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Ukraine-Krieg: Warum Schweiz und Israel neutral bleiben – und welche Folgen das hat

LUGANSK PEOPLE S REPUBLIC - MARCH 3, 2022: A serviceman of the Russian Armed Forces arrives to meet with combat units of the People s Militia of the Lugansk People s Republic in the rural town of Novo ...
Ein russischer Soldat.Bild: www.imago-images.de / Russian Defence Ministry
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Die Schweiz und Israel verhalten sich neutral: Warum das so ist und was das bedeutet

05.03.2022, 11:0408.06.2022, 18:34
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Neutral wie die Schweiz sein: Das ist ein geflügeltes Wort. Es bedeutet, sich in einem Konflikt auf keine Seite zu stellen. Mit allen Parteien zu sprechen. Eine Vermittlerposition einnehmen zu können.

Die Schweiz ist der Neutralität verpflichtet. Und das seit dem Wiener Kongress 1815: Damals teilten die europäischen Großmächte nach dem Sieg über das Frankreich Napoleons den Kontinent neu auf – und verordneten der kleinen Schweiz die "immerwährende Neutralität".

Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine hat sich der Schweizer Bundesrat – also die Zentralregierung der Schweiz – nun aber, nach längerem Überlegen, darauf geeinigt, die Sanktionen der EU gegen Russland zu übernehmen.

"Der Spiegel" schrieb daraufhin vom Ende der Neutralität. Ähnlich beschreiben es n-tv.de und die "New York Times".

Israel wiederum hält die Balance: Zwar hat der jüdische Staat den Krieg gegen die Ukraine in der UN-Vollversammlung am Mittwoch verurteilt. Ansonsten versucht der israelische Premierminister Naftali Bennett allerdings, keine zu harten Worte in Richtung des russischen Präsidenten Wladimir Putin zu finden.

Was hat es mit der Neutralität von Staaten auf sich`? Was bedeutet die Übernahme der EU-Sanktionen für die Schweiz? Und warum ist Israel so vorsichtig gegenüber Russland?

Was hat es mit der Schweizer Neutralität auf sich?

Der Historiker Oliver Meuwly sagt: "Wir dürfen nicht vergessen, dass die Neutralität der Schweiz zunächst einen internen Grund hatte." Sie habe auch dazu gedient, den internen Frieden der Eidgenossenschaft Schweiz zu wahren. Gleichzeitig aber stellte die Schweiz dadurch einen Pufferstaat zwischen den damaligen Großmächten Frankreich und Österreich dar – der den Frieden am Fuß der Alpen sicherstelle.

Eidgenossenschaft
Die Schweiz hat die amtliche Bezeichnung Schweizerische Eidgenossenschaft. Der föderale Staat besteht aus 26 teilsouveränen Kantonen. Die Schweizerische Eidgenossenschaft ging aus den sogenannten Urkantonen Uri, Schwyz und Unterwalden hervor.

Die Schweizer Neutralität, so der Historiker, habe sich im Laufe der Zeit allerdings an den Zeitgeist angepasst: "Die Neutralität war nie ein endgültiges Konzept", sagt Meuwly. Bis heute steht in der Bundesverfassung, dass die Neutralitätspolitik nicht an Rechtsnormen gekoppelt ist: "Die Umsetzung der Neutralitätspolitik hängt von der Analyse des aktuellen internationalen Umfelds ab." So steht es auf der Internetseite des eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten.

Die Schweiz ist nicht das einzige Land auf dem europäischen Kontinent, das sich der Neutralität verpflichtet hat. Neben ihr sind auch Schweden, Finnland und Österreich neutrale Staaten. Auch sie haben sich in trotzdem in diesem Konflikt auf der Seite der Ukraine positioniert.

Bundespraesident Ignazio Cassis informiert nach der ausserordentlichen Bundesratssitzung zum Thema Ukraine an einer Medienkonferenz zu den Beschluessen des Bundesrats, am Donnerstag, 24. Februar 2022, ...
Der aktuelle Bundespräsident Ignazio Cassis.Bild: KEYSTONE / MARCEL BIERI

Der Schweizer Politikwissenschaftler Laurent Goetschel von der Uni Basel fasst den Schweizer Neutralitätsgrundsatz folgendermaßen zusammen: "Die Schweiz verspricht, sich bei militärischen Konflikten zwischen Drittstaaten neutral zu verhalten, also keinen dieser Staaten militärisch zu bevorteilen."

Darüber hinaus sei die Schweizer Neutralitätspolitik darauf ausgerichtet, gute Beziehungen zu möglichst vielen Akteuren zu unterhalten und keinem Militärbündnis beizutreten. Das Ansehen als neutraler Staat werde aktiv für die internationale Friedensförderung genutzt, so Goetschel.

Bedeutet die Übernahme der EU-Sanktionen das Ende der Schweizer Neutralität?

Aus Sicht des Politikwissenschaftlers Goetschel bricht die Schweiz durch die Übernahme der EU-Sanktionen nicht mit ihrem Neutralitätsgrundsatz. Er sagt: "Weder liefert sie Waffen an die Ukraine – oder an Russland –, noch unterstützt sie diese beiden Länder anderweitig militärisch."

Wirtschaftliche Sanktionen hingegen könnten als Teil der Neutralitätspolitik betrachtet werden. Denn die Neutralitätspolitik liege im Ermessen des betreffenden Staates und müsse verschiedenen Interessen Rechnung tragen. "Im konkreten Fall überwog das Bedürfnis, klar Position zu beziehen und dies durch das Mitziehen bei den Sanktionen zu untermauern", fasst Goetschel zusammen.

