Immer noch haben 771 Millionen Menschen keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Das entspricht mehr als neun Mal der Anzahl der Einwohner:innen von Deutschland.
Das will Micha Fritz ändern. Er setzt sich unter anderem zusammen mit Benjamin Adrion für sauberes Trinkwasser weltweit ein. Das Duo hat 2006 in Hamburg die international agierende Non-Profit-Organisation Viva con Agua gegründet.
Adrion ist auch als ehemaliger Fußballspieler des Hamburger Klubs St. Pauli bekannt. Ihm wurde für seine Arbeit sogar das Bundesverdienstkreuz verliehen. Er hatte auch die Idee für Viva con Agua und hat sich dafür Micha Fritz ins Boot geholt.
Die NGO unterstützt mit zahlreichen Projekten, wie der Millerntor Gallery, dem Social-Media-Projekt "Water is a human right" und den Erlösen aus ihren Wasserflaschen, Wasserprojekte weltweit.
Trotzdem fordert Micha Fritz: "Wasser ist ein Menschenrecht und sollte keinen Preis haben". Ein Widerspruch?
Im Interview mit watson spricht er über die prekäre Trinkwasserlage auf der Welt, warum Christian Lindner von seinem Amt zurücktreten sollte und weshalb Viva con Agua alles andere als nachhaltig ist.
Watson: Micha, wie kam es, dass du dich für sauberes Trinkwasser engagieren wolltest?
Micha Fritz: Ehrlich gesagt, war das gar keine bewusste Entscheidung. Benjamin und ich hatten nie die Absicht, eine NGO zu gründen, nur um eine NGO gegründet zu haben. Sondern wir wollten uns ganz einfach für andere Menschen engagieren.
Und wie seid ihr dann auf das Thema Trinkwasser gekommen?
Benni war damals in einem Trainingslager auf Kuba und hat dort die prekäre Trinkwasserversorgung miterlebt. Es hätte aber auch jedes andere Thema sein können. Wir haben dann allerdings schnell gemerkt, dass Menschen lieber über Trinkwasserknappheit sprechen, als beispielsweise über Genitalverstümmelung. Es ist ein leichtfüßiges Thema, womit sich jeder identifizieren kann.
Wenn wir auf die fortschreitende Klimakrise blicken: Nimmst du deine Arbeit heute als wichtiger wahr, als damals?
Das ist eine gute Frage. Auf der sachlichen Ebene: Klima und Wasser kann man nicht voneinander trennen. Die Auswirkungen der Klimakrise sind Dürre, Überflutungen, Austrocknen von Flüssen. Dadurch wird unsere Arbeit immer wichtiger, auch in Deutschland.
Und auf der persönlichen? …
… Finde ich es wichtiger denn je, mich zu engagieren. Ich bin mir meinen Privilegien heute deutlich bewusster als früher.
Welche zum Beispiel?
Ich bin ein Mann. Es ist ein Privileg, weiß, männlich und alt zu sein. Ich bin auf dem besten Weg, genau so einer zu werden. Eine Louisa Dellert oder Luisa Neubauer, aber auch viele andere Kolleginnen bekommen so viel Gegenwind. Nur aufgrund ihres Geschlechts. Das muss sich ändern.
Wo siehst du das größte Problem in Sachen sauberes Trinkwasser?
Im fehlenden Zugang zu sauberem Trinkwasser in vielen Teilen der Welt. Wir sprechen hier von 771 Millionen Menschen. Die Zahl ist immer noch viel zu hoch.
Wenn man an Trinkwasserknappheit denkt, denkt man in Deutschland häufig an afrikanische Länder, an Dürre, Wüste, schlechte Infrastruktur. Siehst du Chancen der Besserung angesichts der fortschreitenden Klimakrise?
Es braucht ein radikales Umdenken auf allen Ebenen. An Geld mangelt es uns weltweit nicht. Es ist nur schlicht falsch verteilt. Ein einzelner reicher Mensch könnte die Trinkwasserversorgung für sehr viele Menschen auf der Welt sicherstellen.
