Bei seiner Rede zur Lage der Nation strotzt US-Präsident Joe Biden vor Zuversicht.Bild: IMAGO/Jacqueline Martin - Pool
Analyse
In seiner Rede zur Lage der Nation macht US-Präsident Joe Biden den ganz großen Aufschlag: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Vereinigten Staaten. Dazu viel Pathos und große Worte. Und das 72 Minuten lang. "Das waren zwölf Minuten länger als im vergangenen Jahr", sagt Kampagnenexperte Julius van de Laar. Er beriet einst Barack Obama in dessen Wahlkampf. Für van de Laar macht die Rede eines deutlich: Joe Biden wollte zeigen, er ist fit und vital.
Und das nicht ohne Grund. Der Kampagnenexperte rechnet damit, dass der US-Präsident in den kommenden Monaten seine erneute Kandidatur bekannt geben wird. Biden will es sein, der 2024 gegen die Republikaner antreten wird. Und das, obwohl auch unter den Demokraten nur 13 Prozent daran glauben, dass der heute 80-Jährige fit genug dafür ist.
Warum Biden es trotzdem werden könnte? Van de Laar erklärt das so:
"Joe Biden ist der einzige Kandidat, der Donald Trump in der Vergangenheit besiegen konnte. In einem direkten Wahlkampf 'Biden vs. Trump' würde Joe Biden möglicherweise erneut als Sieger ins Weiße Haus einziehen."
Gegen die meisten anderen republikanischen Kandidierenden – sollten diese ihre Kandidatur verkünden – stünden Bidens Chancen allerdings deutlich schlechter, schätzt der Experte.
Bisher ist nicht klar, ob Donald Trump erneut als Kandidat für die Republikaner ums Weiße Haus kämpfen wird.Bild: AP / Alex Brandon
Bidens Version von "America First"
In seiner Rede zur Lage der Nation sei es Biden gelungen, die Amerikaner zu erreichen. Auffällig, aus Sicht von van de Laar, die gewählte light Version der Trump-Rhetorik. Denn Biden hat zwar nicht die berüchtigten Worte benutzt, Amerika wieder groß machen zu wollen. Stattdessen aber hat er sehr deutlich gemacht, dass in Zukunft vor allem Produkte aus amerikanischer Produktion gekauft würden.
So kündigte er an, dass Baumaterialien für vom Bund geförderte Infrastrukturprojekte nach dem Prinzip "Made in America" in den USA hergestellt werden müssten. "Unter meiner Aufsicht werden amerikanische Straßen, Brücken und Autobahnen mit amerikanischen Produkten gebaut", sagte Biden.
"Er hat klargestellt, dass jeder Zement, der vergossen wird, jedes Stück Stahl, jede Bohrmaschine aus amerikanischer Produktion kommen muss", fasst van de Laar zusammen. Kurz: Infrastrukturmaßnahmen in den USA werden in Zukunft nur mit amerikanischen Materialien umgesetzt.
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Mit dieser Form des "America First" will Biden den Mittleren Westen – Trump Land – erreichen, meint der Experte. Mit Blick auf die Beziehungen zwischen den USA und der EU bedeute das, dass der Wind härter wird. Gleichzeitig habe Biden aber auch klargemacht, dass er weiterhin eng mit der EU zusammenstehe. Gerade, was die Unterstützung der Ukraine angeht – aber auch im systemischen Wettbewerb mit China.
USA: Biden bringt sich in Stellung für die Wahlen
Dem Präsidenten sei es in seiner Rede auch darum gegangen zu zeigen, wozu er imstande ist. "Wenige Tage bevor Joe Biden am 20. Januar 2021 eingeschworen wurde, stürmten Trump-Unterstützer das Kapitol. Mehr noch: Die Vereinigten Staaten waren im Corona-Lockdown, Schulen waren geschlossen, die Arbeitslosigkeit extrem hoch", sagt van de Laar.
Jetzt hätten die USA die niedrigste Arbeitslosenquote seit 1969, und die Inflation gehe langsam zurück. "Dieser Teil der Rede zur Lage der Nation war quasi eine Ehrenrunde – eine Siegesrede mit dem Motto: 'America is back'", fasst der Experte zusammen.
