Der Nahe Osten ist erschüttert durch den Krieg zwischen Israel und der Hamas. Inmitten dieser krisenhaften Zeit erreichte die Welt die Nachricht vom plötzlichen Tod des iranischen Präsidenten Ebrahim Raisi. Ein Regierungsvertreter Irans bestätigte am Montag, dass Raisi bei einem Hubschrauber-Absturz ums Leben kam.
Raisi spielte eine große Rolle – ob in der Außen- oder Innenpolitik des Mullah-Regimes unter dem geistlichen Oberhaupt, Ajatollah Ali Khamenei. Im Verlauf des Gaza-Krieges startete Raisi etwa im April einen beispiellosen Drohnen- und Raketenangriff auf Israel. Es war der erste direkte Angriff der Islamischen Republik auf Erzfeind Israel in der Geschichte des Landes.
Innenpolitisch war Raisi für seine eiserne Hand bekannt und wurde auch als "Schlächter von Teheran" bezeichnet. 1988 war er etwa als stellvertretender Generalstaatsanwalt an Massenhinrichtungen beteiligt, bei denen eine vierstellige Anzahl von politischen Gefangenen ermordet wurde. Die UNO beschuldigte ihn der "Verbrechen gegen die Menschlichkeit".
Daher ist es nicht verwunderlich, dass Iraner:innen in vielen Städten gefeiert haben sollen, als sich die Suche nach dem vermissten Raisi in die Länge zog – und damit seine Überlebenschancen sanken.
Dennoch spricht das iranische Staatsfernsehen von zehntausenden Menschen, die sich angeblich zur Traufeier für Raisi, Außenminister Hossein Amir-Abdollahian und die weiteren Absturzopfer am Dienstag versammelt haben sollen.
Auf veröffentlichten Bildern sind viele Menschen zu sehen, die mit Fahnen schwenken und Porträts des 63-jährigen Raisi in die Luft halten. Auf einem Lastwagen wurden die mit der iranischen Flagge bedeckten Särge durch die Menschenmenge gefahren.
Raisi hinterlässt eine große Lücke, aber das Mullah-Regime bleibt trotzdem stabil, meint Konfliktforscher Tareq Sydiq auf watson-Anfrage. Laut ihm wird Raisis Tod erstmal nicht viel ändern.
"Denn das Amt des Präsidenten hatte an Einfluss verloren gegenüber dem Obersten Religionsführer. Politisch wird es da weitergehen wie bisher", sagt der wissenschaftliche Mitarbeiter am Zentrum für Konfliktforschung der Universität Marburg.
Aber: "Raisi ist schwer zu ersetzen", betont der Experte. In den vergangenen Jahren hatte Khamenei den inneren Kreis immer kleiner gezogen – "dadurch ist der Verlust einer einzelnen, noch dazu so zentralen Person nur schwer auszugleichen", führt er aus.
Eine ähnlich loyale Figur, auf die sich verschiene konservative Fraktionen einigen können und die eine vergleichbare Qualifikation aufweist, dränge sich derzeit nicht auf.
Nach dem Tod des Präsidenten rief die Staatsführung eine fünftägige Staatstrauer aus. Zum Interims-Präsidenten wurde Raisis bisheriger Stellvertreter Mohammed Mochber ernannt. Die Spitzen von Regierung, Parlament und Justiz legten den 28. Juni als Termin für die Präsidentenwahl fest. Ein Anwärter auf das Amt zeichnete sich zunächst nicht ab.
Auch Sicherheitsforscher Frank Umbach von der Universität Bonn geht davon aus, dass der Tod Raisis und des Außenministers Amir-Abdollahian nicht viel verändern wird. Zwar entstehe ein Machtvakuum innerhalb des Regimes in Teheran, doch seine Stabilität werde es jedoch kaum verlieren, erklärt er im Gespräch mit dem Sender ntv.
