Sie soll Geld abkassiert haben, um im EU-Parlament für das WM-Gastgeberland-Katar ein paar gute Worte einzulegen: Eva Kaili. Nun steckt sie in Untersuchungshaft. Dabei lief doch alles so gut für die 44-jährige Griechin, die erst Anfang dieses Jahres zu einer von 14 Vizepräsidentinnen und Vizepräsidenten im EU-Parlament gewählt wurde. Ein Blick auf ihre Person und ihren bisherigen Werdegang.
Eva Kaili wurde am 26. Oktober 1978 in der griechischen Hafenstadt Thessaloniki geboren. Sie schloss 2004 ihren Bachelor in Architektur ab und begann im selben Jahr als Moderatorin und Journalistin für MEGA TV, einen griechischen Privatsender, zu arbeiten. Nebenbei hängte sie 2006 ihren Master in internationalen und europäischen Beziehungen an, den sie 2008 abschloss. Seit 2014 promoviert Kaili in internationaler Wirtschaftspolitik an der Universität von Piräus, wo sie laut ihrer Website ihre Doktorarbeit abgeschlossen haben soll.
Ihre politische Karriere begann schon lange vor ihrer akademischen: Schon 1992, im Alter von 14 Jahren, wurde sie Mitglied der PASOK-Jugend. PASOK ist die griechische sozialdemokratische Partei, zu der Kaili bis vor kurzem noch gehörte. Als 24-Jährige wurde die damalige Architekturstudentin in den Stadtrat Thessalonikis gewählt, als 29-Jährige in das griechische Parlament.
Seit 2014 ist sie Abgeordnete im EU-Parlament, wo sie im Januar dieses Jahres zu einer von 14 Vizepräsidentinnen und Vizepräsidenten gewählt wurde. Sie war unter anderem Teil einer Delegation, welche die Beziehungen der Europäischen Union zur Arabischen Halbinsel ausbauen sollte.
Was sie sonst noch so macht? Nun, laut ihres Profils auf der Seite des EU-Parlaments eine ganze Menge. Um nur einige zu nennen:
Ihre Karriere war bisher von Erfolg gekrönt. 2011 wurde sie vom "Spiegel" zur Person des Jahres gekürt, 2018 wurde ihr für ihre Arbeit in der Digitalpolitik von Politico eine Auszeichnung als eine der einflussreichsten Frauen in Brüssel verliehen. Für dieselbe Rolle erhielt sie in der Kategorie "Neue Technologien" im gleichen Jahr eine Auszeichnung vom "Parliament Magazine". In den Jahren 2020 und 2021 wurde sie im "Digital Influence Index" als eine der einflussreichsten Abgeordneten genannt.
Kaili fiel eigentlich nie wirklich negativ auf. Bis sie am 21. November im EU-Parlament einige Aussagen zu Katar machte, die vor allem in ihrer Partei für Stirnrunzeln sorgten:
Katar spiele eine Vorreiterrolle, was die Arbeitsrechte angehe, so Kaili weiter. Sogar europäische Unternehmen versuchten sich teilweise dieser Arbeitsgesetze zu entziehen, doch Katar habe sich "freiwillig zu einer Vision verpflichtet". Dann holte sie zur Kritik an denjenigen aus, die zur Diskriminierung Katars aufriefen. Über diese sagt sie:
Für Katar fand sie derweil nur lobende Worte:
Ihr Parteichef bei PASOK, Nikos Androulakis, distanzierte sich noch am selben Tag von ihren Äußerungen. Diese würden nicht mit der Parteilinie übereinstimmen.
Der WM-Gastgeber steht seit Jahren wegen der Menschenrechtslage und der Bedingungen für ausländische Arbeiter in der Kritik. Zahlreiche Mitglieder des damaligen FIFA-Exekutivkomitees, das 2010 die WM nach Katar vergeben hatte, sind inzwischen der Korruption überführt. Katar selbst hat den Vorwurf der Bestechung jedoch stets bestritten. Der Innenausschuss des Europaparlaments wiederum stimmte Anfang Dezember dafür, die Visa-Regeln für Katar und andere Länder zu erleichtern.
Obwohl Kaili selbst kein Mitglied im Ausschuss ist, stimmte auch sie ab – zur Überraschung der eigenen Fraktion. Nach Parlamentsregeln ist es zwar möglich, dass Abgeordnete bei Abstimmungen auch durch Nicht-Mitglieder ersetzt werden. SPD-Parlamentsvize Katarina Barley sagte "ZDF-heute" jedoch: "Sie [Kaili] hat sich ganz nach hinten gesetzt, wo normalerweise nur Mitarbeitende sitzen – weit weg von unserer Fraktion. Man könnte auch sagen: Sie hat sich versteckt." Das letzte Wort bei der Visa-Liberalisierung ist allerdings noch nicht gesprochen. Das Parlament muss darüber noch mit den EU-Staaten verhandeln. Der Grünen-Abgeordnete Erik Marquardt, der für das Thema im Parlament zuständig ist, stellte bereits klar, in der aktuellen Situation könne es keine Visa-Liberalisierung geben.
Am Freitagabend begann das gute Image Kailis zu bröckeln: Die belgische Polizei nahm Kaili sowie fünf weitere Personen fest – just am Welt-Anti-Korruptionstag. Ihnen wird nämlich genau das vorgeworfen: Korruption. Aber nicht nur: Sie werden auch der Geldwäsche, der Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung sowie versuchter Einflussnahme aus dem Ausland bezichtigt. Plötzlich erscheinen Kailis positive Aussagen zu Katar in neuem Licht.
