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Nahost-Konflikt ein "Tiktok-Krieg"? Ahmad Mansour über den Einfluss der Jugend

February 27, 2023, Gaza, Palestine: Gaza, Palestine. 27 February 2023. Palestinians burn tires during a night demonstration along the Israel-Gaza border in the southern Gaza Strip, in protest against  ...
Palästinenser verbrennen während einer nächtlichen Demonstration an der Grenze zwischen Israel und Gaza Reifen. Der Nahostkonflikt stehe vor einer neuen Eskalation, warnen Experten.Bild: IMAGO/ZUMA Wire / Yousef Mohammed
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Wie junge Menschen den Nahostkonflikt anheizen – Ahmad Mansour nennt es einen "Tiktok-Krieg"

28.02.2023, 19:21
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Tote Israelis, tote Palästinenser, brennende Häuser, Bomben, Schläge, Schüsse, Schreie und mittendrin wachsen Kinder auf.

Ein endloser Kampf um ein Stück Land.

Für die einen ist dieses Gebiet heilig und für die anderen bedeutet es Heimat. Für viele beides. Israelis und Palästinenser:innen bekämpfen sich bereits so lange, dass es schwer ist, den Überblick zu behalten.

February 27, 2023, Nablus, Palestine: Israeli soldiers stand guard while Jewish settler protest against the Palestinians in the town of Hawara, south of the city of Nablus, in the occupied West Bank.  ...
Immer wieder geraten israelische Soldat:innen mit Palästinenser:innen zusammen. Bild: IMAGO/ZUMA Wire / Nasser Ishtayeh

Schuldzuweisungen, Hass, Terror und eskalierende Gewalt – der Nahostkonflikt ist zu einer komplexen Fehde herangewachsen. Generationen wachsen heran, die nicht wissen, wie sich Frieden anfühlt. Offenbar sind die jungen Menschen bereits so sehr mit dem Konflikt verwachsen, dass er ein Teil von ihnen geworden ist – oder er wird ihnen regelrecht eingepflanzt.

Palästinensische Kinder werden früh gegen Juden "getrimmt"

"Im palästinensischen Gebiet Gaza gibt es Terrorcamps für Schüler", sagt Arye Sharuz Shalicar auf watson-Anfrage. Er selbst lebt in Israel und berät die israelische Regierung. Seiner Meinung nach wird palästinensischen Kindern schon früh Hass gegen Juden indoktriniert. In den Terrorcamps werde das Narrativ verbreitet, Israel sei eine koloniale Erfindung von europäischen Juden. "Wir hätten hier eigentlich nichts zu suchen. Das ist pure Geschichtsverzerrung", meint Shalicar.

In seinem Buch "Schalom Habibi" spricht er über das spannungsreiche Verhältnis zwischen Juden und Arabern – und die Möglichkeit von Frieden und Freundschaft. Dem deutsch-persisch-israelischen Autor zufolge werden israelische Kinder in den Schulen zu Toleranz und gegenseitigem Respekt für alle Menschen erzogen.

February 24, 2023, Nablus, West Bank, Palestine: A Palestinian demonstrator throws a tear gas canister after the Israeli soldiers fired it at him during the demonstration against Israeli settlements i ...
Ein Palästinenser wirft einen Tränengaskanister, nachdem die israelischen Soldaten ihn auf ihn abgefeuert haben.Bild: IMAGO/ZUMA Wire / Nasser Ishtayeh

Shalicar zufolge werde den palästinensischen Kindern eine "ganz einfache Realität" präsentiert: Juden sind weiße Europäer, die hier nichts zu suchen hätten. Sie kolonisieren, rauben und ermorden – damit sind sie die Feinde.

Zur Realität der palästinensischen Kinder gehört aber auch Gewalt seitens Israel, die Shalicar nicht erwähnt.

Gewalt gegen palästinensische Zivilbevölkerung

Das zeigen die jüngsten Ausschreitungen im Westjordanland. In Nablus hat ein mutmaßlich palästinensischer Schütze zwei Israelis getötet. Darauf bildete sich ein Mob aus israelischen Siedlern in der palästinensischen Stadt Hawara. Die Angreifer steckten Häuser, Läden und Fahrzeuge in Brand. Der Palästinensische Rote Halbmond berichtete von mehr als hundert Verletzten.