Laut Umbach stehe die Stabilität des Regimes an erster Stelle und werde daher nicht infrage gestellt. Demnach solle man sich keine große Hoffnung machen, dass Raisis Tod zu einer innen- oder außenpolitischen Neuorientierung führen könnte.
Dennoch beobachtet wohl Kreml-Chef Wladimir Putin jetzt ganz genau, was sich in Iran abspielt. Schließlich hat er mit Raisi einen vertrauten Verbündeten verloren. Das Mullah-Regime gilt Umbach zufolge als wichtiger Rüstungslieferant im Ukraine-Krieg – vor allem was Drohnen betrifft. Daher dürfte Putin sicherlich besorgt Richtung Iran schauen, meint der Sicherheitsforscher.
Ob sich etwas an der iranischen Unterstützung für Russland ändert, ist laut Sydiq schwer zu sagen. Je nachdem, wer ihm nachfolgt, könne es zu minimalen Unterschieden kommen. "Die Leitlinien werden aber von Khamenei vorgegeben, das betrifft auch die Unterstützung für Russland, die strategischen Interessen entspricht", führt er aus. Daher würde er damit rechnen, dass es weitgehend so bleibe wie bisher.
Ein Alptraum für viele Iraner:innen, die ihr Leben aufs Spiel setzen und gegen die Theokratie (Gottesherrschaft) im Land protestieren.
Seit dem gewaltsamen Tod der iranischen Kurdin Jina Mahsa Amini in Polizeigewahrsam im Herbst 2022 wagen sich die Menschen auf die Straße. Sie fordern Freiheiten, die Menschen in westlichen Demokratien als selbstverständlich ansehen.
Zehntausende Protestierende wurden bereits verhaftet, gefoltert, viele getötet, zahlreiche hingerichtet. Laut eines Amnesty-Berichts soll das Mullah-Regime 853 Hinrichtungen im Jahr 2023 vollzogen haben.
Das Regime übt enormen Druck auf die Frauen im Land aus. Gewalt, Folter und Vergewaltigung sowie Tod drohen Demonstrantinnen. Allein dafür, dass sie sich etwa dem Kopftuchzwang widersetzen und ihre Haare zeigen.
Raisi antwortete auf die Proteste mit einem noch repressiveren Kurs. Doch wie geht es jetzt für die "Frau Leben Freiheit"-Bewegung ohne ihn weiter?
"Proteste brechen eher aus, wenn etwas empörendes stattfindet oder die Politik einen gravierenden Fehler macht, oder auch, wenn das Regime den Unmut unterschätzt. Aktuell findet eher das Gegenteil statt", sagt Sydiq. Die Politik geht laut ihm die Übergabe an einen neuen Präsidenten vorsichtig an und Sicherheitskräfte gucken besonders genau auf potenzielle Proteste.
"Angesichts der vermutlich eher zunehmenden Polizeipräsenz steigt das Risiko für Protestierende noch weiter an", prognostiziert er.
Auch die polnische Tageszeitung "Rzeczpospolita" schreibt dazu: "Die von iranischen Dissidenten zum Ausdruck gebrachte Freude über den Tod des blutigen Führers scheint in direktem Verhältnis zum mangelnden Glauben an die Möglichkeit eines Wandels im Iran zu stehen." Die Proteste, die großen Mut erfordern, haben seit Jahren nur zu verstärkter Repression geführt.
Es sei unklar, was passieren müsste, damit der Iran nicht mehr der Iran von Raisi und vor allem von Religionsführer Ajatollah Ali Khamenei wäre – ganz gleich, wie lange Khamenei noch lebt.
Eines stehe fest: Unter Raisi wurde der Iran noch antiwestlicher als er es ohnehin schon war. Der Iran habe sich noch deutlicher im Lager Chinas und Russlands positioniert, das er im Ukraine-Krieg militärisch unterstützt. Der Tod eines solchen Präsidenten wird nichts am großen geopolitischen Spiel ändern.
(Mit Material von dpa/afp)