Der Polizeieinsatz war das Resultat monatelanger Ermittlungen, die bereits Mitte Juli begonnen haben. Dies sagt der Journalist Louis Kolar von der belgischen Tageszeitung "Le Soir", der die Geschichte am Freitag enthüllt hatte. Er selber habe Mitte September einen Hinweis erhalten und seither an journalistischen Ermittlungen gearbeitet, erzählt er gegenüber der griechischen Zeitung Kathimerini.
Bei den Durchsuchungen in Brüssel wurden am Freitag insgesamt 600.000 Euro Bargeld und Handys beschlagnahmt. Später fanden Ermittler in Kailis Wohnung Medienberichten zufolge Taschen voller Bargeld. "Le Soir" schrieb, die 44-Jährige sei auf frischer Tat ertappt worden. Auch ihr Vater soll involviert gewesen sein. Er habe ganz in der Nähe von Kailis Wohnung ein Hotel mit Koffern voller Geld verlassen, nachdem er von Komplizen über die Ermittlungen gewarnt worden sei.
Seit mehreren Monaten verdächtigen die belgischen Ermittler nach Angaben der Staatsanwaltschaft einen Golfstaat, "die wirtschaftlichen und politischen Entscheidungen des Europäischen Parlaments zu beeinflussen". Dazu sollen hohe Geldsummen gezahlt oder teure Geschenke an Entscheidungsträger im Parlament gemacht worden sein. Aus Ermittlerkreisen wurde der Deutschen Presse-Agentur bestätigt, dass es sich bei dem Golfstaat um Katar handelt.
Nach den am Freitag durchgeführten Hausdurchsuchungen wurde die Sozialdemokratin zusammen mit fünf anderen Verdächtigen festgenommen. Vier davon kamen am Sonntag per Haftbefehl in Untersuchungshaft – darunter eben auch Eva Kaili.
Festgenommen wurden auch ein ehemaliger sozialdemokratischer Europa-Abgeordneter aus Italien, Antonio Panzeri, sowie Kailis italienischer Lebensgefährte. Wie "Le Soir" und das Magazin "Knack" am Sonntag berichteten, kamen beide ebenfalls in U-Haft. "Sie werden der Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung, der Geldwäsche und der Korruption beschuldigt", teilte die Staatsanwaltschaft mit. Zwei weitere Festgenommene ließ der Untersuchungsrichter frei. Am Samstagabend wurde das Haus eines weiteren Europa-Abgeordneten durchsucht. Medienberichten zufolge handelt es sich um den belgischen Sozialdemokraten Marc Tarabella. Seine Partei teilte am Sonntagabend mit, Tarabella vor ein parteiinternes Gremium zitiert zu haben.
Als Reaktion auf die Korruptionsvorwürfe entzog Parlamentspräsidentin Roberta Metsola der 44-jährigen Griechin alle mit dem Amt verbundenen Befugnisse, Pflichten und Aufgaben. Am Montagnachmittag beraten sich die Fraktionsvorsitzenden über das weitere Vorgehen. Eine endgültige Absetzung Kailis könnte in der nächsten Woche formell beschlossen werden.
Wie heute bekannt wurde, hat Griechenland zudem das gesamte Vermögen Eva Kailis eingefroren. Auch die Vermögenswerte ihrer Eltern, ihrer Schwester und ihres Lebenspartners sollen davon betroffen sein. Es soll geprüft werden, ob diese aus illegalen Aktivitäten stammen. Untersucht würden Konten, Immobilienbesitz, Unternehmensbeteiligungen und ähnliche Vermögenswerte. So soll unter anderem eine Immobilienfirma genauer durchleuchtet werden, die Kaili und ihr Ehemann vor einem Monat gegründet haben sollen.
Währenddessen wird auch ihr Büro untersucht:
Die Vorwürfe setzten den politischen Betrieb in Brüssel unter Schock. In der EU-Hauptstadt, wo Gesetze für rund 450 Millionen Europäer gemacht werden, gehört Lobby-Arbeit dazu. Nach Angaben des Vereins Lobbycontrol tummeln sich dort etwa 25.000 Lobbyisten in der Stadt. Sie alle versuchen, Einfluss auf politische Entscheidungen zu nehmen. Doch dieser Fall ist anders.
Die Enthüllungen bedeuten für das Parlament einen großen Imageschaden. Es sei offensichtlich, dass Kaili das Vertrauen der Wählerinnen und Wähler aufs Spiel setze, sagte der Vorsitzende der SPD-Europaabgeordneten, Jens Geier, der DPA. "Das sind schlimme Vorwürfe und die müssen aufgeklärt werden. Anders lässt sich verloren gegangenes Vertrauen nicht zurückgewinnen."
EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen hat sich bestürzt über den Korruptionsskandal gezeigt. "Die Vorwürfe gegen die Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments sind sehr schwerwiegend", sagte sie am Montag in Brüssel. Man wisse, dass dies mit Blick auf das Vertrauen, das die Menschen in die europäischen Institutionen hätten, große Besorgnis auslöse. "Wir brauchen die höchsten Standards", betonte von der Leyen.
"Meiner Meinung nach wäre es richtig, dass wir ein Ethikgremium einrichten", führte sie weiter aus. Bei der EU-Kommission gebe es bereits ein solches Gremium. "Aber mir ist wichtig, dass wir mit allen anderen europäischen Institutionen klare Regeln, klare Standards haben, dass wir alle die gleichen Kontrollmechanismen haben."
Das Parlament mit mehr als 700 Abgeordneten positioniert sich gern als starke Stimme im Kampf gegen Korruption. So fordern die Abgeordneten wegen weit verbreiteter Korruption in Ungarn regelmäßig ein hartes Vorgehen gegen das EU-Land. Die Häme aus Budapest ließ nicht lange auf sich warten.
(Mit Material von dpa)