Die Aufstände in Brasilien zeigen Parallelen zum Sturm auf das US-Kapitol. Kein Zufall – denn die MAGA-Strategen pflegen engen Kontakt zum Ex-Präsidenten Jair Bolsonaro. Bild: IMAGO/Fotoarena / Eduardo FS Lima
Analyse
09.01.2023, 15:2709.01.2023, 19:15
Eine gelb-grüne Welle strömt über die Wiese: ein Meer in den Farben der brasilianischen Landesflagge. Hunderte Menschen tragen T-Shirts und Mützen mit den Landesfarben Brasiliens. Flaggen wehen im Wind oder sind um die Hüften der Frauen und Männer gebunden. Sie sehen aus wie brasilianische Fußballfans, die gerade das Stadion verlassen.
Doch diese Masse hat sich versammelt, um gegen die angeblich "gestohlene Wahl" zu protestieren.
Aufständische stürmen mehrere Regierungsgebäude, darunter auch den brasilianischen Kongress.Bild: IMAGO/Fotoarena / Eduardo FS Lima
Die Anhänger:innen des rechtsradikalen Ex-Präsidenten Jair Bolsonaro stürmen am 8. Januar den Kongress, den Obersten Gerichtshof und den Regierungssitz Palácio do Planalto in Brasilia, der Hauptstadt Brasiliens. Nur wenige Polizist:innen stellen sich der Masse entgegen. Schlagstöcke, Pfefferspray, Absperrung – nichts hält die wütende Welle auf.
Die Sicherheitsbeamt:innen sind den Ausschreitungen ausgeliefert. Ein Polizist wird vom Pferd gerissen und am Boden getreten. Die Angreifer:innen zerstören alles, was ihnen in den Weg kommt: Fensterscheiben, Gemälde, Statuen, Tische. Die radikale Bolsonaro-Gefolgschaft verwüstet den Sitz der brasilianischen Regierung. Denn sie wollen den Wahlsieg des linksgerichteten Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva (Lula) nicht anerkennen.
Bolsonaro war im vergangenen Oktober dem Linkspolitiker Lula in der Stichwahl unterlegen und zum Jahreswechsel aus dem Amt geschieden. Ausdrücklich erkannte er seine Niederlage nie an – wie seine Anhänger:innen, die nun ihrer Wut freien Lauf lassen.
Ein Mann schlägt mit der Eisenstange auf einen Polizisten ein.Bild: dpa / Matheus Alves
Brasilien erlebt seinen eigenen amerikanischen 6. Januar
Die Bilder aus Brasilien wecken Erinnerungen. So haben radikale MAGA-Anhänger:innen am 6. Januar 2021 den US-Kongress in Washington gestürmt, nachdem sie die Wahlniederlage des Ex-Präsidenten Donald Trump nicht anerkannt haben. MAGA steht für Trumps-Wahlspruch: Make America Great Again.
Anhänger:innen von Ex-Präsident Trump stürmen das US-Kapitolgebäude am 6. Januar 2021.Bild: dpa / Essdras M. Suarez
Brasilien und USA: Menschen stürmen den Kongress ihres Landes, weil sie die Wahlniederlage ihres Anführers nicht anerkennen.
Ist die Ähnlichkeit beider Ausschreitungen Zufall?
Nein.
Die faschistischen MAGA-Strippenzieher strecken ihre Hände bis nach Brasilien aus. Allen voran der ehemalige Trump-Berater Steve Bannon.
Laut des Politikwissenschaftlers Johannes Hillje dient der "Trumpismus als Blaupause für eine globale anti-demokratische Bewegung." Sprich, als Vorlage neben der US-Demokratie auch andere demokratische Regierungen weltweit anzugreifen.
Bannon galt als enger Vertrauter Trumps. Als Chefstratege des Weißen Hauses galt er als der Kopf der MAGA-Bewegung. Nach Trumps Wahlniederlage zweifelte er die Ergebnisse der US-Präsidentschaftswahlen 2020 an – die gleiche Strategie verfolgt er auch in Brasilien.
Steve Bannon (r.) gehörte zum engsten Berater von Donald Trump vor und während seiner Amtszeit im Weißen Haus.Bild: imago/ZUMA Press / Ron Sachs
Bannons Einfluss auf die rechtsextreme Bewegung in Brasilien
Die "BBC" berichtet, dass Bannon haltlose Gerüchte über Wahlbetrug verbreitet habe. In mehreren Folgen seines Podcasts und in Social-Media-Beiträgen schürte er Vorwürfe einer "gestohlenen Wahl" und schattenhafter Kräfte.
Mit dem Hashtag #BrazilianSpring soll er zu Protesten aufgerufen haben. Erneut hat Bannon, mit falschen Berichten und unbewiesenen Gerüchten, Menschen angeheizt – bis zur Eskalation.
Steve Bannon heizte die Stimmung in Brasilien durch Lügen und Fehlinformationen auf.Bild: FR159526 AP / Jose Luis Magana
Bereits im Dezember 2022 warnte der Journalist Ron Filipkowski davor, dass Bannon versuche, einen Putsch in Brasilien anzuzetteln. Filipkowski wies darauf hin, dass Bolsonaro ein Video von Bannon veröffentlicht habe. Darin sagte der ehemalige Trump-Berater zum brasilianischen Volk, dass ihre Wahl gestohlen sei. Er lobte jene, die auf der Straße protestieren: "Es ist sehr interessant zu sehen, wie sich das entwickelt."
