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Was am 9. Mai in Russland passiert – und warum das in diesem Jahr heikel ist.

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Der russische Präsident Wladimir Putin während der Militärparade zum "Tag des Sieges" auf dem Roten Platz in Moskau.Bild: dpa / sputnik/ Mikhail Metzel
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Was am 9. Mai in Russland passiert – und warum das in diesem Jahr besonders heikel ist

09.05.2022, 12:3110.06.2022, 11:25
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Am 8. Mai 1945 ging der Zweite Weltkrieg in Europa mit der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht zu Ende. Das Datum wurde zum Gedenktag nicht nur, aber auch in Deutschland.

Russland hingegen begeht erst am 9. Mai seinen wichtigsten Feiertag: den "Tag des Sieges" über Nazi-Deutschland. Der Grund: Die Kapitulation und damit das Ende der Kampfhandlungen sollten am 8. Mai um 23.01 Uhr Mitteleuropäischer Zeit in Kraft treten. In Moskau weiter östlich war da aufgrund der Zeitverschiebung schon der 9. Mai angebrochen. Stalin bestand 1945 zudem auf einer Ratifizierung des Dokuments, die bildwirksam auch im Hauptquartier der Roten Armee in Berlin Karlshorst vom Oberkommandierenden der Wehrmacht, Wilhelm Keitel, unterzeichnet wurde – am 9. Mai kurz nach Mitternacht.

Gedenkveranstaltung in Moskau mit Sorge erwartet

In Russland wird der Tag mit Militärparaden begangen. Angesetzt waren sie im gesamten Land, die mit Abstand größte in Moskau. Auf dem Roten Platz in Moskau marschierten tausende Soldaten auf.

09.05.2022, Russland, Moskau: Russische ballistische RS-24 Yars-Raketen werden w�hrend der Milit�rparade zum "Tag des Sieges" durch Moskau gefahren. Anl�sslich des 77. Jahrestages des Endes  ...
Moskau, Russland, 09. Mai.Bild: dpa / Alexander Zemlianichenko

Die Rede von Kreml-Chef Wladimir Putin wurde in diesem Jahr mit Sorge erwartet. Denn die russische Führung zieht seit Wochen wiederholt Parallelen zwischen dem Sieg über Nazi-Deutschland im Zweiten Weltkrieg und dem Einmarsch in die Ukraine, die nach Angaben des Kremls "demilitarisiert" und "entnazifiziert" werden soll.

Steinmeier: 'Missbrauch der Geschichte'

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hatte zuvor gewarnt:

"Wenn Putin am morgigen 9. Mai den Kampf gegen den Nationalsozialismus gleichsetzt mit seinem brutalen, völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine, dann ist auch das ein perfider und zynischer Missbrauch der Geschichte."

Steinmeier bezeichnete den Krieg als "Epochenbruch", der die Europäer zu schmerzhaften Einsichten zwinge. "Der Angriff auf die Ukraine ist auch ein Angriff auf die Idee der liberalen Demokratie und auf die Werte, auf denen sie gründet: Freiheit, Gleichheit, die Achtung der Menschenrechte und der Menschenwürde."

"Nationalismus, Völkerhass und imperialer Wahn dürfen nicht die Zukunft Europas beherrschen."
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier
08.05.2022, Berlin: Bundespr�sident Frank-Walter Steinmeier spricht auf der Er�ffnungsveranstaltung des 22. Ordentlicher Bundeskongress des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). Es ist der 22. DGB-Bund ...
Bundespäsident Frank-Walter Steinmeier hat sich beim Bundeskongress der DGB am Sonntag auch zum Ukraine-Krieg geäußert.Bild: dpa / Fabian Sommer

Aus voller Überzeugung und mit ganzem Herzen stehe Deutschland gemeinsam mit seinen europäischen Nachbarn an der Seite der Ukraine. Eine Lehre des 8. Mai 1945 sei auch, dass sich die Europäer nicht noch einmal durch Nationalismus und Völkerhass auseinandertreiben lassen dürften. "Nationalismus, Völkerhass und imperialer Wahn dürfen nicht die Zukunft Europas beherrschen."

Stoltenberg: 'Putin nutzt 9.Mai regelmäßig, um Unwahrheiten über Westen zu streuen'

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg drängte Putin zum Tag des Sieges über Nazideutschland, die Kampfhandlungen in der Ukraine einzustellen.

Der "Welt" sagte Stoltenberg:

"Ich rufe Präsident Putin zum 9. Mai noch einmal auf, den Krieg unverzüglich zu beenden, seine Truppen aus der Ukraine zurückzuziehen und Friedensverhandlungen aufzunehmen. Wir stehen fest an der Seite der Ukraine und werden dem Land weiterhelfen, sein Recht auf Selbstverteidigung durchzusetzen"

Er betonte zugleich, dass "Präsident Putin den Gedenktag am 9. Mai in der Vergangenheit regelmäßig genutzt hat, um Unwahrheiten über den Westen zu streuen und die Nato zu kritisieren". Er erwarte deshalb erneut "Lügen über die Nato und den Westen insgesamt".

