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Die neuen Rechten: Neue Konservative – oder gefährlich wie noch nie?

ARCHIV - 26.09.2022, Italien, Rom: Giorgia Meloni, Vorsitzende der rechtsradikalen Partei Fratelli d'Italia (Br
Ikone der neuen Rechten: Giorgia Meloni, Regierungschefin von Italien.Bild: dpa / Oliver Weiken
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Die neuen Rechten: Neue Konservative – oder gefährlich wie noch nie?

Reichsbürger in Deutschland. Neo-Faschisten an der Macht in Italien. Was braut sich da zusammen? Zur Gefahr der Rechtsextremen gibt es zwei komplett gegensätzliche Einschätzungen.
18.12.2022, 13:5218.12.2022, 13:54
Philipp Löpfe / watson.ch
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Ist Giorgia Meloni ein "Wolf im Schafspelz"? Ist der Aufstieg von Marine Le Pen das Resultat ihrer Mäßigung? Haben die Schwedendemokraten ihre faschistische Vergangenheit überwunden? Und werden die amerikanischen Republikaner zur wahren Gefahr für die Demokratie? Das Phänomen der Rechtspopulisten wird sehr unterschiedlich beurteilt. Hier die beiden gegensätzlichen Thesen:

Die Moderne-Konservative-These

Die Verkörperung dieser These ist derzeit Giorgia Meloni, die neue Regierungschefin von Italien. Sie hat einen klaren Wahlsieg eingefahren und ist neu die starke Frau in Rom. Ihre Partei, die Fratelli d’Italia, hat ihre Wurzeln im Faschismus und sie selbst hatte einst Benito Mussolini als wahren Patrioten gepriesen. Die Angst, dass Italien gemäß dem Vorbild von Ungarn zunächst in einen autoritären Staat und danach gar wieder in den Faschismus abgleitet, scheint daher mehr als berechtigt.

Bisher ist jedoch davon nichts zu spüren. Meloni verurteilt heute den Faschismus und bezeichnet sich als "moderne Konservative". Sie gibt sich gemäßigt und hält die beiden Super-Machos Silvio Berlusconi und Matteo Salvini auf Distanz. Sie verurteilt Putins Überfall auf die Ukraine, macht bei den Sanktionen mit und bekennt sich zur EU und zum Euro.

13.12.2022, Italien, Rom: Ministerpräsidentin Giorgia Meloni sitzt in der Abgeordnetenkammer. Foto: Lapresse / Roberto Monaldo/LaPresse via ZUMA Press/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Premierministerin Giorgia Meloni im Parlament.Bild: LaPresse via ZUMA Press / Lapresse / Roberto Monaldo

Dazu hat sie gute Gründe. Meloni weiß nur zu gut, wie sehr Italien auf die mehr als 200 Milliarden Euro angewiesen ist, welche dem Land aus dem europäischen Aufbauplan zustehen. Und sie konnte soeben in Echtzeit zuschauen, wie Ungarn dieses Geld verweigert wird, weil der Autokrat Viktor Orban die von der EU verlangten Reformen nicht durchführen will. Zudem dürfte sie sich noch daran erinnern, dass Berlusconi seinerzeit zurücktreten musste, weil die Europäische Zentralbank keine italienischen Staatsanleihen mehr aufkaufte und deshalb der Zins für diese Papiere explodierte.

Trotzdem gibt es berechtigte Zweifel daran, dass Meloni ihre Nummer mit der "modernen Konservativen" auch ernst meint. "Ist die Krise einmal vorüber, kann man dann zum gröberen Geschütz greifen: forscheres Auftreten auf der europäischen Bühne, Priorisierung der vermeintlich nationalen Interessen, Anziehen der Schrauben in der Innenpolitik, Übergang zu Law and Order und gesellschaftliche Härte, staatlicher Interventionismus in der Wirtschaft", befürchtet Luzi Bernet in der NZZ.

Als moderne Konservative sieht sich auch Marine Le Pen in Frankreich. Sie hat nicht nur ihren faschistischen Vater aus der Partei gemobbt, sie hat auch den ehemaligen Front National in Rassemblement National umgetauft und verzichtet nun ebenfalls darauf, die EU infrage zu stellen. Ihre Partei wird nicht mehr von alten Faschisten und Holocaustleugnern dominiert, sondern von smarten jungen Technokraten. Sie selbst gibt sich als fürsorgliche Katzenmutter. Das hat sich ausgezahlt. Le Pen hat bei den Wahlen im vergangenen Frühling 41 Prozent der Stimmen erhalten.

ARCHIV - 24.04.2022, Frankreich, Paris: Marine Le Pen, damalige Präsidentschaftskandidatin der rechtsnationale Partei Rassemblement National, gestikuliert nach Bekanntgabe der ersten Ergebnisse der St ...
Marine Le Pen ist die Chefin der rechten Ressemblement National in Frankreich.Bild: AP / Francois Mori

Die Schwedendemokraten verdanken ihren jüngsten Wahlerfolg ebenfalls dem Umstand, dass sie ihre faschistischen Wurzeln nun möglichst nicht mehr erwähnen. Die Politologin Sheri Berman stellt deshalb im Magazin "Foreign Affairs" fest: "Die Entwicklung der Fratelli d’Italia und der Schwedendemokraten ist Anlass zu vorsichtigem Optimismus. Wie viele andere rechts gerichtete Parteien in Westeuropa haben sie zwar ihre Wurzeln im Extremismus, aber sie haben erkannt, dass sie nur dann Stimmen gewinnen können, wenn sie sich von diesen Wurzeln entfernen und sich den demokratischen Normen anpassen."

