Nach Raketenangriffen der iranischen Revolutionswächter auf Ziele im Irak und in Syrien wächst international die Sorge über eine Ausweitung des Gaza-Kriegs auf die gesamte Region. Angesichts wiederholter Konfrontationen zwischen der israelischen Armee und der vom Iran unterstützten Hisbollah an der Grenze zwischen dem Libanon und Israel hatte zuvor bereits am Montag UN-Generalsekretär António Guterres vor einem Flächenbrand gewarnt.
Auch die Angriffe der Huthi-Rebellen aus dem Jemen auf die Schifffahrt im Roten Meer haben das Potenzial, immer weitere Parteien in den Konflikt hineinzuziehen. Die Huthi zählen wie die islamistische Hamas im Gazastreifen und die libanesische Schiitenorganisation Hisbollah zur sogenannten "Achse des Widerstands", einem Netzwerk im Kampf gegen Israel.
Nun feuerten die iranischen Revolutionswächter (IRGC) in der Nacht zu Dienstag mehrere ballistische Raketen auf Ziele im Irak und in Syrien ab – und verschärften damit die angespannte Lage in der Region weiter.
Ziel der Attacke in der nordirakischen Stadt Erbil sei eine Spionagezentrale des israelischen Geheimdienstes Mossad gewesen. In der Nähe eines neuen, im Bau befindlichen US-Konsulats schlugen Augenzeugen zufolge mehrere Raketen ein. Sicherheitskreisen zufolge kamen dabei mindestens vier Zivilist:innen ums Leben. Die US-Regierung verurteilte den iranischen Raketenangriff auf Erbil. "Wir lehnen Irans rücksichtslose Raketenangriffe ab, die die Stabilität des Irak untergraben", erklärte Matthew Miller, Sprecher des US-Außenministeriums.
Ende Dezember war bei einem mutmaßlich israelischen Luftangriff in Syrien der iranische Brigadegeneral Sejed-Rasi Mussawi getötet worden. Er war ranghohes Mitglied der IRGC. Die militärische Führung Irans schwor Israel daraufhin Rache. Die Revolutionsgarde ist Irans Eliteeinheit und gilt als weitaus mächtiger als die regulären Truppen. Oberbefehlshaber ist Staatsoberhaupt Ali Chamenei.
Die Angriffe in Syrien wiederum galten nach iranischen Angaben unter anderem der Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Nach Darstellung der Revolutionswächter seien IS-Stellungen "in den besetzten Gebieten Syriens ausfindig gemacht und durch den Abschuss einer Reihe von ballistischen Raketen zerstört" worden. Laut der staatlichen Nachrichtenagentur Irna wurden extremistische Gruppen in der Provinz Idlib attackiert.
Sie seien eine "Antwort" auf die Anschläge auf die Trauerfeier in Kerman sowie auf das Polizeipräsidium in der Stadt Rask Mitte Dezember, erklärten die Revolutionswächter.
Bei einer Gedenkveranstaltung für den vor vier Jahren vom US-Militär getöteten General Kassem Soleimani waren Anfang Januar zwei Bomben in der Stadt Kerman explodiert. 89 Menschen wurden getötet, der IS reklamierte den Anschlag für sich. In Rask, im Südosten des Iran, waren bei einer Attacke auf ein Polizeipräsidium Mitte Dezember elf Polizisten getötet worden. Die vom Iran als Terrororganisation eingestufte Aufstandsbewegung Jaisch al-Adl (Armee der Gerechtigkeit) bekannte sich zu dem Angriff.
Bei dem Beschuss der Revolutionswächter in Syrien handelte es sich laut der staatlichen Nachrichtenagentur Irna mit einer Strecke von mehr als 1200 Kilometern um die bisher weitreichendste Raketenoperation des Landes. Dies dürfte auch ein klares Signal an den Erzfeind Israel sein. Es wäre in etwa die gleiche Entfernung, die Raketen vom Westen des Landes aus benötigen, um Tel Aviv oder Jerusalem zu erreichen.
UN-Generalsekretär António Guterres zeigte sich mit Blick auf die Lage an der Grenze zwischen Israel und dem Libanon bereits zuvor in großer Sorge vor einer Ausweitung des Gaza-Kriegs auf die weitere Region. "Ich bin zutiefst besorgt von dem, was sich da entfaltet", sagte Guterres. "Es ist meine Pflicht, allen Seiten diese einfache und direkte Botschaft zu überbringen: Hört auf, an der blauen Linie mit dem Feuer zu spielen, deeskaliert und bringt die Gewalt zu einem Ende."
Die blaue Linie markiert die Grenze zwischen Israel und dem Libanon. Seit Beginn des Gaza-Kriegs kommt es dort immer wieder zu Konfrontationen zwischen der israelischen Armee und der vom Iran unterstützten Hisbollah. Sie ist mit der Hamas verbündet, gilt aber als deutlich schlagkräftiger.
Neben einem sofortigen Waffenstillstand forderte Guterres zudem erneut die Freilassung aller Geiseln und eine Untersuchung der von der Hamas und anderen bei dem Massaker am 7. Oktober verübten sexuellen Gewalt.
Der Sicherheitsrat der kurdischen Autonomiegebiete bezeichnete die Rechtfertigungen der iranischen Revolutionsgarde für den Angriff in Erbil unterdessen als bloße Vorwände. Der Angriff sei eine Verletzung der Souveränität der Region und des Irak, hieß es in einer ersten Stellungnahme in der Nacht zum Dienstag. Erbil sei "keine Quelle der Bedrohung" und werde dies auch in Zukunft nicht sein, "aber die Streitkräfte der Garde benutzen falsche Vorwände, um die Stabilität des Landes zu untergraben."
Der irakische Kurdenführer Massud Barzani verurteilte auf der Plattform X, ehemals Twitter, den "feigen Angriff auf die Menschen in der Region Kurdistan aufs Schärfste" und forderte die Regierung in Bagdad auf, sich klar gegen die Souveränitätsverletzung zu positionieren.
Die Lage in der Region ist seit Ausbruch des Gaza-Kriegs vor mehr als drei Monaten äußerst angespannt. Raketenangriffe durch die IRGC hat es seitdem nicht gegeben. Mit dem Iran verbündete militante Gruppen haben in den vergangenen Monaten jedoch oft Ziele in Syrien und im Irak angegriffen. Israel und die USA gelten seit der Islamischen Revolution von 1979 als Irans Erzfeinde.
Die jemenitischen Huthi griffen am Montag nach US-Angaben zudem erneut ein Containerschiff im Roten Meer an. Das zuständige Regionalkommando des US-Militärs teilte mit, die Rebellen hätten eine ballistische Antischiffrakete auf die "M/V Gibraltar Eagle" abgefeuert. Sie wurde demnach aus von Huthi kontrollierten Gebieten im Jemen abgeschossen. Bei dem Schiff handelte es sich den Angaben zufolge um einen unter der Flagge der Marshallinseln fahrenden US-Frachter. Es habe weder Verletzte noch Schäden gegeben.
Der britische Premierminister Rishi Sunak rechtfertigte die Luftschläge, die sein Land gemeinsam mit den USA gegen die Huthi-Rebellen ausführen und drohte mit neuen Aktionen, sollten weiterhin Schiffe im Roten Meer angegriffen werden. "Die Bedrohung der Schifffahrt muss aufhören", sagte Sunak im Parlament in London. "Illegal festgehaltene Schiffe und Crews müssen freigelassen werden. Und wir bleiben vorbereitet, um unseren Worten Taten folgen zu lassen."
(mit Material von dpa und afp)