Auch die SPD-Politikerin Sawsan Chebli äußert sich sichtlich entsetzt über die Bilder aus Hawara. "Mir gehen diese Bilder nicht aus dem Kopf", schreibt sie auf Twitter. Während israelische Stimmen in Deutschland die Attacken kritisieren, schwiegen deutsche Medien, die deutsche Twitterwelt, die Politik, meint sie.

Etliche Häuser stehen in Flammen – palästinensische Kinder verlieren ihr Zuhause. Zuvor hatten sie vielleicht bereits ihr Haus an eine jüdische Familie abgeben müssen.

Geschichtsverzerrung an palästinensischen Schulen

Was ist mit jenen palästinensischen Kindern, die miterleben, wenn Juden an die Haustür klopfen und sagen, das sei nun ihr Zuhause? Shalicar versteht die Wut, meint er. Allerdings lebe in den palästinensischen Dörfern kein einziger Jude. "Wir würden sofort ermordet werden", sagt er. Juden wohnten in ihren eigenen Dörfern und Städten.

Palestinians sit in front of their house next to the beach during a rainy day in Dier al-Balah, central Gaza Strip, Saturday, Feb. 4, 2023. (AP Photo/Fatima Shbair)
Palästinenser sitzen an einem regnerischen Tag vor ihrem Haus am Strand in Dier al-Balah im zentralen Gazastreifen.Bild: AP / Fatima Shbair

In den Schulen werde den Palästinenser:innen etwa nicht beigebracht, dass Juden schon immer hier gelebt haben. Laut Shalicar wird auch nicht gelehrt, dass die Vereinten Nationen 1947 der jüdischen und arabischen Seite vorgeschlagen hatte, dass jeder ein Teil des Landes für sich beanspruchen sollte. "Aber die Araber lehnten damals ab", sagt der Israeli.

Den Kindern werde von klein auf eingeflößt: Der Staat Israel gehört grundsätzlich nicht hierher. Dieses Denkmuster schütteln junge Menschen nicht einfach von sich ab, meint Shalicar. Er sagt:

"Die wohl einzigen Juden, die sie etwa im Westjordanland treffen, sind israelische Soldaten. Das bekräftigt das Glaubensbild: Alle Juden sind böse."
27.02.2023, Pal�stinensische Gebiete, Huwara: Israelische Soldaten sind in der Stadt Huwara im Einsatz. Nach einem t�dlichen Anschlag auf zwei Israelis im n�rdlichen Westjordanland ist es dort am Sonn ...
Israelische Soldaten kontrollieren Palästinenser im Westjordanland. Bild: dpa / Ilia Yefimovich

Auf einer solchen Basis sei eine Annäherung zwischen israelischen und palästinensischen Jugendlichen undenkbar. Er selbst würde derzeit seine Kinder zu keinen gemeinsamen Projekten schicken.

Eine Mauer aus Misstrauen, Angst und Gewalt

"Die Angst um sie ist zu groß, das Vertrauen in die andere Seite zu klein, als dass Palästinenser uns mit offenen Armen willkommen heißen würden", sagt er. Erst wenn ein ruhiges Leben, Seite an Seite, ermöglicht werde, könnten sich auch Jugendliche wieder treffen und Freundschaften schließen.

Doch hier sei nicht bloß die palästinensische Seite am Zug. Auch Israel müsse für den Frieden eine Hand reichen, meint die freie Reporterin Steffi Hentschke im "Zeit-Online" Podcast. "Die israelische Regierung müsste unbedingt den Dialog mit der palästinensischen Autonomiebehörde suchen", sagt sie aus Tel Aviv. Man müsse den Palästinensern das Gefühl geben, zumindest teilweise die Kontrolle über das von Israel besetzte Westjordanland zu haben.

