Ukrainische Soldaten sollen laut Medienberichten für ein großes Landungsmanöver auf der Krim in Großbritannien trainieren. Bild: imago images / Stian Lysberg Solum
Analyse
Eine umfangreiche Landungsoperation auf die ukrainische Halbinsel Krim: Würde die Ukraine das wirklich wagen? Laut Medienberichten trainiert das ukrainische Militär sogar schon dafür.
Seit Frühjahr 2014 liegt die Krim in den Händen der Russen, nachdem sie die Insel völkerrechtswidrig besetzt und annektiert haben. Seither baut der Kreml sie zu einer regelrechten militärischen Festung um. Denn: Sie gilt als wichtigste Basis im Krieg gegen die Ukraine.
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In der Vergangenheit gab es immer wieder kurzzeitige Landungsoperationen von ukrainischen Spezialeinheiten auf der Krim. "Größtenteils bleibt es bei Nacht-und-Nebel-TikTok-Aktionen, bei denen ein Kleintrupp landet, unter Kameras die Flagge hisst und gleich wieder abzieht", sagt Konfliktbeobachter Nikita Gerasimov von der Freien Universität Berlin auf watson-Anfrage. Denn hier gehe es durchaus um die Symbolkraft.
Krim hat hohe Symbolkraft für Ukraine und Russland
So kam es auch immer wieder zu Explosionen auf der Krimbrücke, auch bekannt als Kertsch-Brücke. Sie ist die einzige Verbindung zwischen dem russischen Festland und der von Russland besetzten Krim. Vor etwa fünf Jahren eröffnete der russische Präsident Wladimir Putin höchstpersönlich die Brücke. Sie gilt als ein Prestigeprojekt mit hoher Symbolkraft, der den russischen Anspruch auf die ukrainische Halbinsel festigen soll.
Laut Gerasimov bieten die ukrainischen Aktionen auf der Krim daher gute PR. Sprich, medienwirksame Bilder für das In- und Ausland. Denn: Der mediale Aspekt des Krieges in der Ukraine bleibe weiterhin ein wichtiger Bestandteil der militärischen Erfolge. "Das inländische Publikum braucht Bilder, um die Kampfmoral aufrechtzuerhalten. Das ausländische, also westliche, benötigt es, um von weiteren Waffenlieferungen überzeugt zu werden", sagt der Experte.
Auf der gegnerischen Seite wiederum sollen die Bilder für Verunsicherung, Unmut und Kritik gegenüber dem Kreml sorgen. Nach der Devise: Er könne noch nicht einmal die Sicherheit der Krimküste garantieren.
Immer wieder kommt es zu Explosionen und Anschlägen auf der Kertsch-Brücke.Bild: AP
Zum anderen haben solche Aktionen Gerasimov zufolge einen wichtigen logistischen Effekt: Sie binden signifikante russische Streitkräfte auf der Halbinsel, die mit permanenter Küstenbewachung ausgelastet sind. Diese Truppen können folglich nicht an der eigentlichen Front eingesetzt werden.
Anscheinend müssen sich diese wohl bald warm anziehen. "Im Westen rechnen nicht allzu wenige damit, dass es eine großangelegte Landung geben könnte", sagt Gerasimov. So berichtet etwa das britische Tabloid "Daily Express", dass eine Landungsoperation mit massiver See- und Luftunterstützung bevorsteht.
Ukrainer trainieren für Krim-Invasion in Großbritannien
Britische Truppen bilden demnach eine ukrainische Elitebrigade aus, um die russischen Streitkräfte zu schwächen und die Krim zurückzuerobern, heißt es. Mehr als 2000 Soldaten nehmen an einem abgelegenen Ort im Dartmoor an speziellen Übungen teil. Sie sollen die "Speerspitze der Invasion" bilden, während zwei andere Streitkräfte gleichzeitig Angriffe durchführen.
"Unter diesen Bedingungen droht eine solche Operation zu einem Himmelfahrtskommando für die beteiligten Truppen zu werden."
