Es brauchte ein Jahr, bis sich China öffentlich zum Krieg in der Ukraine zu Wort meldete. Viele haben sich wohl ein Machtwort erhofft – eine geballte Faust gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin. Pünktlich zum Jahrestag des Krieges legt Chinas Außenministerium einen Friedensplan vor.
Damit will man den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands beenden.
"Chinas Position zur politischen Lösung der Ukraine-Krise“ heißt das Dokument. Darin legt das Land in zwölf Punkten seine Position dar: Etwa die Forderungen nach einem Waffenstillstand, Friedensverhandlungen, Garantien für Souveränität und Unabhängigkeit für beide Länder und ein Ende der "Ausweitung der Militärblöcke" sowie "einseitigen Sanktionen".
Doch der chinesische Friedensplan entpuppt sich offenbar zum Papiertiger.
China-Experte Temur Umarov sieht den Friedensplan nicht als ernsthaften Versuch an, den Krieg beenden zu wollen. Denn am Ende habe der chinesische Präsident Xi Jinping gar nicht die Intention, wirklich Druck auf Putin auszuüben – der Krieg in der Ukraine befördere China in eine "äußerst gemütliche Position". Umarov forscht am Carnegie Endowment for International Peace mit Fokus auf China, Russland und Zentralasien.
Seiner Meinung nach hegt China nicht wirklich die Intention, den Krieg in der Ukraine zu beenden. "Der Westen investiert momentan all seine Aufmerksamkeit und Ressourcen auf diesen Krieg", sagt Umarov im Gespräch mit watson. Auf der anderen Seite stehe ein sehr isoliertes, geschwächtes Russland. All das spiele China derzeit in die Hände.
Denn: Das Land plant etwas Größeres und denkt dabei langfristig.
"Was China derzeit braucht, ist Zeit", sagt der Politikwissenschaftler. Und genau das gebe der Krieg in der Ukraine der chinesischen Regierung. Während sich die Weltpolitik auf die Ukraine und Russland fokussiert, könne sich China klammheimlich auf eine bevorstehende Konfrontation vorbereiten –und zwar mit der Weltmacht USA. Diese sei unausweichlich.
Der Verteidigungsminister der Vereinigten Staaten Lloyd Austin warnt immer wieder davor, dass China die USA systematisch herausfordern könne. Im Oktober stellte er die amerikanische Militärstrategie vor. Darin wird nicht Russland, sondern China als langfristig größte Bedrohung angesehen. Das Land könnte das internationale System in seinem Sinne umgestalten. Laut Umarov bereitet es sich genau darauf im Hintergrund vor.
Und der Friedensplan ist nichts als ein Bluff?
Umarov zufolge bietet das Dokument kein Potenzial, den Krieg in der Ukraine zu beenden. Es sei kein "echt gemeinter Friedensplan", der irgendetwas ändern könnte. Der Inhalt sei sehr vage und lege keine konkreten Optionen vor. "Am Ende soll der Friedensplan das Image Chinas polieren", meint der Experte. Denn das Land wolle sich als wichtiger globaler Player auf der Weltbühne präsentieren. Daher konnte China nicht auf ewig zum Krieg in der Ukraine schweigen.
Allerdings wollen die Europäer und die Amerikaner gar nicht, dass sich China zu sehr in die Lösung des Krieges in der Ukraine einmischt, meint Militärexperte Ralph Thiele gegenüber watson. Und zwar wegen der geopolitischen Auseinandersetzung zwischen China und den USA um Macht und Prosperität, um die führende Rolle in der Welt.
Man wolle China keine Plattform in Europa bieten, in dem es eine wichtige Rolle etwa beim Waffenstillstand und bei der Sicherung des Waffenstillstands spielt, sagt Thiele. Dies könnte die wirtschaftliche und die machtpolitische Position Chinas in Europa stärken, obwohl es den USA und der EU gerade darum geht, Chinas Einfluss in der Welt und in Europa zu begrenzen.
Dabei könnte China durchaus eine Schlüsselrolle in dem Krieg einnehmen, meint der Militärexperte. Zum einen stelle China eine Masse an Hightech-Produkten her, die Russland für seine Prosperität und eben auch Kriegsführungsfähigkeit braucht. "Wir sprechen hier von etwa Halbleitern und Zwischenprodukten bis hin zu Drohnen", sagt Thiele, der auch Vorsitzender der Politisch-Militärischen Gesellschaft ist.
Laut Umarov gibt es Beweise, dass China Dual-Use-Güter an Russland liefert. Sprich, Güter mit doppeltem Verwendungszweck, die aufgrund ihrer technischen Spezifikationen sowohl zivil als auch militärisch verwendet werden können. Dieser Deal wurde wohl noch vor dem Krieg gemacht, meint Umraov.
Und China führe es einfach weiter fort –"business as usual". "Damit könnte China mäßigend auf Russland einwirken", sagt Thiele. Doch ihm zufolge wollte das Land das bislang gar nicht. Für China sei das ein europäischer Krieg und die Europäer müssen das Thema selbst lösen.
Für Umarov steht fest: Am Ende hat China kein Interesse daran, Putin von seinem Thron zu werfen – es ist sogar genau umgekehrt.
"Wenn das Putin-Regime zusammenbrechen sollte, wäre das ein Desaster für China", sagt Umarov. Denn: Die chinesische Regierung habe viel in eine gute Beziehung zwischen Putin und Xin Jinping investiert. Laut Umarov hat China demnach großes Interesse daran, Putin an der Macht zu halten.
Auf der anderen Seite besitze China aber nicht die nötigen Mittel, diesen Wunsch umzusetzen. Daher hofft es darauf, dass Putins Regime weiterhin stabil bleibt. Bis dahin werde das Land wohl seine neutrale Position zum Krieg in der Ukraine beibehalten.
"Am Ende ist China der Gewinner des Krieges", sagt Umarov. Der Krieg befördere China in eine vorteilhafte Position für seine politischen Ziele. "Wenn man es so sieht, hilft Russland mit dem Krieg in der Ukraine, dass sich China besser auf die bevorstehende Konfrontation mit den USA vorbereiten kann", sagt Umarov.