Kampagnenexperte Julius van de Laar hat die Wahlkämpfe von Barack Obama mitgestaltet.Bild: imago images/teutopress
Dem Präsidenten sei es darum gegangen, Optimismus zu versprühen. Und zu zeigen: Er kann wichtige Dinge umsetzen – mit den Republikanern. Und trotz ihnen. Biden selbst erklärte in seiner Rede, die Vereinigten Staaten befänden sich in einer richtungsweisenden Zeit. Sie stünden vor einer Entscheidung, wie sie nur wenige Generationen treffen müssen.
"Er stellt die Menschen quasi vor eine Richtungsentscheidung: Entweder besonnene Kompetenz – also Joe Biden – oder aber Trumps Chaos mit zerstrittenen republikanischen Kongressabgeordneten, die nicht für Amerika, sondern ausschließlich um die eigene Macht feilschen", ordnet van de Laar die Wahlkampf-Kommunikationsstrategie von Joe Biden ein.
Die vergangenen beiden Jahre, meint van de Laar, seien es wohl auch, die Biden darin bestärkten, erneut anzutreten. Im Kampf um die Wiederwahl würden zwei Dinge die Kandidatur von Joe Biden sofort begraben, meint van de Laar. Er führt aus: "Wenn sich die Wirtschaft bis zum Herbst 2024 doch nicht erholt und die Konjunktur wieder einbricht, hat Joe Biden keine Chance."
Das zweite Damoklesschwert, das der Experte über Biden schweben sieht: das Alter. Entstünde auch nur der leiseste Eindruck, dass der Präsident nicht fit sei, könnte die Kampagne in eine brenzlige Schieflage geraten.
USA: Bevölkerung will einen neuen Kandidaten
Die Bevölkerung hingegen schaut deutlich weniger enthusiastisch auf die vergangenen zwei Jahre zurück als der Präsident. In einer Umfrage der Zeitung "Washington Post" und des Senders ABC gaben kürzlich 62 Prozent der Amerikaner an, Biden habe "nicht sehr viel" beziehungsweise "wenig oder nichts" erreicht in seiner bisherigen Präsidentschaft. 62 Prozent der Bevölkerung sagten, sie wären "unzufrieden" oder "wütend", falls Biden 2024 noch mal gewählt würde.
Bei der Parteiprominenz ist die Begeisterung ebenfalls gebremst: Als Sprachregelung ist bislang von hochrangigen Demokraten zu hören, Biden müsse die Entscheidung über eine mögliche weitere Kandidatur selbst treffen. Und wenn er noch mal antreten wolle, dann stehe man hinter ihm.
Donald Trump wirft Joe Biden Führungsschwäche vor.Bild: AP / Jacquelyn Martin
Enthusiasmus klingt anders. Manche Parteikollegen machen selbst öffentlich keinen Hehl daraus, dass sie sich einen jüngeren, dynamischeren Kandidaten wünschen würden. Dass die Demokraten bei der Kongresswahl im vergangenen November deutlich besser abschnitten als vermutet, hat diese Stimmen nicht verstummen lassen.
Die Republikaner hingegen finden sehr deutliche Worte für den Präsidenten. Allen voran sein Vorgänger Donald Trump. Der hat die Rede zur Lage der Nation live auf seiner eigenen Social-Media-Plattform "Truth Social" kommentiert.
Sein Vorwurf: Biden ist führungsschwach. "Der chinesische Präsident Xi Jinping 'lacht über unsere aktuelle Führung, vorher hat er nicht gelacht'", zitiert das ZDF einen von Trumps Posts. Statt blühender Landschaften habe Biden die USA an den "Rand des dritten Weltkrieges geführt".
Sarah Huckabee Sanders, Gouverneurin von Arkansas, spricht Biden in der offiziellen Gegenrede der Republikaner jede Eignung für das Amt ab. Bidens Schwäche gefährde das Land und die Welt, meint sie. Früher war Sanders die Sprecherin von Trump.
(mit Material von dpa)