Ein Kampfpanzer Leopard 2 – erst im Januar hat sich die Bundesregierung entschieden, Panzer dieser Art in die Ukraine zu senden. Bild: dpa / Peter Steffen
Analyse
"Wie können wir Frieden in die Welt bringen, wenn wir keinen Frieden in uns haben?" Mutter Teresa stellte sich zu ihren Lebzeiten viele solcher Fragen. Über die Liebe, über das Leid in der Welt, über Hunger, über Krieg und Frieden.
Wie können wir den Weg zum Frieden ebnen, während wir tödliche Waffen produzieren? Während wir Kampfgerät in ein Land schicken, das sich mit all seinen Kräften gegen einen aggressiven Invasoren zu verteidigen versucht? Ist der Weg zum Frieden, der des Kampfes?
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Deutschland hat sich nach langem Ringen im Januar dazu entschieden, Leopard-2-Kampfpanzer in die Ukraine zu senden. Auch die Leopard-1-Lieferung ist jetzt genehmigt. Wann genau das Kriegsgerät eintreffen wird und für den Kampf bereit ist, ist noch unklar. Doch schon geht die nächste Debatte los: Sollten wir nicht auch sofort darüber nachdenken, Kampfflugzeuge zu liefern?
Für viele stellt sich die Frage, wie der russische Angriffskrieg enden soll. Linken-Politiker:innen wie Sahra Wagenknecht und auch Vertreter:innen der rechtspopulistischen AfD sehen in deutschen Waffenlieferungen nur eine Verlängerung des Krieges – mit angeblich unnötig vielen Toten und Verletzten.
Andere wiederum sagen, ohne Waffenlieferungen verliert die Ukraine diesen Krieg – was allerdings keinen Frieden mit sich brächte. Die Gefahr, dass Russland weitere Länder angreift und einnehmen will, steige mit jedem Fortschritt, den das Land in den umkämpften Gebieten der Ukraine mache.
In ganz Deutschland hat sich die Bereitwilligkeit, Waffen zu liefern, in den vergangenen elf Monaten weiter und weiter gesteigert. Noch vor Kriegsbeginn wollte man in der Bundesrepublik überhaupt keine Waffen schicken. Wirtschaftsminister Robert Habeck war im Frühling 2021 (damals noch Grünen-Chef) heftig in die Kritik geraten, weil er Defensivwaffen für die Ukraine gefordert hatte. Heute liefert Deutschland sogar Kampfpanzer.
Selbst in der Friedens- und Konfliktforschung ist man geteilter Meinung, wie eine Sprecherin der Deutschen Stiftung Friedensforschung watson mitteilt. Viele seien sehr pragmatisch aufgestellt und befürworteten weitere Lieferungen, einige folgten hingegen eher pazifistischen Strömungen.
Ukraine-Krieg: Weitere Waffen sollen Weg für Verhandlungen ebnen
Anja Dahlmann, die Leiterin des Berliner Büros des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik Hamburg, sieht zunächst keinen anderen Weg, als den der Waffenlieferungen. "Im Prinzip muss es erst einmal so weitergehen, wenn unser Ziel ist, die Ukraine in eine Position zu bringen, in der Verhandlungen möglich werden", erklärt sie im Gespräch mit watson.
Nach der Zusage für Kampfpanzer steht die Debatte an, ob Kampfjets wieder der Eurofighter geliefert werden sollen.Bild: dpa / Christophe Gateau
"Man will ja die Ukraine nicht nur unterstützen, sich gegen Russland zu wehren. Sondern die Idee ist, mindestens eine Pattsituation herzustellen, in der es für Russland unattraktiv wird, weiter anzugreifen", sagt sie.
Eine Situation, in der Russland bereit wäre, sich auf Verhandlungen einzulassen – das sei das Ziel hinter all den Waffenlieferungen. Wolle man diesen Weg konsequent weitergehen, müsse man eben das liefern, was militärisch geboten sei. "Ob das jetzt am Ende wirklich Kampfjets sein müssen oder nicht, das muss die Bundesregierung entscheiden."
Bundeskanzler Olaf Scholz hat die Debatte um diese Kampfjets zunächst kategorisch abgelehnt. Er wolle sich nicht treiben lassen, meint er. Und selbst SPD-Außenpolitiker Michael Roth, der sich stets als Verfechter von neuen Waffenlieferungen gezeigt hat, schaltet bei den Flugzeugen einen Gang zurück. Im ZDF-"Morgenmagazin" vom Montag sagte er, er halte es nicht für zielführend, über "immer neue Waffensysteme" für die Ukraine zu sprechen. Zugesagte Systeme sollten hingegen erst einmal geliefert werden.