Eindimensional will auch der deutsch-israelische Psychologe Ahmad Mansour den Konflikt nicht betrachten. Auf beiden Seiten – ob auf israelischer oder palästinensischer – erkenne er eine zunehmende Radikalisierung unter den Jugendlichen. Nicht zuletzt spielen hier die sozialen Medien eine Rolle.

Emotionalisierung des Konflikts auf beiden Seiten

"Ich beobachte Sachen auf beiden Seiten des Konflikts, die mir Sorgen bereiten", sagt er im Gespräch mit watson. Mansour wurde in einer kleinen arabischen Stadt in Israel geboren. Heute kämpft er gegen die Radikalisierung junger Muslime. Was in diesem Konflikt sichtbar sei: Es geht um Emotionen und nicht um Fakten. Er nennt es "Tiktok-Krieg".

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Der Nahostkrieg werde etwa auch durch die sozialen Medien angeheizt.Bild: IMAGO/Lobeca / imago images

Die junge Generation zelebriere auf beiden Seiten ihre Gewalt, ihre Emotionen sowie Opferrolle. Dadurch rollen Steine auf einem lösungs- und faktenorientierten Weg zum Frieden. Vor allem die Palästinenser:innen verlagern laut des Experten ihre Propaganda auf die sozialen Medien und geben dadurch vernünftige und lösungsorientierte Stimmen gar keine Chance.

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Tiktok-Radikalisierung: Junge Menschen produzieren Propaganda

Es sei eine regelrechte Tiktok-Radikalisierung, die der Psychologe vorher in dieser Intensität noch nicht erlebt habe. Das Videoportal Tiktok sei voll mit Propaganda von Jugendlichen für Jugendliche. Inhalte werden dabei kaum kritisch hinterfragt. Das Problem werde durch einen Faktor zusätzlich angeheizt: Die junge Generation, die jetzt heranwächst, wisse nicht mehr, wie brutal und blutig eine Eskalation des Konflikts ausgehen kann.

May 17, 2021, Gaza, Gaza Strip, Palestinian Territory: Fire and smoke rise above buildings in Gaza City as Israeli warplanes target the Palestinian enclave. Deadly violence erupted across the West Ban ...
Feuer steigt über Gaza auf, als israelische Kampfflugzeuge die palästinensische Gebiete angreifen.Bild: imago images/ZUMA Wire / Ashraf Amra

"Wir haben eine Generation von jungen Menschen, die 2003/2004 geboren wurde und die 'Zweite Intifada' 2000 nicht mehr miterlebt haben", sagt Mansour. Damals kam es zu einem bewaffneten Aufstand von radikalen, palästinensischen Gruppen mit Selbstmordattentaten auf israelische Zivilisten.

Als Antwort folgten Vergeltungsschläge der israelischen Armee, wobei weite Teile der Infrastruktur in den palästinensischen Gebieten zerstört wurden. Das hinterlasse traumatisierende Erfahrungen auf beiden Seiten. Und diese fehle der jungen Generation. Daher seien ihre Einstellungen brutaler und kompromissloser, meint der Experte.

Auf der palästinensischen Seite sehe er auch weniger Ideologie. Das sei nicht die radikalislamische Palästinenserorganisation Hamas, sprich keine religiöse Narrative. "Es sind einfach Kleinkriminelle, die sich organisieren und durch diesen Kampf Anerkennung in ihrer Community erhoffen", sagt er. Mansour glaubt eher nicht, dass die Jugend dazu beitragen könnte, dem Nahostkonflikt ein Ende zu setzen.

February 22, 2023, Nablus, West Bank, Palestine: A Palestinian youth makes gestures in front of the vehicles of the Israeli army during the clashes at the vegetable market in the old city of Nablus in ...
Palästinensische Jugendliche demonstrieren vor den Fahrzeugen der israelischen Armee im Westjordanland.Bild: IMAGO/ZUMA Wire / Nasser Ishtayeh

Besonders auf den bevorstehenden Ramadan blickt der Experte besorgt. An diesen wichtigen Feiertagen kam es in den vergangenen Jahren immer wieder zu massiven Ausschreitungen. "Das sind extrem sensible Zeiten", meint Mansour. Er habe das Gefühl, dass eine Eskalation unvermeidbar geworden ist.

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