Konfliktbeobachter Nikita Gerasimov von der Freien Universität Berlin
Zudem soll der ukrainische Geheimdienstchef Kyrylo Budanov bestätigt haben, dass die Truppen "bald" die Krim betreten werden. Und das noch vor Weihnachten, also dem 25. Dezember.
Dieses Unterfangen sieht der Experte kritisch. Seiner Meinung nach ist die ukrainische Armee für eine großangelegte Landungsoperation auf der Krim derzeit nicht gerüstet. Er führt aus:
"Maritime Landungsoperationen auf befestigter gegnerischer Küste gehören zu den schwierigsten Militäroperationen überhaupt und benötigen eine massive Feuerunterstützung durch See- und Luftstreitkräfte, im Idealfall eine totale Dominanz in der Luft und See im anvisierten Landungsgebiet."
Weder das eine noch das andere sei für die ukrainische Armee derzeit gegeben.
Experte warnt: Ukraine sei für solch eine Operation nicht gerüstet
Weder verfügt Kiew über die Lufthoheit noch hat es eine Kriegsmarine, die eine Landungsoperation von größeren Maßstäben unterstützen könnte. "Unter diesen Bedingungen droht eine solche Operation zu einem Himmelfahrtskommando für die beteiligten Truppen zu werden", warnt der Experte.
Das könne die ukrainische Armee sicherlich nicht einfach wegstecken. Für Gerasimov ist klar: Eine großangelegte Landungsoperation ukrainischer Streitkräfte auf der Krim mit einer anschließenden Ausweitung des Brückenkopfes und eines Vorstoßes ins Innere der Halbinsel bleibt somit zumindest unter gegenwärtigen Bedingungen kaum vorstellbar.
Allerdings rechnet er mit vermehrten kleineren Landungsaktionen, wie bereits mehrfach geschehen. Unter den russischen Kriegsreporter:innen kursiere derweil eine andere Theorie.
Die Ukraine könnte auch etwas ganz anderes planen
"Sie nehmen an, dass die ukrainischen Krim-Aktionen 'nur' eine gezielte Ablenkung sind. Die eigentliche Landungsoperation werde demnach weiter westlich, beispielsweise auf der Kinburn-Halbinsel vorbereitet", führt Gerasimov aus.
Damit könne die Ukraine eine weitere Front eröffnen, um russischen Truppen auf der Ostküste des Dnjepr hinter die eigentlichen Defensivstellungen zu fallen. "Die militärischen Erfolgsaussichten einer Landung etwa auf dem Kinburn-Bogen sind in der Tat weitaus höher und könnten russische Truppen vor erhebliche Schwierigkeiten stellen", prognostiziert Gerasimov.
Für solch eine Landung brauche die Ukraine aber genügend Waffen und Soldaten – letzteres bereite Kiew Sorgen, meint Gerasimov.
Ukraine zahlt schon jetzt einen hohen Blutzoll
"Derzeit hält der Westen den Waffenfluss an die Ukraine aufrecht, will ihn bei manchen Waffengattungen sogar ausweiten, Sorgen macht Kiew eher das Personal", sagt Gerasimov. Egal, wie man es dreht, die Ukraine hat laut ihm eine vielfach kleinere "menschliche Ressource" als Russland. "Diese aufzufüllen, werde zunehmend schwieriger. Und die Verluste steigen, auch wenn die harte Kriegszensur diesen Fakt gern verstecken wolle, führt er aus.
"Aufnahmen von neuen ukrainischen Kriegsgräbern fluten das Internet, auch in der Ukraine", sagt er. In anderen Worten: Der Blutzoll sei immens. Die Bodengewinne gering. "Die Gefahr des 'Ausblutens" der ukrainischen Armee darf nicht unterschätzt werden", meint Gerasimov.
Nach der Wahl von Donald Trump zum nächsten US-Präsidenten herrscht viel Ungewissheit darüber, wie es jetzt mit der Ukraine weitergeht. Es gibt nicht unbegründete Ängste davor, Trump könne dem Land bald den Geldhahn zudrehen.