Autokrat nach innen, Bittsteller nach außen. Alexander Lukaschenko, der belarussische Machthaber, steht mit dem Rücken zur Wand. Auch wenn sich Lukaschenko selbst als bedeutenden Partner des russischen Präsidenten Wladimir Putins bezeichnet, ist der belarussische Präsident vor allem eines: die Marionette eines Kriegstreibers. Abhängig vom Puppenspieler und dadurch weltpolitisch isoliert.
Das will er ändern.
Und darum ist Lukaschenko am Dienstag in die Volksrepublik China gereist.
China gilt für den belarussischen Machthaber als eines der wichtigsten Länder, um sich von Russland abzugrenzen. Das sieht auch Temur Umarov von der unparteiischen Denkfabrik Carnegie Endowment for International Peace (CEIP) so. Vor allem, seit Belarus nach dem Beginn der russischen Invasion in der Ukraine durch die internationalen Sanktionen isoliert ist. Denn Lukaschenko ist wegen seiner engen Beziehungen zu Putin in seinen Außenbeziehungen sehr eingeschränkt, meint der Experte. In China sieht er jetzt seine Hoffnungen.
Es ist das erste Mal seit langem, dass Lukaschenko in die Volksrepublik reist. In einem Interview mit der chinesisch staatlichen Nachrichtenagentur "Xinhua" lobte er das Land kürzlich in den höchsten Tönen. Ihm sei bei seiner Reise vor zwei Jahrzehnten längst klar gewesen, dass China einen bedeutsamen Aufstieg erleben werde. Den Präsidenten Xi Jinping nennt er seinen "alten Freund" und "eine kluge, weise, kreative und moderne Person".
Doch eine solche Anbiederung dürfte Teil einer Verzweiflungstat sein.
Denn Lukaschenko ist in der Zwickmühle. Seit den Massenprotesten in seinem Land, im Jahr 2020, erkennen europäische Regierungschefs den Machthaber nicht mehr als legitimes Staatsoberhaupt an.
Die Präsidentschaftswahl damals gilt als gefälscht. Lukaschenko hatte die Proteste nach der Abstimmung blutig niederschlagen lassen. Seither unterdrückt er jegliche Form des Widerstands, kritische Berichterstattung ist im Land kaum noch möglich. Der Westen reagierte: Seit 2020 ist Lukaschenko mit internationalen Sanktionen belegt – was ihn allerdings noch stärker in die Abhängigkeit seines Nachbarn Putin getrieben hatte.
Laut Umarov ist die belarussische Wirtschaft offiziellen Statistiken zufolge zu fast 70 Prozent an Russland gebunden.
Diese wirtschaftliche Abhängigkeit zwingt den Diktator dazu, Russland so weit wie möglich in seinem territorialen Machtstreben zu unterstützen, sprich: Putins Kriegstreiben in der Ukraine. Auch jetzt noch beherbergt Belarus Soldaten aus Russland – und stellt damit eine Bedrohung für die Ukraine von nördlicher Seite dar. Gleichzeitig will Lukaschenko keine eigenen Truppen in die Ukraine schicken.
Eine stärkere Handelsbeziehung zu China könnte dem belarussischen Machthaber zumindest ein Fünkchen Hoffnung bieten, sich aus den putinschen Fesseln zu lösen.
"Lukaschenko hat nur eine sehr begrenzte Anzahl von Ländern, die ihm helfen würden, seine Beziehungen zu diversifizieren", erklärt Umarov auf watson-Anfrage. Im Jahr 2022 ist der Handel zwischen China und Belarus dem Experten zufolge um fast das Doppelte gestiegen. Den Wunsch nach Abgrenzung zu Putin erkenne man auch daran, dass Lukaschenko schon länger versuche, andere Freunde in der Welt zu finden. "Er ist nach Afrika gereist, er will in den Iran gehen – und jetzt ist es China", sagt Umarov.
Doch es ist nicht bloß die wirtschaftliche Misere, die Lukaschenko zwingt, neue Freunde zu finden.