Weiter schreibt Journalist Filipkowski auf Twitter, Bolsonaro spiele nach Trumps "Playbook", er hat sich die Strategie von der MAGA-Bewegung abgeschaut und Bannon unterstütze ihn dabei.
Interessant ist auch der Aufenthaltsort von Bolsonaro zum Zeitpunkt der Ausschreitungen in seinem Land.
Der Ex-Präsident Bolsonaro befand sich im Sonnenstaat Florida, USA – im Heimatstaat Trumps. Bastian Brauns, US-Korrespondent des Nachrichtenportals "t-online", schreibt auf Twitter, dass Bolsonaro den Neujahrsabend "ausgerechnet in Trumps Mar-a-Lago verbracht haben" soll.
Zwei, die sich verstehen: Der brasilianische Ex-Präsident Bolsonaro (l.) hat Trump bereits öfters in Florida besucht.Bild: imago images/ZUMA Wire / xAlan Santos/President Brazil
Wenige Tage bevor die radikalen Bolsonaro-Anhänger:innen das brasilianische Parlament stürmten, spazierte Bolsonaro leger in kurzer Hose und T-Shirt durch einen Vorort in Orlando, wo offenbar viele Brasilianer:innen leben.
Auch Bolsonaros Sohn soll Trump in Florida besucht haben.
Laut der US-Zeitung "Washington Post" hat sich der brasilianische Kongressabgeordnete Eduardo Bolsonaro, der Sohn des Ex-Präsidenten, im Oktober 2022 mit Trump in Mar-a-Lago getroffen. Zudem soll er sich den Berichten zufolge telefonisch mit anderen politischen Verbündeten ausgetauscht haben – etwa mit dem ehemaligen Trump-Strategen Bannon.
Weiter heißt es, der Sohn Bolsonaros habe in Südflorida mit dem ehemaligen Sprecher der Trump-Kampagne, Jason Miller, jetzt CEO des Social-Media-Unternehmens Gettr, zu Mittag gegessen und über Online-Zensur und Redefreiheit gesprochen.
Aber nicht nur der Sohn Bolsonaros ist mit US-MAGA-Strategen vernetzt. Es geht noch weiter.
Auch Sicherheitschef Torres soll sich in Florida aufhalten
Im Fokus steht momentan auch der Sicherheitschef der Hauptstadt Brasília, Anderson Torres. Kurz nach dem Angriff hat der Gouverneur des Bundesbezirks, Ibaneis Rocha, Torres entlassen. Auf Twitter schrieb er dazu:
"Ich habe die Entlassung des Sicherheitsministers des Bundesdistrikts beschlossen und gleichzeitig alle Sicherheitskräfte auf die Straße geschickt, um die Verantwortlichen festzunehmen und zu bestrafen."
Die Frage steht im Raum, wie die Menschen beinahe widerstandslos die Regierungsgebäude stürmen konnten? Erst nach mehreren Stunden brachten die Sicherheitskräfte die Situation wieder unter Kontrolle – und das, obwohl der Aufstand wohl von langer Hand geplant und in diversen Telegram-Kanälen besprochen wurde.
Hat der Sicherheitschef Torres den Aufstand unterstützt?
Während der Amtszeit von Bolsonaro war Torres (l.) Justizminister in Brasilien. Bild: IMAGO/Fotoarena / Ton Molina
Laut David Adler, General Coordinator der Organisation "Progressive Internationale" (PI) ist es zumindest auffällig, dass sich Torres ebenfalls in Florida befindet. Auf Twitter schreibt er: "Der Brasilien-Aufstand könnte in Florida geplant worden sein. Der Sicherheitsminister des Bundesdistrikts befindet sich in den USA und ist kürzlich nach Orlando gereist – genau dort, wo sich Bolsonaro derzeit aufhält."
Die Vernetzung von Politiker:innen und Strategen der MAGA-Bewegung mit Bolsonaro lässt darauf schließen, dass die Parallelen zwischen den US-amerikanischen und brasilianischen Aufständen kein Zufall sind.
Bolsonaro macht sich wohl auch den christlichen Nationalismus zu Nutzen
Der USA-Expertin Annika Brockschmidt fällt noch einen weiteren Aspekt auf, der die Ähnlichkeit beider Ausschreitungen aufzeigt: das religiöse Element.
Brockschmidt schreibt auf Twitter: "Christlicher Nationalismus als gemeinsamer Nenner und Treibkraft politischer Gewalt." Sie postet dazu einen Tweet des Journalisten und Buchautoren Brian Kaylor. Er macht ebenfalls darauf aufmerksam, dass Bolsonaro wie Trump die religiöse Karte spiele und christlichen Nationalismus für sich ausnutze. So sind unter den Bolsonaro-Anhänger:innen Menschen zu sehen, die während des Aufstandes auf ihren Knien beten. Bilder, die es auch bei dem Sturm auf das US-Kapitol gegeben hat.
Der Aufstand in Brasilien zeigt, dass die MAGA-Bewegung keinen Halt vor den US-Grenzen macht. Das MAGA-Playbook dient als Vorlage anti-demokratischer Bewegungen. In einer Zeit, in der Rechtsextreme nicht vor Gewalt zurückschrecken, um an Macht zu gelangen – oder ihre Macht zu bewahren.