In der Nacht auf Donnerstag hat der russische Präsident einen Angriffskrieg auf die Ukraine gestartet. In seiner Rede rechtfertigt Wladimir Putin diesen Zug damit, dass Zusammenstöße zwischen Russland und der Ukraine, die er als "nationalistischen Kräfte" bezeichnet, unvermeidlich seien. "Es ist nur eine Frage der Zeit. Sie bereiten sich vor, sie warten auf einen günstigen Moment. Jetzt beanspruchen sie sogar den Besitz von Atomwaffen. Das werden wir nicht zulassen", sagt er in seiner Ansprache. Und er spricht von einer "Entnazifizierung".
Hier ein Ausschnitt aus seiner Rede:
Dass die Ukraine von Nazis befreit werden müsse, bezeichnet der Russland-Experte Andreas Umland als eine Lüge. "Putin behauptet, ein Land zu 'entnazifizieren', das einen Präsidenten mit jüdischem Familienhintergrund hat", schreibt der Analyst des Stockholm Centre for Eastern European Studies, Swedish Institute of International Affairs in einem Post auf LinkedIn.
Und weiter: "2019 gewann der russischsprachige ukrainische Jude Selenskyj freie Wahlen mit einem Ergebnis von 73 Prozent. Er ersetzte einen nichtjüdischen Amtsinhaber, der gegen einen jüdischen Herausforderer die schlimmste Niederlage eines Präsidentschaftskandidaten in der ukrainischen Geschichte hinnehmen musste."
Nachdem der ehemalige Komiker Wolodymyr Selenskyj die Präsidentschaftswahlen 2019 in der Ukraine gewonnen hatte, titelten mehrere Medien damit, dass er, als Mann mit jüdischen Wurzeln, den Sieg gegen den Antisemitismus im Land errang. Darunter etwa auch "Der Spiegel".
Experte Umland erklärt, die vereinte extreme Rechte in der Ukraine habe bei den Parlamentswahlen 2,15 Prozent der Stimmen bekommen. "Hunderte westliche 'antifaschistische' Journalisten und sogar einige Wissenschaftler haben Putin seit 2014 mit ihren alarmierenden Äußerungen geholfen, die vor der überraschend schwachen ukrainischen extremen Rechten warnten." Damit habe man dem Kreml indirekt einer der wichtigsten Rechtfertigungen für diesen russischen Angriffskrieg gegen eine weitgehend tolerante Nation Glaubwürdigkeit gegeben. Ein Angriff auf eine Nation, "die während der Nazi-Aggression von 1941 bis 1944 Millionen Menschenleben verloren hat."
Tatsächlich verlor die Ukraine im deutschen Vernichtungskrieg, beziehungsweise dem deutsch-sowjetischen Krieg zwischen 1941 und 1945, ein Viertel ihrer Bevölkerung. Von etwa 40 Millionen Kriegstoten in Europa war jedes fünfte Opfer ein Ukrainer oder eine Ukrainerin.
Unterdessen behauptet Putin heute, Russland könne sich "nicht sicher fühlen, sich nicht entwickeln und nicht existieren, wenn es ständig von der Ukraine bedroht" werde. Dass einzig und allein Russland seit Monaten eine Drohkulisse an der Grenze zur Ukraine aufbaute, in dem das Land mehr als 150.000 Soldaten entlang der Grenze stationierte, belegen indes mehrere Satellitenaufnahmen.
Umland erinnert in einem weiteren LinkedIn-Post auf zynische Weise noch einmal an die wirtschaftlichen Beziehungen, die die Europäische Union auch weiterhin zu Russland hegt.