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Die Stimme

Wie Taliban die Hazara-Minderheit in Afghanistan gnadenlos verfolgen

Die Minderheit der Hazara ist seit der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan in Todesgefahr. (Symbolbild)
Die Minderheit der Hazara ist seit der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan in Todesgefahr. (Symbolbild) Bild: Getty Images AsiaPac / Ed Wray
Die Stimme

"Jede Sekunde könnten die Taliban durch die Tür kommen": Politikerin der Hazara-Minderheit fürchtet in Afghanistan um ihr Leben

01.09.2021, 12:3801.09.2021, 16:39
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Die Situation in Afghanistan ist weiterhin angespannt. Denn obwohl Helfer des Westens gerettet wurden, bangen dort noch immer viele Menschen um ihr Leben. Die Taliban verfolgen ihre Gegner: Wegen ihrer Jobs für die alte Regierung, oder auch dann, wenn sie Journalisten oder Aktivisten waren. Oder einfach nur, weil sie einer ethnischen oder religiösen Minderheit angehören.

In Samira Ahamadis (Name v.d.Red. geändert) Fall treffen gleich drei Dinge zusammen. Die Lokalpolitikerin gehört zur ethnischen Minderheit der Hazara und der religiösen Gruppe der Schiiten. Sie musste mit ihrer Familie aus Kabul fliehen, denn die Taliban suchen nach ihr. Watson hat mit Samira Ahamadi gesprochen.

watson: Frau Ahamdi, wo sind Sie derzeit?

Wir sind jetzt an einem Ort, den wir nicht kennen. Die Situation ist immer noch nicht gut in Afghanistan und wir mussten unser Zuhause verlassen, da wir in Kabul nicht sicher sind. Ganz Kabul ist voller Taliban. Wir konnten nicht mehr aus Afghanistan fliehen und mussten deshalb untertauchen, damit die Taliban nicht wissen, wo wir sind.

Warum?

Wir sind in Gefahr wegen meiner politischen Arbeit. Ich habe als Politikerin gearbeitet und die Taliban suchen die Menschen, die für die Regierung tätig waren. Dann kamen die Taliban und nahmen Kabul ein, also flohen wir. Und jetzt sind wir an einem Ort in Afghanistan, wo wir niemanden kennen und uns auch nicht auskennen. Das Leben unserer ganzen Familie ist in Gefahr.

Ein lokaler Friedhof für die Hazara-Minderheit in Afghanistan.
Ein lokaler Friedhof für die Hazara-Minderheit in Afghanistan.Bild: Getty Images AsiaPac / Paula Bronstein

Wie sah Ihre politische Arbeit konkret aus?

Weil ich der Minderheit der Hazara angehöre, die einer ständigen Diskriminierung ausgesetzt ist, schaffte ich es nicht in das politische Amt, in das ich wollte. Daraufhin ging ich nach Kabul, um mehr Gerechtigkeit für Hazara zu erlangen und gab Interviews für lokale und internationale Medien wegen des Wahlkampfbetrugs der Wahlkommission.

War dies dann das Ende Ihrer politischen Karriere?

Nein. Im Jahr 2019 und 2020 war ich ebenfalls in der Politik tätig, doch weil ich Hazara und Schiitin bin, wurde ich erneut diskriminiert. Teilweise wurde sogar mein Gehalt nicht ausgezahlt. Auf diese Weise konnte ich nicht den Frauen und der Hazara-Minderheit helfen und auch meine eigene Karriere wurde oft blockiert. All diese Aktivitäten und Jobs haben den Taliban einen Grund gegeben, mich zu ihrer Zielscheibe zu machen. Menschen erzählten mir, dass die Taliban nach einer Pressekonferenz, auf der ich Menschenrechtsverletzungen der Taliban angeprangert hatte, anfingen mich zu suchen.

Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Amnesty International wurden bereits im Juli Männer der Hazara-Minderheit gefoltert und getötet, berichtet der amerikanische Nachrichtensender BBC.

Sie haben davon gesprochen, dass Ihre ganze Familie in Gefahr ist. Warum auch Ihr Sohn?

Mein Sohn hatte Unterricht an einer Musikschule. Die Taliban mögen keine Art von Musik, deshalb haben sie seine Schule zerstört. Die Taliban haben alle Dokumente von der Schule meines Sohnes genommen, weil sie wissen, dass wir geflohen sind. Sie wissen den Namen meines Sohnes und noch andere Dinge. Wir sind alle in Gefahr.