Auch Munition sei wichtig. Hier hakt es nämlich zurzeit. Das erklärte Roth im ZDF noch einmal deutlicher: Expert:innen zufolge sei man im Westen nicht in der Lage, "so schnell die Munition wieder herzustellen, die die Ukraine in einem Monat" verbrauche.
Russlands Kriegsziel: Vernichtung der Ukraine als souveränen Staat
Ähnlich erklärt es auch Friedens- und Konfliktforscherin Anja Dahlmann. Um die angepeilte Pattsituation herzustellen, gebe es die militärische Notwendigkeit, nachzuliefern.
Frieden erreichen – über das Schlachtfeld? Ein historisches Beispiel, in dem der Angegriffene besiegt wurde und am Ende wahrer Frieden herrschte, gibt es nicht. Das wäre eine Besetzung, Unterdrückung, Herrschaft – ohne Sicherheit. In diesem Fall ist Russlands Kriegsziel die Vernichtung der Ukraine als souveränen Staat. Im Krieg besiegt zu werden, brächte vermutlich einen Genozid am ukrainischen Volk mit sich.
Doch jeder Krieg ist einzigartig. Jeder Krieg hat seine eigene Komplexität. Im Fall Russland gegen die Ukraine, so sagt Dahlmann, ist die Sache allerdings ziemlich eindeutig:
"Russland könnte jederzeit aufhören, es zwingt sie niemand, da zu sein. Es ist also in diesem Fall relativ simpel: Solange Russland dazu nicht bereit ist, wird dieser Konflikt militärisch aufrechterhalten bleiben."
Eine Schlacht hin zum Frieden, so sieht die Lage in der Ukraine zurzeit aus. Was daraus dann entsteht, meint Dahlmann, wird ausschlaggebend sein, ob es zu Verhandlungen kommt und wie diese aussehen. Ein Waffenstillstand? Friedensverhandlungen? Oder doch ein eingefrorener Konflikt?
Ukrainische Soldaten feuern mit Mörsern auf russische Stellungen.Bild: AP / Libkos
"Es gibt sehr viele Kriege, die einfach immer so weiterlaufen", erklärt Dahlmann weiter. "Wenn auch nicht auf so einer hohen Schwelle, aber immer mit einem gewissen Eskalationspotenzial." Eine Situation, in der es weder vor- noch zurückgeht. Das hänge am Ende aber auch damit zusammen, wie weit der Westen die Ukraine noch unterstützt und wie viel Russland noch einstecken kann: sowohl militärisch als auch wirtschaftlich.
Denn der Westen verschärft die Wirtschaftssanktionen parallel weiter. Gerade im Dezember hatte die EU ein neues Sanktionspaket auf den Weg gebracht. "Mit militärischem, wirtschaftlichem und auch diplomatischen Druck können wir zu Verhandlungen kommen", meint Dahlmann weiter. Sobald das Interesse beider Seiten befriedigt werden könne, sehe man, dass Verhandlungen zustande kommen könnten. Gute Beispiele: Gefangenenaustausch, Getreideabkommen.
Unterdessen spitzt sich die Lage im Donbass immer weiter zu. Sowohl die Ukraine als auch Sicherheitsdienste des Westens gehen von einer neu angelegten Offensive Russlands aus. Und Präsident Wolodymyr Selenskyj bekräftigt seine Forderung nach einer Erhöhung des Drucks auf Russland.
Strategisch, so erklärte Selenskyj, sei Russlands Niederlage quasi schon besiegelt. "Aber taktisch haben sie noch Ressourcen für Offensivversuche. Sie suchen nach Möglichkeiten, den Verlauf des Krieges zu ändern." Der US-Geheimdienst CIA geht davon aus, dass sich das im nächsten halben Jahr entscheidet.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Wolodymyr Selenskyj in Kiew.Bild: EU / Dati Bendo
Fraglich, ob dann die Pattsituation erreicht ist, von der Friedensforscherin Anja Dahlmann spricht. Denn nur dann könnten Verhandlungen beginnen.
Verhandlungen – aber wohin sollen sie führen?
In der Forschung gibt es verschiedene Arten von Frieden: den negativen und den positiven Frieden, erklärt Dahlmann. "Negativer Frieden ist im Wesentlichen die Abwesenheit von Krieg". Keine offensichtlichen Gewalthandlungen, quasi ein lang anhaltender Waffenstillstand. Doch ohne Sicherheiten. Erstrebenswerter, meint die Friedensforscherin, ist der positive Frieden, der generell die Abwesenheit von Gewalt in einer friedlichen Gesellschaft umfasst. Versöhnung und Verständigung, Kriegsfolgen-Bewältigung. Eben nicht nur die Abwesenheit von Krieg.
Es könnte 30, 40, 50 Jahre dauern, bis die Ukraine diesen Zustand erreicht.