Politik
Analyse

Iran und Israel im Fokus: Was das für Gaza bedeutet

16.06.2025, Palästinensische Gebiete, Gaza-Stadt: Palästinenser tragen Säcke und Kisten mit Lebensmitteln und humanitärer Hilfe, die in einem Konvoi des Welternährungsprogramms gebracht wurden. Foto:  ...
Menschen in Gaza befürchten nun, vollends vergessen zu werden.Bild: AP / Jehad Alshrafi
Analyse

Gaza unter Druck: Wie die Eskalation zwischen Iran und Israel die Dynamik verändert

Während die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit hauptsächlich auf Iran und Israel liegt, brennt der Gazastreifen weiter. Doch welche Rolle spielt Gaza nun?
24.06.2025, 18:5524.06.2025, 18:55
Mehr «Politik»

Am 7. Oktober 2023 begann die neuerliche Eskalationsspirale im Nahen Osten. Krieg. Was als militärische Reaktion auf das Massaker der Hamas begann, ist inzwischen ein regionaler Konflikt mit globaler Tragweite.

Mit den israelischen Luftschlägen gegen iranische Atomanlagen, Teherans Vergeltungsangriffen und dem Mitmischen der USA hatte sich die jahrzehntelange Schattenkonfrontation zwischen Israel und Iran in eine offene militärische Auseinandersetzung verwandelt. Obwohl aktuell eine Waffenruhe herrscht und der Iran sogar Bereitschaft zu Verhandlungen signalisiert hat, liegt die Aufmerksamkeit aktuell vor allem auf Israel und dem Iran.

ARCHIV - 07.10.2023, Palästinensische Gebiete, Gaza: Palästinenser verschleppen die israelische Zivilistin Noa Argamani am 7. Oktober 2023 auf einem Motorrad aus dem Süden Israels in den Gazastreifen. ...
Der Terrorangriff der Hamas auf Israel 2023 war der größte Massenmord an Juden seit der Schoah.Bild: AP / Uncredited

Doch was bedeutet das für Gaza? Verliert der Gazastreifen, in dem sich weiterhin eine humanitäre Katastrophe entfaltet, seine geopolitische Relevanz – oder wird er Teil einer umfassenderen strategischen Verschiebung?

Israelische Strategie: Der Schlag gegen den "Kopf der Schlange"

"Die Angriffe auf Iran verschoben den politischen Fokus deutlich – in Israel wie international", erklärt Raphael S. Cohen, Militärexperte bei dem Think Tank RAND Corporation im Gespräch mit watson. Der Krieg gegen die Hamas im Gazastreifen, so brutal und verlustreich er auch ist, sei in der militärischen Logik Israels inzwischen ein isolierter Bodenkonflikt.

Der Schlag gegen Teheran hingegen markierte eine strategische Wende: "In den Augen der israelischen Sicherheitselite ist der gesamte Krieg seit dem 7. Oktober eine orchestrierte Kampagne Irans. Jetzt ging Israel direkt gegen das vor, was man in Israel als den 'Kopf der Schlange' bezeichnet."

Tatsächlich fügt sich die Offensive gegen Iran nahtlos in die israelische Erklärungslinie der vergangenen Monate. Seit Oktober führt Israel Militäroperationen an mehreren Fronten: im Gazastreifen gegen die Hamas, im Südlibanon gegen die Hisbollah, gegen Huthi-Stellungen im Jemen und verdeckt auch im Irak.

A tent camp for displaced Palestinians stretches among the ruins of buildings destroyed by Israeli bombardments in west of Gaza City, Saturday, June 21, 2025. (AP Photo/Jehad Alshrafi)
Das Leben in Gaza ist seit Beginn des Krieges für viele Palästinenser:innen ein ständiger Überlebenskampf.Bild: AP / Jehad Alshrafi

Im Zentrum steht dabei stets ein Feindbild: die Islamische Republik Iran und ihr Netzwerk an Stellvertreterorganisationen. Gaza wird somit nicht entkoppelt, sondern in einen größeren sicherheitspolitischen Zusammenhang eingebettet.

Hamas unter Druck: Vom Pseudo-Staat zur Guerillagruppe

Nicholas A. Heras vom New Lines Institute sieht die Entwicklung in Gaza als Teil einer gezielten israelischen Strategie gegen das gesamte iranische Einflussnetz: "Seit Oktober 2023 hat Israel eine multifrontale Kampagne gegen iranische Proxies geführt – mit bemerkenswertem Erfolg", sagt er zu watson.

Die Hamas sei nicht mehr das, was sie einmal war: eine Pseudo-Staatenarmee mit territorialer Kontrolle. "Sie ist in Gaza inzwischen auf das Niveau einer Aufstandsbewegung zurückgedrängt. Damit sinkt ihre strategische Relevanz für Teheran."