Eine Solidaritätsaktion für getötete Hazara.
Eine Solidaritätsaktion für getötete Hazara.Bild: www.imago-images.de / Afriadi Hikmal

Wie sieht Ihr Alltag aus?

Wir bleiben den ganzen Tag im Haus, außer wenn wir Lebensmittel einkaufen müssen. Meist macht das mein Sohn, er trägt beim Einkaufen sehr alte Kleidung, damit er nicht auffällt, denn sogar das Einkaufen ist gefährlich.

Wie ist die Stimmung der Menschen draußen?

Alle Leute wollen in Sicherheit sein, niemand spricht. Wenn man in den Lebensmittelladen geht, ist es ganz still. Jeder holt nur kurz seine Einkäufe und geht schnell wieder nach Hause. Es ist gefährlich, ein Wort zu viel zu sprechen.

Warum ist es so gefährlich? Würden die Leute hier Sie an die Taliban verraten?

Wir haben alle unsere Dokumente verbrannt, damit die Taliban nicht wissen, wer wir sind, wenn sie kommen. Ich habe Angst, dass die Leute hier uns verraten, um sich mit den Taliban gut zu stellen. Sie wollen ihnen zeigen: Wir sind für euch. Ich habe in der Öffentlichkeit gearbeitet, man kennt mein Gesicht aus dem Fernsehen, aus TV-Shows. Deshalb kann ich das Haus nicht verlassen. Als ich einmal raus ging, erkannten mich die Leute, aber ich leugnete meine Identität und ging schnell nach Hause. Seitdem gehe ich nicht mehr raus.

Hazara
Die Hazara sind eine Ethnie, deren Mitglieder traditionell um und in Afghanistan, aber auch in Pakistan leben. Ihr Hauptsiedlungsgebiet ist die zentralafghanischen Region Hazāradschāt oder Hazāristān im Bamiyan-Tal.

Hazara sind, nach den Paschtunen und Tadschiken, die drittgrößte offiziell anerkannte ethnische Gruppe Afghanistans und ihre Zahl beträgt je nach Schätzung fünf bis zehn Millionen. Sie sprechen Persisch und gehören, anders als die sunnitische Mehrheit des Landes, überwiegend der schiitischen Konfession an.

Die Hazara werden in Afghanistan, wo sie eine ethnische, aber auch konfessionelle Minderheit darstellen, immer wieder Opfer von Diskriminierung, besonders durch die paschtunische Elite und die Taliban.

Bereuen Sie es, für die Regierung gearbeitet zu haben?

Ich habe für die Regierung gearbeitet, weil ich die Hoffnung hatte, Afghanistan zu einem besseren Land zu machen. Ich habe mich für die Frauenrechte und die Demokratie eingesetzt. Wenn ich vor zwanzig Jahren gewusst hätte, was passieren würde, hätte ich nicht für die Regierung gearbeitet.

Haben Sie versucht, eine Regierung zu kontaktieren, um Hilfe zu bekommen?

Wir haben sehr viel versucht. Wir haben allen Regierungen E-Mails mit unseren Dokumenten geschickt, aber wir haben nie eine Antwort bekommen. Wir waren auch beim Flughafen, aber da wurden wir ausgegrenzt und konnten nicht ausreisen.

Die Taliban kündigen an, künftig moderater zu sein. Ist ein Leben als Hazara unter dem Taliban-Regime möglich?

Ein Leben unter dem Taliban-Regime ist als Hazara nicht möglich. Als die Taliban unsere Provinz eingenommen haben, kamen sie in unser Dorf. Sie töteten dort mehr als 37 Menschen. Sie haben die meisten unserer Leute, alle Hazaras, getötet.

Gibt es niemanden, der Ihnen helfen kann?

Wir haben nicht genügend Sicherheit und keine Waffen, um uns vor den Taliban zu schützen. Deshalb sind wir in Gefahr. Als ich für die Gemeinde in Herat gearbeitet habe, hatte ich einen Wachschutz aus zwei Männern mit Waffen. Ich denke die ganze Zeit: Jede Sekunde kommen die Taliban und töten uns.

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