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Russland: Frauen von Soldaten berichten über Propaganda

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Zum Abschied ein Kuss: Ein russischer Wehrpflichtiger verschiedet sich von seiner Freundin, bevor er an die Front geschickt wird.Bild: www.imago-images.de / Evgeny Yepanchintsev / Sputnik Chita Russia
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Russische Frauen berichten: "Fernsehsender sagen, dass alles perfekt ist"

Die Aussagen zweier Ehefrauen von russischen Soldaten in einem Interview mit der "Washington Post" zeigen, wie die Propaganda in Russland verfängt – und sie erneuern die Darstellung einer Armee, in der vieles nicht nach Plan läuft.
26.11.2022, 15:4926.11.2022, 16:34
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Ende Oktober ruft ihr Ehemann Irina Sokolowa aus einem Wald in der Ukraine an. "Sie lügen im Fernsehen", erzählt er ihr mit weinerlicher Stimme und meinte damit die Propagandisten des staatlichen russischen Fernsehens. Dort werden russische Rückschläge in der Ukraine heruntergespielt, der Krieg mit kruden Narrativen einer großen westlichen Bedrohung Russlands durch die Vereinigten Staaten und Europa legitimiert.

Irina Sokolowa lebt mit ihrem einjährigen Sohn in Woronesch, einer Großstadt im Südwesten Russlands, knapp 300 Kilometer von der ukrainischen Grenze entfernt. Ihr Mann wurde eingezogen und in den Krieg geschickt.

"Wir sehen unsere staatlichen Fernsehsender und sie sagen, dass alles perfekt ist."

Die 37-jährige Sokolowa gab der US-amerikanischen Zeitung "Washington Post" kürzlich ein Telefoninterview. Ihre Aussagen offenbaren die alternative Realität, die der russischen Bevölkerung durch staatliche Berichterstattung vorgegaukelt wird. "Natürlich hatte er keine Ahnung, wie schrecklich es dort sein würde", sagt Sokolowa über ihren Mann. "Wir sehen unsere staatlichen Fernsehsender und sie sagen, dass alles perfekt ist."

Doch perfekt ist wenig bis gar nichts. Das zeigen die mittlerweile zahlreich durchgedrungenen Berichte russischer Soldaten über die Zustände in gewissen Teilen der Armee. Die Rede ist immer wieder von fehlender Ausrüstung, Kampfausbildung, teilweise sogar von Nahrung und Wasser.

Sokolowas Mann wurde am 22. September im Rahmen von Wladimir Putins Teilmobilmachung in die Armee berufen, wie sie der "Washington Post" sagt. Er habe ihr gesagt, dass er keine militärische Ausbildung erhalten habe – doch bereits am 26. September sei er in der Ukraine gewesen.

Ende Oktober dann der eingangs beschriebene Telefonanruf. Kürzlich habe er eine Schlacht nur mit großem Glück überlebt, viele seiner Kameraden seien getötet wurden, sagte Sokolowas Ehemann seiner Frau. Mit zweien habe er es in einen Wald in Sicherheit geschafft, allerdings ohne Rucksäcke und Ausrüstung.

"Sie wurden einfach im Stich gelassen und haben jegliches Vertrauen, jeglichen Glauben an die Behörden verloren."

"Sie wurden sozusagen an der allerersten Frontlinie ins Feuer geworfen, aber sie sind keine Soldaten. Sie wissen nicht, wie man kämpft. Sie können das nicht", sagt Sokolowa. Und sie fügt hinzu, dass ihr Mann unter starken Schmerzen leide und einer Bauchspeicheldrüsenentzündung habe. "Ich fühle, wie schrecklich es dort für ihn ist", sagt sie. "Mein Herz wird zerrissen."

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Ein russischer Soldat im Gebiet Saporischschja.Bild: www.imago-images.de / Konstantin Mihalchevskiy / Sputnik

Auch der Partner von Yana, einer Arbeiterin aus St. Petersburg, erhielt einen Marschbefehl, wie sie in einem weiteren Telefoninterview der "Washington Post" sagt. Sie sei bis zu diesem Zeitpunkt klare Befürworterin des Kriegs in der Ukraine gewesen. Ihr voller Name wird laut der Zeitung absichtlich nicht genannt.

"Wir sind so daran gewöhnt, zu glauben, was man uns sagt."

Die Realität scheint die Ansicht der Moskauerin geändert zu haben. Sie berichtet der US-Zeitung ebenfalls von mangelnder Ausrüstung und Ausbildung ihres Mannes. Weil die Vorräte knapp seien, erhalte er sogar zu wenig Nahrung und Wasser. "Sie haben keine Befehle und keine Aufgaben", so die Russin. "Ich habe gestern mit meinem Mann gesprochen, und er sagte, sie wüssten nicht, was sie tun sollten. Sie wurden einfach im Stich gelassen und haben jegliches Vertrauen, jeglichen Glauben an die Behörden verloren."

Die Russin erzählt im Gespräch, dass in der Wohnung, in der sie für gewöhnlich mit ihrem Mann und dem gemeinsamen vierjährigen Sohn lebt, ständig der Fernseher lief und die Botschaften des Kremls verkündet wurden. Insbesondere, dass Russland gegen die Vereinigten Staaten und nicht gegen die Ukraine kämpfe. "Wir kennen nichts anderes", so Yana. Und: "Wir sind so daran gewöhnt, zu glauben, was man uns sagt."

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Putins Chef-Propagandist: der TV-Moderator Wladimir Solowjow.Bild: www.imago-images.de / Pavel Bednyakov / Sputnik

Eine von Solowjows jüngsten Botschaften: Er droht Europa mit militärischen Attacken.

Nachdem ihr Mann eingezogen wurde, gab sie den Fernseher weg, er habe sie "aggressiv" gemacht, sagt Yana. Die Russin erklärt, dass sie um das Leben ihres Mannes fürchte. Aber: Sie gebe Wladimir Putin keine Schuld dafür, weil er "ein kluger Mensch" sei.

Ob dies ihrer tatsächlichen Meinung entspricht oder ob es sich um eine Aussage, um nicht in Schwierigkeiten zu geraten, handelt, bleibt offen. Klar ist aber, dass auch Yana leidet: "Wir sind völlig verwirrt, ratlos und fühlen uns im Stich gelassen. Wir weinen von morgens bis abends."

Ihre Leidensgenossin Irina Sokolowa sagt abschließend, dass nur die Angehörigen von im Krieg kämpfenden Soldaten genau wissen, was in der Ukraine wirklich passiert:

"Die Angehörigen der Soldaten wissen, was vor sich geht, aber die Menschen, deren Angehörige nicht mobilisiert wurden, sehen die Welt durch eine rosarote Brille. Sie haben keine Ahnung, was vor sich geht, und es interessiert sie nicht."

(con / watson.ch)

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