Durch den ukrainischen Geheimdienst wurde vor wenigen Wochen ein internes Kreml-Papier offengelegt, das zeigt: Russland arbeitet offenbar aktiv an der Übernahme von Belarus. Mehrere europäische Medien, darunter auch die "Süddeutsche Zeitung", hatten darüber berichtet. Demnach wollen Putins Strategen das Land politisch, wirtschaftlich und militärisch unterwandern – eine Übernahme will man offenbar bis 2030 erreicht haben.
Lukaschenko hat etwaige Pläne kürzlich auch kommentiert und als Unfug abgetan. Doch auch in Europa sieht man diese Entwicklung mit Sorge.
Für die EU-Außenpolitikerin Viola von Cramon (Grüne) ist klar: "Auch, wenn wir heute über die Ukraine sprechen: Es geht in der europäischen Außen- und Nachbarschaftspolitik nicht nur um die Frage, was wir für die Ukraine tun." Das sagte die stellvertretende Vorsitzende der Delegation im Parlamentarischen Assoziationsausschuss EU-Ukraine in einem Gespräch mit Journalist:innen am vergangenen Freitag. Es gehe "auch darum, welchen Einfluss jegliche Form der Destabilisierung und des territorialen Vorrückens russischer Truppen auf andere Länder hat. Was ist mit Moldau? Belarus? Den Staaten auf dem Westbalkan?"
Es werde seit längerer Zeit beobachtet, dass Lukaschenko immer weniger Manöver-Möglichkeiten hat. Finanzielle Einschränkungen, aber eben auch, dass russische Spezial- und Geheimdienst-Einheiten die Souveränität Lukaschenkos und die Unabhängigkeit von Belarus immer weiter begrenzen. Die Bevölkerung ist offenbar gegen eine weitere Annäherung an Russland. "Doch oppositionelle Kräfte sind seit 2020 entweder im Exil, im Gefängnis oder tot", meint die Grünen-Politikerin von Cramon.
Den plötzlichen Tod von Uladsimir Makej sieht von Cramon als Warnzeichen für Lukaschenko und die Opposition. Im November 2022 war der belarussische Außenminister plötzlich verstorben – eine Todesursache ist bis heute nicht bekannt. "Makej war der Einzige, der den Krieg in der Ukraine kritisiert hatte", sagt von Cramon.
Lukaschenko hat also viele Gründe, die Arme Richtung China auszustrecken. Doch wie wertet Peking diesen Besuch?
China-Experte Umarov sagt:
Peking hatte vergangene Woche einen Zwölf-Punkte-Plan "zur politischen Lösung der Ukraine-Krise" vorgelegt, daher wird es bei den Gesprächen vermutlich auch um die Ukraine gehen. Doch Umarov zufolge will sich China im Krieg neutral verhalten und versuche deshalb, Abstand zu halten. "Deshalb haben wir seit Beginn des Krieges keine Kontakte zwischen China und der Ukraine gesehen", erklärt der Experte. "Xi Jinping hat nicht einmal mit Selenskyj telefoniert, wie es eigentlich vor dem Krieg normal war."
Nun gab es allerdings kurz vor Veröffentlichung von Chinas Friedensplan die US-Geheimdienstmeldung, Xi erwäge Waffenlieferungen nach Russland. Neutral wäre ein solches Verhalten nicht. Das meint auch Viola von Cramon. "Waffenlieferungen halte ich aber für unwahrscheinlich", erklärte sie in dem Gespräch mit Journalist:innen. Und in dem Friedensplan erkennt sie zudem "sehr viel Raum für Interpretation". "Ich lese darin auch eine Kritik an Putins Kriegsführung."
Vor allem aber ist Chinas diplomatisches Verhalten in diesem Konstrukt für von Cramon an interne Bestrebungen geknüpft. "China braucht für seine innenpolitische Stabilität Getreide", erklärte Cramon. Das bekam die Volksrepublik vor dem Krieg zu großen Teilen aus der Ukraine. "Jetzt werden sie die Lieferungen wahrscheinlich von Russland beziehen, aber das ist deutlich mühseliger und teurer."