Wo muss konkret umgedacht werden?
Wir brauchen keine Millionen Autos in Deutschland. Wir brauchen auch kein Physik oder Chemie als Unterrichtsfach, sondern Empathie. Wir brauchen ein Grundeinkommen, damit die Schere zwischen Arm und Reich nicht noch weiter auseinander geht. Auch deshalb ist es heute viel wichtiger als je zuvor, sich sozial zu engagieren.
Wie kann die Bundesregierung dabei helfen?
Nachdem ich neulich gelesen habe, dass genauso viele Christians wie Frauen in den Führungsetagen in Deutschland vertreten sind, ein Appell an alle Christians und stellvertretend auch an Christian Lindner: einfach mal abtreten.
Zurück zum Wasser. Wasser ist endlich. Auch in Deutschland. Das bedenken viele nicht. Du hast mal beim SWR gesagt, wir bräuchten eine H2O-Bilanz. Was meintest du damit?
Vor allem bräuchten wir eine Ökobilanz. Eine zusätzliche H2O-Bilanz wäre optimal. Was aktuell nicht passiert ist, dass die Ökobilanz zu Beginn eines Projekts im Unternehmen mit einberechnet wird. Denn Nachhaltigkeit kostet. Viele Unternehmen machen nur so viel Gewinn, weil nicht einberechnet wird, was das den Planeten kostet.
Wie sieht das bei Viva con Agua aus?
Viva con Agua ist nicht nachhaltig. Klar, soziale Nachhaltigkeit ist uns wichtig. Und ökologische auch. Deshalb bemühen wir uns, im Rahmen unserer Möglichkeiten, nachhaltig zu sein. Und trotzdem sind wir natürlich nicht perfekt.
Warum ist Viva con Agua nicht nachhaltig?
Wir produzieren in Flaschen abgefülltes Wasser. Das ist nicht nachhaltig. Das ist ein Menschenrecht und sollte keinen Preis haben. Ökonomisch betrachtet kostet es das Tausendfache von Leitungswasser. Ökologisch betrachtet muss ein Etikett produziert werden, die Flasche muss transportiert werden und hat als Glasflasche einen schlechteren CO2-Abdruck als Plastikflaschen. Nachhaltigkeit bedeutet auch: ehrlich zu sich selbst zu sein. Deshalb sollten wir das so auch ganz klar benennen.
Einen großen Anteil an fehlendem Trinkwasser haben Konzerne, die rund um ihre Fabriken das Wasser aus den Dörfern beziehen. Aber auch einige Städte verfahren so. Wie kann dieses Verteilungsproblem gelöst werden?
Durch Regularien auf politischer Ebene. Und durch Aufmerksamkeit und Boykott der Produkte im privaten Bereich. Es fängt schon mit der Frage an: Wem gehört das Wasser? Man zahlt nicht für das Produkt an sich, sondern dafür, dass es abgepumpt wird. Sobald Firmen Land besitzen, können sie dort das Wasser abpumpen und zum tausendfachen Preis von Leitungswasser verkaufen.
Im März hat die UN-Konferenz nur zum Thema Wasser stattgefunden. Zum ersten Mal seit fast 50 Jahren. Herausgekommen ist ein freiwilliger Aktionsplan. Auch Umweltministerin Steffi Lemke will das Thema stärker angehen. Was versprichst du dir davon?
Ich hätte mir mehr erwartet von der Konferenz. Dort waren so viele wichtige Leute aus allen Ländern, da lag so viel Geld. Ich fühle so viel Unverständnis, wenn es gleichzeitig so viele Menschen gibt, die keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser haben. Die UN hat viel größere Hebel und könnte noch mehr machen, als nach 47 Jahren wieder eine Konferenz zum Thema Wasser zu veranstalten.