Ein breites Lächeln huscht über Micha Fritz' Gesicht und erreicht seine dunkelbraunen Augen. Er sieht tiefenentspannt aus. Obwohl er gerade im wohl stressigsten Moment der vergangenen Tage mit einem knallpinken Kreuz quer über seinem Gesicht durch das Hamburger Millerntor-Stadion hastet.
Micha Fritz ist einer der Gründer der Nichtregierungsorganisation Viva con Agua. Die NGO setzt sich für den Zugang zu sauberem Trinkwasser, Sanitärversorgung und Hygiene weltweit ein.
Rund zwei Milliarden Menschen weltweit haben laut Unicef keinen regelmäßigen Zugang zu sauberem Wasser. Davon leben etwa 771 Millionen Menschen sogar ohne Grundversorgung mit Trinkwasser. Viva con Agua will das ändern.
Unter anderem mit Veranstaltungen wie der Millerntor Gallery – einem internationalen Kunst-, Musik- und Kulturfestival. Ihr Schauplatz seit elf Jahren, für vier Tage im Jahr: das Millerntor-Stadion, die Heimat des Hamburger Zweitligisten FC St. Pauli. Der Erlös der ausgestellten Kunst fließt abgesehen von der Künstler:innen-Gage gänzlich in soziale Wasserprojekte.
Fast ein Jahr Vorbereitung, mehrere Hundert Freiwillige und 171 internationale Künstler:innen stecken in diesem Jahr hinter der Millerntor Gallery. Verständlich also, dass Micha Fritz kurz vor der offiziellen Eröffnung am Donnerstag gestresst ist.
Doch Projekte wie dieses stemmt er nicht allein. Wer steckt hinter Viva con Agua und wie arbeitet eine Organisation, die ein solches weltweit einzigartiges Projekt wie die Millerntor Gallery realisiert? Ein Blick hinter die Kulissen.
Einer der Mitbegründer von Viva con Agua ist Tobias Rau. "Viva con Agua war von Anfang an als Plattform gedacht, bei der verschiedene Leute mit ihren Talenten zusammenkommen, um gemeinsam das Ziel zu verwirklichen, allen Menschen den Zugang zu sauberem Trinkwasser zu ermöglichen", erklärt er im Gespräch mit watson.
Musik, Sport und Kunst versteht Viva con Agua dabei als universelle Sprache. Und das spiegelt sich auch in ihren Projekten wider. Bei der Millerntor Gallery laufen all diese Stränge zusammen. Das Festival hat den Klub FC St. Pauli hinter sich und zahlreiche Fußballer unterstützen zudem das Team um Viva con Agua. Internationale Künster:innen spielen ihre Musik auf mehreren Bühnen und stellen zudem ihre Kunst aus.
Aber auch darüber hinaus hat die NGO unzählige Unterstützer:innen, wie Sänger Udo Lindenberg, Model Caro Daur, Moderator Kai Pflaume oder Fußballer Mats Hummels.
Das Ziel "Alles für Wasser, Wasser für alle" ist bei der Millerntor Gallery definitiv spürbar. Das Viva con Agua-Team gibt alles, Micha Fritz und seine Frau und Festivaldirektorin Agnes Fritz kommen gar nicht umhin, ständig und überall Hände zu schütteln. Mittendrin wuseln ihre zwei Kinder.
"Das mit der Kinderbetreuung hat nicht geklappt", sagt Agnes Fritz entschuldigend im Gespräch mit watson. "Eigentlich sollten die beiden nur am Wochenende dabei sein, aber so ist das nun mal", erklärt sie etwas müde und lächelt. Wie so viele Eltern, versucht auch das Paar den Spagat zwischen stressigem Beruf und Kindern zu schaffen. Denn ausreichend Ideen, die sie umsetzen wollen, haben sie allemal.
Oft entstünden die erstmal als "Schnapsidee", wie Agnes Fritz erklärt. "Irgendjemand hat irgendwo eine Idee und die wird dann irgendwie umgesetzt." Eine dieser Schnapsideen sei beispielsweise ein "Lass' mal von Ruanda nach Uganda laufen" gewesen. Die größte Schnapsidee sei ihrer Meinung nach jedoch die Villa Viva gewesen. Auf 12,5 Stockwerken entsteht derzeit in Hamburg ein neues soziales Gasthaus. Mit der Übernachtung kann man Gutes tun: Denn der Erlös fließt ebenfalls in Wasserprojekte von Viva con Agua. Die Villa Viva soll noch dieses Jahr eröffnen.
Oft genug klappt eine solche Idee aber auch nicht. Die Millerntor Gallery sei eher "organisch gewachsen", meint die Chefin von Viva con Agua Arts, einer Tochterfirma von Viva con Agua. Aus Projektreisen wie etwa nach Uganda seien gemeinsame Reisen mit Künstler:innen oder Sportler:innen entstanden und daraus ist die Millerntor Gallery geboren worden. Sie ist das größte Projekt der NGO.
Zwei Jahre konnte die Gallery wegen der Corona-Pandemie nicht stattfinden, im vergangenen Jahr feierte sie ihr 10-jähriges Bestehen. Doch nach Corona kam für viele Menschen in Deutschland eine finanzielle Krise, dazu die Klimakatastrophe und der völkerrechtswidrige russische Angriffskrieg auf die Ukraine. Die Spendenbereitschaft ging seitdem zurück, erzählt Agnes Fritz.
Nicht aber die Kaufkraft. Besucher:innen können in den Gängen der Heimstätte des FC St. Pauli in diesem Jahr Kunstwerke im Zeichen von "Making waves – the power of water" bewundern. Hände, durch die Wasser läuft, ganze Szenerien auf dem Meeresgrund, aber auch abseits dessen etwa politische Botschaften. Die traditionelle Auktion im Vorfeld der Gallery brachte im vergangenen Jahr über 200.000 Euro Spenden ein.
Für die Zukunft hat Agnes Fritz noch unendlich viele weitere Ideen: "Ich würde gern die soziale Gerechtigkeit und den Austausch mehr in den Vordergrund stellen", erzählt sie. Das fände aktuell im globalen Norden nicht ausreichend statt. "Wir sind uns gar nicht bewusst, welche Macht wir im Gefälle zwischen dem globalen Norden und dem globalen Süden haben." Aber auch ein sozialer Film oder mehr Musik-Projekte liegen ihr am Herzen, betont die Festivaldirektorin.
Die Ideen sind da – und mehrere Tausend Engagierte auch. Ihr gemeinsames Ziel: "Im besten Fall haben irgendwann alle Menschen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Dann ist unsere Mission erfüllt", sagt Tobias Rau. Dass sich die Organisation damit selbst abschafft, glaubt der CEO aber nicht. "Wir würden uns dann eben für ein anderes gesellschaftliches Thema einsetzen. Es gibt noch genug zu tun, um die Welt fairer zu gestalten."