Aber stimmt dies wirklich?

Die Neue-Extremisten-These

Die Verhaftung von rund 20 Reichsbürgern in Deutschland hat die Welt schockiert. Die Mitglieder dieser Organisation wollten offenbar das deutsche Parlament gewaltsam stürmen und einen greisen Adligen als eine Art Wiedergeburt des Kaisers einsetzen. Das mag lächerlich klingen und konservative Medien wie die NZZ oder die "Weltwoche" sehen denn darin auch nicht mehr als ein Schmierentheater von ein paar verwirrten Dummköpfen.

Andere hingegen nehmen die Reichsbürger sehr ernst. Die "Financial Times" etwa weist darauf hin, dass es mehr als 20’000 Reichsbürger in Deutschland gibt. Und dass die Bewegung keineswegs aus ungebildeten Proleten besteht, sondern aus Mitgliedern des gutbürgerlichen Mittelstands. Sie zitiert den Soziologieprofessor Andreas Zick wie folgt:

"Die Covid-Proteste haben Rechtspopulisten, Rechtsextremisten und Verschwörungstheoretiker mit dem Mittelstand zusammengeführt. Was sie verbindet, ist die Ideologie von Freiheit und Widerstand."
07.12.2022, Hessen, Frankfurt/Main: Bei einer Razzia gegen sogenannte «Reichsbürger» führen vermummte Polizisten, nach der Durchsuchung eines Hauses Heinrich XIII Prinz Reuß (M) zu einem Polizeifahrze ...
Verhaftet: der Möchte-gern-Kaiser Heinrich XIII. Prinz Reuss.Bild: dpa / Boris Roessler

Verschiedene Terrorismus-Experten bezeichnen die Reichsbürger gar als größere Gefahr für die Gesellschaft als seinerzeit die linksextreme Baader-Meinhof-Bande.

Noch gefährlicher ist die Lage in Brasilien. Dort hat der abgewählte Präsident Jair Bolsonaro seine Niederlage immer noch nicht eingestanden. Seine faschistoiden Anhänger protestieren nach wie vor in verschiedenen Städten, und es ist keineswegs gesichert, dass es zu Beginn des neuen Jahres zu einer friedlichen Machtübergabe an den rechtmäßig gewählten Präsidenten Lula kommen wird.

Die Vorlage für Reichsbürger und Bolsonaro stammt aus den USA. Dort hat Donald Trump zwar bei den Zwischenwahlen eine herbe Niederlage erlitten. Doch gerade deswegen verliert er auch seine letzten Hemmungen und verbündet sich mit der äußersten Rechten. Trump hat den antisemitischen Rapper Kanye West und seinen faschistischen Kumpel Nick Fuentes zum Essen empfangen. Er lässt bei seinen Rallyes neuerdings die Hymne von QAnon abspielen, und er bezeichnet die Kapitalstürmer als "Patrioten".

ARCHIV - 06.11.2022, USA, Miami: Der ehemalige US-Pr�sident Donald Trump spricht bei einer Wahlkampfveranstaltung. Das Justizministerium will einem Bericht zufolge im Streit �ber den Umgang mit Regier ...
Angezählt: Donald Trump.Bild: AP / Rebecca Blackwell

Trump erhält nach wie vor Unterstützung aus seiner Partei. So hat "Talking Point Memo", ein Polit-Blog, soeben enthüllt, dass mehr als 30 republikanische Abgeordnete vor dem 6. Januar 2021 Trumps Stabschef Mark Meadows aufgefordert haben, notfalls das Kriegsrecht auszurufen, um Präsident Biden zu verhindern. Die meisten von ihnen sind wiedergewählt worden. Marjorie Taylor Greene, die umstrittene Abgeordnete aus Georgia, hat derweil offen erklärt, wäre sie zuständig für den Sturm auf das Kapitol gewesen, dann wären Waffen zum Einsatz gekommen.

Die modernen Konservativen mögen in Italien und Frankreich auf dem Vormarsch sein. In den USA jedoch radikalisiert sich die republikanische Partei fast täglich. Trotz der enttäuschenden Resultate der Zwischenwahlen – oder gerade deswegen – besteht nach wie vor die Gefahr, dass die Grand Old Party zu einer faschistoiden Kultbewegung verkommt.

Wer wird also die Oberhand gewinnen, die "modernen Konservativen" oder die "Wölfe im Schafspelz"? Sheri Berman ist überzeugt, dass sich die Extremisten diesmal nicht durchsetzen werden. Anders als in den Dreißigerjahren seien die westlichen Demokratien zu solid geworden, glaubt sie. Auch Trump und die Republikaner würden deshalb letztlich scheitern. Ihr Wort in Gottes Ohr.

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