Blinken: 'Putin versucht, Geschichte zu verdrehen'

Auch US-Außenminister Antony Blinken warf Putin Geschichtsrevisionismus vor. "Präsident Putin versucht, die Geschichte zu verdrehen, um seinen unprovozierten und brutalen Krieg gegen die Ukraine zu rechtfertigen", hatte Blinken am Samstag in Washington erklärt. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj und das ukrainische Volk "verteidigen tapfer ihr Land, ihre Demokratie und die rechtmäßige Zukunft der Ukraine" in einem freien und friedlichen Europa.

Putin rechtfertigt Krieg mit Landesverteidigung

Am Montag rechtfertigte Wladimir Putin dann bei seiner Rede auf dem Roten Platz wie erwartet den Angriff auf die Ukraine. Er diene dazu, das "Vaterland" vor der "inakzeptablen Gefahr" zu verteidigen, die das vom Westen unterstützte Nachbarland für Russland darstelle, sagte Putin. Er sprach außerdem vor der "Gefahr eines neuen Weltkriegs".

HANDOUT - 09.05.2022, Russland, Moskau: Das von der staatlichen russischen Nachrichtenagentur Sputnik �ber AP ver�ffentlichte Pool-Foto zeigt Wladimir Putin, Pr�sident von Russland (M), w�hrend der Mi ...
Wladimir Putin während der Militärparade.Bild: dpa / Mikhail Metzel

Selenskyj verbittet sich "Aneignung" des Sieges über Nazi-Deutschland

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj nahm darauf am Montag direkt Bezug: "Unser Feind träumt davon, dass wir darauf verzichten, den 9. Mai und den Sieg über die Nazis zu feiern, damit das Wort 'Entnazifizierung' eine Chance bekommt."

Aber "Millionen von Ukrainer" hätten gegen die Nazis gekämpft und sie aus den Städten "verjagt", die heute von russischen Truppen belagert, besetzt oder von Moskau annektiert würden. "Am Tag des Sieges über die Nazis kämpfen wir heute für einen weiteren Sieg", schloss Selenskyj.

"Unser Feind träumt davon, dass wir darauf verzichten, den 9. Mai und den Sieg über die Nazis zu feiern, damit das Wort 'Entnazifizierung' eine Chance bekommt."
Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine

Selenskyj verwahrte sich gegen eine "Aneignung" des Sieges über Nazi-Deutschland im Zweiten Weltkrieg durch Russland. "Heute feiern wir den Tag des Sieges über den Nationalsozialismus", sagte er am Montag in einer Videobotschaft. "Wir sind stolz auf unsere Vorfahren, die gemeinsam mit anderen Nationen in der Anti-Hitler-Koalition den Nationalsozialismus besiegt haben. Und wir werden nicht zulassen, dass sich jemand diesen Sieg aneignet", sagte Selenskyj weiter. "Wir haben damals gewonnen. Wir werden auch jetzt siegen".

Gedenkveranstaltungen in Berlin

Auch in Berlin wurde am Montag mit Gedenkveranstaltungen an das Ende des Zweiten Weltkriegs erinnert – auch mit klaren Sympathiebekundungen für Russland.

Am Sowjetischen Ehrenmal im Treptower Park versammelten sich am Vormittag mehr als 100 Menschen mit rund 20 russischen Fahnen. Der russische Botschafter wollte einen Kranz zur Erinnerung an die getöteten sowjetischen Soldaten niederlegen. Ukrainische Fahnen waren dort zunächst nicht zu sehen. Angekündigt war auch eine größere pro-russische Demonstration an dem zweiten Sowjetischen Ehrenmal nahe dem Brandenburger Tor.

Parallel wollten im Laufe des Montags Demonstranten gegen den Angriff Russlands auf die Ukraine protestieren. Insgesamt 1700 Polizisten sollten die vielen Kundgebungen begleiten.

Für 15 Gedenkorte waren Auflagen erlassen worden, unter anderem ein Verbot von russischen und ukrainischen Fahnen.

Trotz des Verbots wurden in Berlin vereinzelt ukrainische oder rote Flaggen mit Sowjet-Bezug gezeigt. Laut Polizeiangaben schritten Beamte mehrfach ein, unter anderem beim Entrollen einer etwa 25 Meter langen Ukraine-Fahne. Dafür gab es viel Kritik. Ausgenommen von dem Verbot waren unter anderem Diplomatinnen und Diplomaten sowie Weltkriegsveteranen.

Auch der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk, ukrainische Verbände und die Opposition im Abgeordnetenhaus hatten das Fahnenverbot zuvor mit deutlichen Worten kritisiert.

(mit Material von dpa und AFP)

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