Ukraine hat vielen Kasachen die Augen geöffnet

Demnach reagieren viele Kasach:innen auf den aggressiven, imperialen Charakter des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine mit Sorgen. "Die Furcht besteht, dass Kasachstan das nächste Ziel sein könnte, und das hat die anti-russischen Gefühle im Land massiv verstärkt", erklärt er.

Auch der kasachische Präsident Kassym-Schomart Tokajew reagiert auf den kulturellen Wandel im Land und möchte ihn wohl vorantreiben.

Präsident Kasachstans will keine sowjetischen Denkmäler mehr errichten

Wenn es um die Zukunft Kasachstans geht, setzt Tokajew wohl auch auf die Devise "back to the roots". Das zeigt etwa seine Rede bei dem Nationalkongress am 17. Juni in der kasachischen Stadt Türkistan.

Laut ihm wird sich die kasachische Sprache schrittweise weiterentwickeln und als Hauptfaktor für die "Konsolidierung des gesamten kasachischen Volkes fungieren". Kasachisch solle nicht nur ein reguläres Kommunikationsmittel sein, sondern auch zu einer Sprache der Wissenschaft und Bildung werden.

Kasachstan will in Zukunft seine eigene Kultur stärken – auch durch Denkmäler.
Kasachstan will in Zukunft seine eigene Kultur stärken – auch durch Denkmäler. bild: anne hamilton

Er führt aus: Kasachstan müsse seine traditionellen Werte harmonisch mit modernen kulturellen Normen verbinden. Aber dabei wohl auch die Vergangenheit hinter sich lassen. So fordert er etwa, im Land keine Denkmäler für Persönlichkeiten aus der Sowjetzeit mehr zu errichten.

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