Die Welt steht gefühlt in Flammen: Russische Bomben ermorden Menschen in Europa. Frauen sterben im Iran, weil sie frei leben wollen. Kinder verbluten bei Schießereien an Schulen in den USA. Dabei die ständige Angst, dass die Welt in eine Klimakatastrophe rast, ohne die Handbremse zu ziehen.
Und dann gibt es noch Afrika. Ein Kontinent, der bei all den aktuellen Krisenherden aus dem Rampenlicht rückt. Und dieser blinde Fleck wird zur Macht-Spielwiese eines ganz bestimmten Akteurs: Russland.
Demokratische Republik Kongo, Burkina Faso, Kamerun: Das sind die 2021 am meisten vergessenen Krisenländer. Millionen Menschen von dort befinden sich auf der Flucht und kämpfen ums Überleben.
Das ergibt eine Studie des "Norwegian Refugee Council" (NRC). Die unabhängige humanitäre Organisation veröffentlicht jedes Jahr die zehn am meist vergessenen Vertreibungskrisen weltweit. 2021 lagen erstmals alle aufgezählten Krisen auf dem afrikanischen Kontinent.
Wie etwa in Burkina Faso: Mit der sprunghaft steigenden Anzahl von Vertriebenen und der politischen Instabilität, die zu einem Militärputsch im Januar 2022 führte, werde sich dort die humanitäre Situation laut NRC weiter verschärfen. Dabei habe der Krieg in der Ukraine aufgezeigt, was möglich sei, wenn die internationale Gemeinschaft sich einer Krise annehme, schreibt der NCR im Vorwort der veröffentlichten Liste.
Denn während die Weltgemeinschaft Afrika aus dem Auge verliert, reibt sich Russland die Hände. Der Kreml weiß offenbar das Chaos zu seinem Vorteil auszunutzen und baut in Westafrika seine Macht weiter aus. Das beobachtet auch Ulf Laessing. Er leitet das "Regionalprogramm Sahel" in Mali für die CDU-nahestehende Konrad-Adenauer-Stiftung.
"Russland sieht die Chance, die derzeit aufgeheizte Stimmung in Burkina Faso auszunutzen, um ein weiteres Land mit traditionell guten Beziehungen zu Europa für sich zu gewinnen", sagt er auf watson-Anfrage. Moskau sehe bereits Erfolge, weil sich die Militärregierung offen für eine stärkere Kooperation zeigt.
Zum Hintergrund: Burkina Faso will 50.000 Freiwillige bewaffnen, um Dschihadisten zu bekämpfen. Solche Milizen werden laut Laessing auch immer wieder mit Tötungen von Zivilisten in Verbindung gebracht. Westliche Staaten wollen dem Land helfen, werden aber keine Waffen für Paramilitärs liefern – dies sei eine Chance für Moskau, meint der Experte.
Er sagt:
Allerdings ist die Sicherheitslage in Burkina Faso weitaus angespannter als im Nachbarland Mali.
"Ein Großteil des Landes ist außerhalb der Kontrolle der Zentralregierung", sagt Laessing. Es gebe tägliche Anschläge von Dschihadisten, die sich auf Burkina Faso fokussieren, weil sie von hier in Richtung der stabilen Küstenstaaten wie Togo und Cote D’Ivoire expandieren.
"Wenn Burkina Faso fällt, ist die Stabilität von ganz Westafrika in Gefahr", warnt der Experte. Das westafrikanische Land sei derzeit der größte Krisenherd im Sahel – und dem Westen seien mittlerweile die Hände gebunden.
Laessing sagt:
Die neuen Militärmachthaber um Ibrahim Traoré verbreiten bewusst anti-französische Stimmungen. Anfang des Jahres wurde etwa der französische Botschafter, Luc Hallade, ausgewiesen. Zudem schmeißt die Militärregierung die französischen Armee aus dem Land. Nach Mali muss Frankreich nun auch seine Anti-Terror-Mission aus Burkina Faso abziehen.
Neben Burkina Faso steht auch Mali auf der Liste der vergessenen Vertreibungskrisen 2021. Dort ist derzeit noch die deutsche Bundeswehr aktiv.
Deutsche Soldat:innen beteiligen sich an der Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen zur Sicherung des Friedens in Mali. Doch die Lage wird immer schwieriger – vor allem, seit sich die Franzosen aus dem Land zurückgezogen haben.
"Seit dem Abzug der Franzosen aus Mali nehmen pro-russische Trolle in den sozialen Medien immer mehr die Blauhelmtruppe der Vereinten Nationen und damit auch die Bundeswehr ins Visier", sagt Laessing. Er weist etwa auf ein Video hin, in dem wohl pro-russische Influencer die Bundeswehr sowie Frankreich als angeblich neue Kolonialmacht bezeichnen.
Wird der Druck zu groß?
Die Bundesregierung will die Bundeswehr jedenfalls bis Mai 2024 aus Mali abziehen. Dies solle koordiniert mit einem klaren Plan ab Sommer 2023 beginnen, verkündete die ehemalige Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) im November. "Wir wollen sehr geordnet Mali verlassen."
Das wird nicht ohne humanitäre Folgen bleiben.
Laessing sagt:
Nach dem Abzug der Bundeswehr werde dieser Schutz in der Hauptstadt Malis wegfallen und die Menschen müssen weiterziehen. Laut Laessing könnte die Bundeswehr sogar schon früher abziehen, sollten sich die Wahlen im Land verschieben. Ursprünglich sind diese für Februar 2024 angesetzt.
Offiziell steht der Wahltermin noch, aber ein für März geplantes Verfassungsreferendum – eine Voraussetzung für die Wahlen – wackele, meint der Experte. Sollten die Wahlen verzögert werden, könnte die Bundeswehr früher abziehen. Die ursprüngliche Idee, die Soldat:innen könnten die Wahlen absichern, hätte sich damit erledigt.
Laut Laessing spürt Malis Militärregierung, dass die Unzufriedenheit in der Bevölkerung wächst. "Die Sicherheitslage hat sich trotz des Einsatzes von russischen Militärs und Kämpfern verschlechtert", sagt er. Zudem leiden viele Menschen unter einer Wirtschaftskrise. Die Regierung versuche, mit populistischen Aktionen Stimmung gegen den Westen zu machen, aber dies wirke immer weniger.
Es ist unklar, ob die jetzige Regierung die Wahlen gewinnen wird – deshalb glaubt Laessing, eine Verschiebung des Wahltermins kann für die Machthaber Sinn ergeben. Klar ist: In Mali nimmt der russische Einfluss zu – sowie im Nachbarland Burkina Faso.
Vor allem in Burkina Faso herrscht eine aufgeheizte Stimmung, weil die Bevölkerung schockiert über die katastrophale Sicherheitslage ist. "Hätten die Franzosen mit ihren Spezialkräften freier agieren können, hätte dies vielleicht den Staatsverfall verlangsamen können", meint Laessing. Doch Burkina Faso und Mali setzen offenbar auf Russland.
Allerdings ist sich Bundestagsabgeordnete Katja Leikert (CDU) sicher: Russlands Interessen seien nicht im Sinne Afrikas. In einem früheren Gespräch mit watson erklärt sie: "Russland hat kein Interesse an Stabilität, Demokratisierung oder funktionierenden Institutionen in Afrika." Ihr zufolge geht es dem Kreml primär um kurzfristige Gewinne und geopolitischen Einfluss – und dafür werden Konflikte gern in Kauf genommen oder sogar befeuert.