Union auf dem Irrweg: Wer den Doppelpass abschaffen will, hat die Wirklichkeit verpasst
Kaum ein Jahr nach der Reform des Staatsbürgerschaftsrechts will die Union diese wieder zurückdrehen. Stephan Mayer (CSU) fordert laut "Bild" den schnellen Entzug deutscher Pässe für Doppelstaatler mit "Deutschen-Hass", seine Parteikollegin Cornell Babendererde (CDU) will demnach die doppelte Staatsbürgerschaft gleich ganz abschaffen.
Sie spricht von "mangelnder Identifikation" und fragt, ob "die Liebe zu Deutschland" groß genug sei, wenn man den alten Pass behalten wolle. Ihre Wortwahl verrät, worum es wirklich geht: nicht um Sicherheit, sondern um Misstrauen.
Doppelte Staatsbürgerschaft: Zurück in die Vergangenheit?
Ich weiß, wovon sie reden. Ich plane, die deutsche Staatsbürgerschaft zu beantragen. Nicht, weil ich mich entscheiden will, sondern weil ich endlich gleichberechtigt sein möchte.
Als Italienerin aus Südtirol mit deutscher Muttersprache lebe ich seit 2020 in Berlin. Ich arbeite hier, mein Kind wächst hier auf. Trotzdem bliebe ich, wenn es nach den Wünschen einiger Unions-Politiker:innen geht, auf dem Papier Ausländerin.
Heimat ist kein Entweder-oder. Sie wächst, wenn man sie teilen darf.
Die Union spricht jetzt wieder von Loyalität, als sei Zugehörigkeit ein Treueeid, den man ablegen oder brechen kann. Dabei ist die doppelte Staatsbürgerschaft kein Zeichen von Unentschiedenheit, sondern eines von Realitätssinn. Millionen Menschen in Deutschland leben längst mit zwei kulturellen, familiären oder beruflichen Bindungen. Sie entscheiden sich aber nicht gegen Deutschland, wenn sie ihre Herkunft behalten, sondern dafür – indem sie hierbleiben, investieren, ihre Kinder hier großziehen.
Auch die Verwaltung profitiert von Einbürgerung. Jeder, der hier dauerhaft lebt, aber keinen deutschen Pass hat, bleibt ein Fall für die Ausländerbehörde: Aufenthaltstitel, Arbeitserlaubnis, Verlängerung, Nachweis. All das bindet Ressourcen, die an anderer Stelle fehlen. Einbürgerung kann deshalb den Staat entlasten.
Ampel-Reform war überfällig – Union bekämpft ein Nicht-Problem
Dass die Ampel 2024 den Doppelpass zur Regel machte, war keine "Gefälligkeit", sondern eine überfällige Anpassung an die Wirklichkeit. Laut Statistischem Bundesamt behielten im vergangenen Jahr fast 80 Prozent der Eingebürgerten ihre alte Staatsangehörigkeit.
Das ist kein Mangel an Identifikation, sondern vielmehr ein Beweis für Integration. Wer sich einbürgern lässt, zeigt längst: Ich will Teil dieser Gesellschaft sein. Dass er oder sie dabei nicht den Herkunftspass verbrennen will, ändert nichts an dieser Haltung.
Die Union will nun ein Problem lösen, das es faktisch nicht gibt. Kein Beleg zeigt, dass Doppelstaatler:innen weniger integriert oder weniger loyal wären. Im Gegenteil: Studien der Bundeszentrale für politische Bildung und des Sachverständigenrats für Integration zeigen, dass Einbürgerung – gerade unter erleichterten Bedingungen – zu höherer politischer Beteiligung, mehr Vertrauen in Institutionen und größerem Engagement führt. Wer einen deutschen Pass hat, fühlt sich eher als Teil des "Wir".
Fachkräftemangel: Doppelte Staatsbürgerschaft als Standortvorteil
Auch ökonomisch ist die Rückwärtsrolle der Union schwer erklärbar. Deutschland steht vor einem historischen Fachkräftemangel. Das Institut der deutschen Wirtschaft schätzt, dass bis 2035 rund sieben Millionen Arbeitskräfte fehlen werden. Der Doppelpass ist dabei kein Geschenk, sondern ein Wettbewerbsvorteil.
Er senkt Hürden für Fachkräfte, die hierbleiben wollen, statt nach Kanada oder in die Niederlande zu gehen. Denn das sind Länder, die Mehrstaatigkeit längst als Normalität behandeln. Wer den Doppelpass abschafft, erschwert nicht nur Integration, sondern auch Einwanderung.
Gleichzeitig sendet die Union ein fatales Signal: Wer dazugehören will, soll erst beweisen, dass er es "wert" ist. Diese Rhetorik macht aus Zugehörigkeit eine Prüfung, aus Einbürgerung eine Gnade. In Wirklichkeit stärkt man Loyalität, indem man Vertrauen schenkt – nicht indem man sie erzwingt. Die Reform von 2024 hat dieses Vertrauen institutionalisiert: Ein Staat, der sagt, man darf beides sein, ist ein Staat, der Integration ernst meint.
Die Berufung auf Einzelfälle – wie jenen Berliner Palästinenser, der nach seiner Einbürgerung Hamas-Propaganda teilte – mag politisch wirksam sein, taugt aber kaum als Begründung für eine Kehrtwende im Staatsangehörigkeitsrecht. Straftäter:innen oder Extremist:innen kann man schon heute ausbürgern, wenn sie die Voraussetzungen dafür erfüllen. Dafür braucht es keine pauschale Rückabwicklung eines modernen Gesetzes, sondern konsequente Anwendung des bestehenden Rechts.
Doppelpass: Europa ist weiter, Deutschland darf nicht zurückfallen
Europa ist längst weiter. Frankreich, Großbritannien, Portugal: Sie alle akzeptieren Mehrstaatigkeit als Teil eines offenen Selbstverständnisses. Deutschland hat mit der Reform 2024 endlich zu dieser Normalität aufgeschlossen. Eine Rückkehr zum alten Entweder-oder wäre in Zeiten globaler Mobilität ein Anachronismus. Sie würde Deutschland isolieren, nicht schützen.
Die doppelte Staatsbürgerschaft ist also Ausdruck einer komplexen Realität. Sie erlaubt Menschen, ihre Identität ganz zu leben, statt sie zwischen zwei Pässen zu zerreißen. Sie sagt nicht: Ich bin weniger deutsch. Sie sagt: Ich bin auch etwas anderes und das bereichert dieses Land.
Wer das wieder abschaffen will, spielt mit Angst, nicht mit Argumenten. Und sendet das Signal, dass Deutschland Menschen nur dann willkommen heißt, wenn sie ihre Vergangenheit an der Grenze abgeben. In einer Welt, die längst vernetzt, gemischt und mobil ist, ist das kein Patriotismus: Es ist Spaltung in blauem Anstrich.
