"Russland hat den Krieg verloren", sagt nicht irgendwer, sondern der Vorsitzende des Vereinigten Generalstabs der US-Streitkräfte, Mark A. Milley, in Brüssel: "Russland hat verloren, strategisch, operativ und taktisch. Die Ukraine bleibt frei und unabhängig. Die NATO und ihre Koalition waren nie stärker."
Die frühe Ansage mag angesichts der aktuellen russischen Angriffsbemühungen überraschen. Moskau vermeldete einen "Durchbruch an der Ostfront von mehreren Kilometern". Trotz enormer Verluste schickt Russland Angriffswelle um Angriffswelle gegen die ukrainischen Stellungen. Kiew dementierte den vermeintlichen Rückschlag umgehend.
Panzerfahrzeuge sollen bei den Angriffen eine immer kleinere Rolle spielen. Die Rede ist von sogenannten "Fleischwellen": russische Infanteristen, die ohne Schutz und ohne Rücksicht auf Verluste vorwärts preschen müssen.
Dass diese Frontberichte korrekt sein dürften, zeigen auch die offiziellen Verlustzahlen. Obwohl sie mit großer Skepsis betrachtet werden sollten, zeichnen sie im Minimum einen einigermaßen realistischen Verlauf der Kriegsentwicklung.
Seit Mitte März werden die Daten für russische Verluste von der ukrainischen Armee erfasst und kommuniziert. Gesammelt werden sie von einem Freiwilligenkollektiv aus Journalisten und Statistikern. Sie sind öffentlich einsehbar.
Das Bild vom 12. Februar ist eindeutig. Je länger der Krieg dauert, desto mehr russische Soldaten fallen täglich. Aktuell verlieren die Invasoren zwischen 800 und 1000 Soldaten und Söldner pro Tag.
Bei Bachmut allein sollen es in den letzten drei Monaten bis zu 40.000 Mann gewesen sein – eine Mehrheit davon Sträflinge. Im Krematorium von Krasna Hora nördlich der komplett zerstörten Stadt sollen die Öfen Tag und Nacht brennen. Der Kreml hat der Privatarmee mittlerweile verboten, weiter in den Gefängnissen zu rekrutieren.
Anders sieht die Situation bei den gepanzerten Fahrzeugen (Kampfpanzer und Schützenpanzer) aus. Russland hat laut amerikanischen Angaben in diesem Krieg möglicherweise bereits die Hälfte seines Arsenals verloren. Kein Wunder, nehmen diese Zahlen in der Tendenz ab.
Der steile Anstieg im September kann als Folge der westlichen HIMARS-Lieferungen interpretiert werden. Außerdem starteten Ende August und Mitte September die ukrainischen Gegenoffensiven in Cherson und in Luhansk.
Wenn die Anzahl der Todesopfer steigt, die Zahl der zerstörten gepanzerten Fahrzeuge aber nicht, dann ist das ein Indiz dafür, dass Russland tatsächlich auf "Fleischwellen" setzt. Panzer können weniger schnell ersetzt werden als Soldaten und Söldner.
In den vergangenen Monaten gelang es der Ukraine vermehrt, wieder Artillerie und Mehrfachraketenwerfer zu zerstören. Auch hier machen sich die Offensiven und der Einsatz der HIMARS in der Statistik bemerkbar. Die absoluten Zahlen sind vernichtend.
Russland wollte die Ukraine ursprünglich mit 1600 Artilleriekanonen einnehmen. Davon ist nichts mehr übrig – wie auch von einem Großteil des Nachschubs. Russland verlor bisher über 2300 dieser Einheiten. Das entspricht über 40 Prozent des gesamten Arsenals.