Wer hat Angst vor J.D. Vance?
Kein Zweifel, Donald Trump hat bei den Epstein-Files seine bisher schwerste Niederlage in der zweiten Amtszeit einstecken müssen. Zum ersten Mal sind ihm die Republikaner im Kongress nicht mehr blindlings gefolgt, und auch an der MAGA-Basis ist die Milch sauer. Die offene Korruption seines Clans und seine pathologische Sucht nach Anerkennung und Glamour stoßen zunehmend auf Unverständnis.
So gesehen sind die immer tiefer sinkenden Beliebtheitswerte des Präsidenten kein "schlechter Witz", wie Trump sich auszudrücken pflegt. Sie entsprechen der Stimmung im Lande. Oder wie Michelle Goldberg in der "New York Times" schreibt:
Dazu kommt, dass auch bei Trump – wie einst bei Joe Biden – immer sichtbarer wird, dass er gesundheitliche Probleme hat und Anzeichen einer Altersdemenz aufweist. Es ist daher denkbar geworden, dass er nicht in der Lage sein wird, seine zweite Amtszeit zu beenden. Sollte er vorzeitig das Weiße Haus verlassen, wird automatisch sein Vize an seine Stelle rücken.
Diese Aussicht ist alles andere als erfreulich. In Anlehnung an ein legendäres Theaterstück von Edward Albee aus den Sechzigerjahren stellt sich daher die bange Frage: "Wer hat Angst vor J.D. Vance?" Um sie zu beantworten, müssen wir kurz zurückblenden.
Vor ein paar Wochen hat das Newsportal "Politico" aufgedeckt, dass gerade bei den jungen Kadern der Grand Old Party (GOP) offener Antisemitismus und Rassismus um sich greift. Der Reaktion aus dem Weißen Haus war dröhnendes Schweigen seitens des Präsidenten und eine Verharmlosung seitens seines Vize.
"Die Realität ist, dass Kinder dumme Sachen machen, vor allem junge Männer", erklärte Vance. "Sie machen dumme Witze, und ich will nicht in einem Land aufwachsen, in dem das Leben junger Menschen ruiniert wird, nur weil sie gelegentlich dumme Witze machen. Das ist nicht OK."
Was Vance scheinbar übersehen hatte, dass viele dieser "Kinder" 30 Jahre und älter, und dass diese sogenannten "Groypers" in den Reihen der jungen republikanischen Kadermitglieder weit verbreitet sind.
Das war jedoch erst das Vorspiel. Ein Interview, das der ehemalige Fox-News-Moderator Tucker Carlson mit einem gewissen Nick Fuentes vor rund zwei Wochen geführt hat, wurde zum Anlass eines Richtungskampfes innerhalb der GOP. Fuentes ist, man kann es nicht anders ausdrücken, ein Faschist. Er leugnet den Holocaust, verherrlicht Hitler und hasst Juden.
Das besagte Interview löste innerhalb der Republikaner einen erbitterten Richtungsstreit aus. Auf der einen Seite stehen die christlichen Nationalisten, auf der anderen traditionelle Republikaner und Neocons.
Tucker Carlson, einst ein klassischer traditioneller Republikaner mit Krawatte und Anzug, hat sich in den letzten Jahren zu einem immer fundamentalistischeren Christen und Populisten gewandelt. Er hat Fuentes harmlose Fragen gestellt und die teils offenen antisemitischen Antworten nie hinterfragt.
Wie Fuentes hat Carlson ein ambivalentes Verhältnis zu Israel. "Das Land ist so groß wie der Bundesstaat Maryland. Es hat eine Bevölkerung von neun Millionen. Es hat keine Bodenschätze. Es ist strategisch uninteressant, ja es ist strategisch gesehen ein Klumpen am Bein", so Carlson.
Was hat dies mit J.D. Vance zu tun? Carlson ist ein enger Freund von ihm. Er soll einst eine maßgebliche Stimme gewesen sein, die Trump dazu bewogen hat, ihn zu seinem Vize zu machen. Die beiden sind – unterstützt von Steve Bannon –, die Anführer der christlichen Nationalisten, der Bewegung, welche die USA in einen christlichen Gottesstaat verwandeln will.
Auch Vance ist christlich-fundamentalistisch unterwegs. Er will die von Charlie Kirk angeworbenen jungen Wähler in die Bewegung des christlichen Nationalismus integrieren. Jacob Heilbronn, der Chefredaktor des Magazins "National Interest" und Populismus-Experte, erklärt dazu in der "New York Times":
Heilbronn geht gar einen Schritt weiter. Vance knüpfe an die Vertreter der amerikanischen Rechten an, die einst Sympathien für Hitler und Mussolini hatten. "Heute sind Wladimir Putin und Viktor Orbán die neuen Helden. Deshalb sage ich voraus: Sollte Vance tatsächlich an die Macht gelangen, wird er Trump wie einen Sonntagsschüler aussehen lassen."
Zyniker behaupten, dass Vance die aktuellen Epstein-Schwierigkeiten von Trump berechnend verfolge und sich im Stillen darauf vorbereite, selbst das Zepter in die Hand zu nehmen. So berechtigt die Schadenfreude gegenüber Trump ist, so richtig froh können wir darob nicht werden.