Auch die Hisbollah, traditionell der stärkste und am besten ausgerüstete iranische Stellvertreter, verhielt sich auffallend zurückhaltend. Zu Beginn des Iran-Israel-Konflikts erklärte die Miliz, man werde sich vorerst nicht direkt einmischen. Heras sieht den Grund im Ausmaß der israelischen Angriffe im Herbst 2023: "Die Hisbollah wurde schwer getroffen und agiert nun deutlich vorsichtiger."

ARCHIV - 28.03.2025, Libanon, Beirut: Aus den von den israelischen Streitkräften bombardierten Gebieten in einem südlichen Vorort von Beirut steigt starker Rauch auf. Israel führte seine ersten Luftan ...
Libanon, Beirut: Nach einem israelischen Angriff steigt starker Rauch auf.Bild: dpa / Marwan Naamani

Gaza verliert die mediale Bühne

Mit dem Krieg zwischen Israel und Iran hat sich der internationale Diskurs verschoben. "Iran ist jetzt klar im Zentrum der medialen Aufmerksamkeit", sagt Cohen. "Ich merke das allein an der Art der Fragen, die mir Journalist:innen weltweit stellen." Gaza ist nicht verschwunden, aber es ist aus dem Scheinwerferlicht getreten. Politisch könnte das schwerwiegende Folgen haben.

Während die humanitäre Notlage im Gazastreifen unvermindert fortbesteht, wird sie international weniger sichtbar. Hilfsorganisationen und politische Vermittlungsbemühungen dürften es damit schwerer haben, Druck auf Israel oder die Hamas auszuüben. Der Gazastreifen droht, in der Wahrnehmung ein Nebenkriegsschauplatz zu werden – mit verheerenden Folgen für die Zivilbevölkerung.

Teherans Strategie am Wendepunkt

Die militärische Konfrontation mit Israel könnte auch im Iran zu einer innenpolitischen Zäsur führen. Heras spricht von einem strategischen Kipppunkt: "Die iranische Regierung hat erkannt, dass ihre Proxies Israel nicht wirksam abschrecken konnten. Gleichzeitig wurden die ballistischen Raketenbestände durch den Krieg zunehmend erschöpft." Wohl ein Grund für die Zustimmung zur Waffenruhe und der Bereitschaft zu Verhandlungen.

Es sei denkbar, dass Teheran künftig mehr Augenmerk auf die eigene Regimestabilität legt als auf Gaza oder die palästinensische Sache.

dpatopbilder - HANDOUT - 13.06.2025, Iran, Teheran: Auf diesem von der iranischen Gesellschaft des Roten Halbmonds veröffentlichten Foto arbeiten Rettungskräfte am Ort einer Explosion nach einem israe ...
Iran, Teheran: Rettungskräfte am Ort einer Explosion nach einem israelischen Angriff.Bild: Iranian Red Crescent Society / Uncredited

Die Rolle der USA: Von Beobachter zu Mitstreiter

Die USA haben ihre Position inzwischen drastisch verändert. Mit der Operation "Midnight Hammer" haben amerikanische Streitkräfte am 22. Juni gemeinsam mit Israel iranische Nuklearanlagen angegriffen. B-2-Bomber und Marschflugkörper trafen Einrichtungen in Fordo, Natanz und Isfahan.

Präsident Trump sprach von einem "entscheidenden Schlag gegen das iranische Nuklearprogramm". Vizepräsident Vance erklärte: "Wir sind nicht im Krieg mit Iran, sondern mit seinem Atomprogramm."

Für Washington markierte das einen Kurswechsel: von indirekter Unterstützung zu direkter Kriegsbeteiligung und nun kann sich Trump als Deal-Maker präsentieren.

Ob die Waffenruhe hält, ist allerdings fraglich.

Die politische Leerstelle in Gaza

Unabhängig vom militärischen Ausgang bleibt Gaza eine offene Wunde. Israel verfolgt weiterhin das Ziel, die Hamas dauerhaft zu entmachten. Doch was folgt, ist unklar. Eine dauerhafte Besatzung? Eine internationale Verwaltung? Ein Wiederaufbau ohne politische Lösung?

"Israel hat Gaza militärisch nicht ersetzt, sondern in einen größeren Rahmen eingeordnet", bilanziert Cohen. Das sei aus Sicht der israelischen Sicherheitslogik konsistent – aber für Gaza fatal. Ohne Sichtbarkeit, ohne strategische Priorität, ohne internationale Perspektive droht der Gazastreifen zu einem geopolitischen Nebenprodukt zu werden. Und damit vielleicht gefährdeter denn je.

Schickt Russland tote Soldaten? Ukraine-Minister wittert üble Taktik
Russland und die Ukraine tauschen die Leichen toter Soldaten aus. Kiew wirft Russland jedoch vor, auch eigene Gefallene unterzuschieben. Innenminister Ihor Klymenko äußert einen schlimmen Verdacht.

Der Austausch gefallener Soldaten ist eines der wenigen Zugeständnisse, die Russland und die Ukraine bei Verhandlungen erreichen konnten. Moskau bekam in den vergangenen Tagen mehr als 50 Leichen zurück, die Ukraine mehr als 6000.

Zur Story