Klar ist auch: "Je parteiischer die Schweiz auftritt, umso geringer die Wahrscheinlichkeit, dass sie als Vermittlerin angefragt wird", sagt Goetschel. Im Fall des Russland-Ukraine-Krieges spiele dieser Umstand allerdings kaum eine Rolle, da der Westen sehr geschlossen auftrete. Die Schweiz stehe wegen ihrer Beziehungen zu beiden Ländern dennoch gut da – auch weil sie keine Waffen liefere.

Der Balance-Akt Israels: Eine Geopolitische Entscheidung

Israel hingegen hadert mit der eigenen Neutralität. "Wenn auf der Welt Konflikte sind, befindet sich Israel oft in einer schwierigen Position, in der man versucht, sich nicht einzumischen", sagt Arye Sharuz Shalicar. Er ist Autor und der ehemalige Sprecher der israelischen Verteidigungsstreitkräfte. Israel sei in diesem Konflikt nicht neutral, schließlich habe der Staat die Resolution in der UN-Generalversammlung unterstützt. Trotzdem befinde sich das Land in einer schwierigen Situation.

Arye Sharuz Shalicar Eine Gruppe von Schülern der 13. Klassenstufe, führt im Februar, im OSZ KIM in der Weddinger Osloer Strasse , Berlin, das Theaterstück nach dem Leben von Arye Sharuz Shalicar, unt ...
Autor und Ex-Sprecher der israelischen Verteidisgungsstreitkräfte Arye Shalicar Sharuz.Bild: imago stock&people / Uwe Steinert

Ein Grund dafür sei, dass sowohl viele ehemalige Ukrainer als auch ehemalige Russen in Israel lebten – und Kontakte in die alte Heimat pflegten. Shalicar schätzt, dass circa ein Viertel der israelischen Bevölkerung familiär mit einer der beiden Seiten verbunden ist. Auch in seinem eigenen Umfeld lebten Menschen in Cherson – der ersten bereits durch Russland besetzen Stadt in der Ukraine. Dadurch sei der Krieg für Israel sehr nah.

Eine wichtige Rolle für den Blick auf den Konflikt spiele auch die Shoa, der Völkermord an den europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland.

Shalicar sagt:

"Wegen der Shoa sind Juden sehr sensibel, wenn Menschen leiden, verfolgt werden oder auf der Flucht sind. Gleichzeitig wissen Israelis, was es bedeutet, wenn Städte bombardiert werden. Da hat man sofort Mitgefühl."

Auf der anderen Seite stehe allerdings das Sicherheitsbedürfnis.

Russland übt einen enormen Einfluss in der Region rund um Israel aus: Die russische Regierung hat den syrischen Diktator Baschar al-Assad im Bürgerkrieg im eigenen Land massiv militärisch unterstützt. Der jüdische Staat ist seit seiner Gründung von Feinden umzingelt, zu denen Syrien zählt. "Aus dieser Perspektive ist es natürlich sehr wichtig, dass wir die Russen in dieser Hinsicht nicht verärgern. Um auch darauf achtzugeben, dass wir die Sicherheitskoordination hier im Nahen Osten, insbesondere in Syrien, nicht beschädigen", sagt Shalicar.

German Chancellor Olaf Scholz and Israeli Prime Minister Naftali Bennett visit the Hall of Names in a ceremony commemorating the six million Jews killed by the Nazis in the Hall of Remembrance at Yad  ...
Der israelische Premier Naftali Bennett und Kanzler Olaf Scholz (SPD) in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem.Bild: www.imago-images.de / RONEN ZVULUN

Die Realität Israels sei es immer gewesen, dass der Staat und seine Bürger auf alles vorbereitet sein mussten. Dieses Problem bestehe nach wie vor. "Niemand garantiert einem die Existenz oder das Überleben", sagt Shalicar. Es gebe auch keine Garantie, dass andere Staaten zu Hilfe eilen und sich vor Aggressoren stellen würden. Deshalb sei es umso wichtiger, dass man in der Lage ist, sich selbst zu beschützen. "Das ist eine zentrale Lektion aus dem Holocaust und den vielen Verteidigungskriegen Israels seit der Staatsgründung 1948", fasst Shalicar zusammen.

Obwohl Israel den russischen Einmarsch aktuell nicht am lautesten verurteile, schicke der Staat Hilfe in die Ukraine – sowohl Hilfsgüter als auch Ärzte. Außerdem rechnet Shalicar damit, dass viele der ukrainischen Juden, wie auch russische Juden, nach Israel fliehen werden.

Dadurch, dass Israel zu beiden Parteien des Konfliktes ein gutes Verhältnis pflege, könne es außerdem ein Ort für Verhandlungen sein. Shalicar sagt: "Jerusalem ist für Russen wie für Ukrainer, die in großen Teilen jüdisch oder christlich sind, ein Pilgerort – und dadurch ein wichtiger symbolischer Ort. Ich glaube nicht, dass sie abgeneigt wären, wenn es tatsächlich mal zu richtigen Verhandlungen kommen sollte."

Denn der ehemalige Armeesprecher geht nicht davon aus, dass Russland auf amerikanischen oder die Ukraine auf chinesischem Boden verhandeln wollen würde.

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