Tausende Menschen sind durch das schwere Erdbeben in der Türkei und in Syrien gestorben.Bild: SOPA Images via ZUMA Press Wire / Tunahan Turhan
International
Mehr als 17.000 Tote wurden mittlerweile, drei Tage nach dem Erdbeben im türkisch-syrischen Grenzgebiet, geborgen. Mehr als 66.000 Menschen sind verletzt, teilweise schwer. Noch immer dürften tausende Opfer unter den Trümmern ausharren – wobei mittlerweile die Hoffnung der Rettungskräfte sinkt, die Verschütteten noch lebend zu bergen.
Es ist eine Naturkatastrophe. Eine Naturgewalt.
Und trotzdem stellt sich jetzt, einige Tage später, eine wesentliche Frage: Hätte die hohe Anzahl an Toten und Verletzten vermieden werden können? Wenn ja, wer hat versagt?
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Erdbeben lassen sich nicht seriös vorhersagen
Erdbeben, macht Mark Handy deutlich, lassen sich nicht seriös vorhersagen. Handy ist Professor für Geologie an der Freien Universität Berlin. Zwar gebe es natürlich Gebiete auf der Welt, wo Erdbeben wahrscheinlicher seien. Trotzdem: "Wir können nicht zuverlässig vorhersagen, wie stark, wo und in welcher Häufigkeit Beben vorkommen." So kann vorhergesagt werden, dass es wahrscheinlich ein Beben geben wird. Aber es bleibe ungewiss, ob das morgen oder innerhalb der nächsten Monate oder Jahre geschieht.
Noch immer sind Menschen unter den Trümmern begraben.Bild: AP / Hussein Malla
Handy verdeutlicht das Problem an einem Beispiel: Wenn jemand einen Stein in eine Glasscheibe wirft, kann mit Sicherheit gesagt werden, dass es Scherben geben wird. Aber niemand sei vorher in der Lage, exakt zu sagen, wo welche Scherbe liegen wird.
Den Behörden in der Türkei und in Syrien könne daher nicht der Vorwurf gemacht werden, die Region nicht rechtzeitig evakuiert zu haben. Was aber möglich ist, seien Vorkehrungen. Handy nennt als Maßnahmen etwa erdbebensichere Bauweisen, das Anlegen von Lebensmittelvorräten und die Schulung der Bevölkerung. Diese müsste auf eventuelle Beben in ihrer Region vorbereitet werden.
Beim erdbebensicheren Bau geht es um besonders viel Präzision
Eine erdbebensichere Bauweise, davon ist zumindest Bauingenieur Hamid Sadegh-Azar von der Uni Kaiserslautern überzeugt, hätte das Ausmaß der Katastrophe minimieren können. "Wir Bauingenieure müssen Gebäude so bauen, dass sie stehenbleiben. Sie müssen vertikale Lasten aushalten – also Schränke oder Kommoden – aber auch horizontale Lasten", sagt Sadegh-Azar. Eine horizontale Last ist zum Beispiel Wind – aber in extremer Form eben auch Erdbeben.
Auch zwei Tage nach der Katastrophe werden noch Menschen geborgen, darunter auch Kinder und Babys.Bild: DIA/AP / Uncredited
Sadegh-Azar sagt:
"Bei einem Erdbeben haben wir Bewegungen in die horizontale und die vertikale Richtung. Die Horizontale ist in diesem Fall ausschlaggebend: Wir müssen also unser Gebäude so aussteifen, dass es in beiden Richtungen diese Lasten abtragen kann."
Das funktioniert dann quasi wie ein Blitzableiter, nur eben für Erdbeben. Denn durch die Bewegungen entstünden Beschleunigungen am Boden – und wie der Physiker Isaac Newton herausgefunden hat: Kraft ist Masse mal Beschleunigung.
Für das Gebäude in der Erdbebenregion heißt das: In jeder Etage des Hauses entstehen horizontale Erdbebenlasten. Das ganze Haus wackelt in so einem Fall also. Schon beim Bau müssen deshalb Mechanismen vorgesehen werden, die diese Lasten ins Fundament abtragen können. Wenn das klappt, bleibt das Haus standhaft.
Trotz Vorgaben wurde in der betroffenen Region nicht ausreichend erdbebensicher gebaut.Bild: AP / Petros Giannakouris
Um Gebäude erdbebensicher zu bauen, gibt es zwei Herangehensweisen: Sie müssen entweder besonders fest sein – wie Bunker zum Beispiel – oder besonders flexibel. Das Gebäude werde durch das Beben in Schwingung versetzt; Wenn es in der Lage ist, diese Schwingung mitzumachen, stürzt es nicht ein. Klappt das, meint Sadegh-Azar, hat der Bauingenieur alles richtig gemacht – und die Bauarbeitenden auch.
Experte: Behörden wurden nachlässig
Dieses Erdbeben ist nicht das erste, das die Türkei getroffen hat. Bereits 1999 hatte die Erde dort gebebt und etlichen Menschen das Leben gekostet. Aus diesem Grund wurde eine Erdbeben-Sondersteuer eingeführt, die auf Mobiltelefonate erhoben wird. Das Geld sollte eigentlich auch dafür eingesetzt werden, Regionen erdbebenfest zu machen. Wieso also ist es trotzdem erneut zu einer solchen Katastrophe gekommen?
Gelernt, meint Sadegh-Azar, hat die Türkei aus dem Unglück von 1999 auf jeden Fall. Er sagt:
"Nach '99 wurden die Erdbebenvorschriften in der Türkei sehr stark beachtet. Es wurde einiges sehr viel besser gemacht als vorher. Denn die älteren Gebäude haben meistens gar keine Erdbebenauslegung – die, die nach '99 gebaut worden sind, sollten aber theoretisch alle in der Lage sein, seltene starke Erdbeben mit einer Wiederkehrperiode von circa 500 Jahren zu überstehen."
Die Betonung liegt hier auf dem Begriff theoretisch. Denn unter den zusammengestürzten Gebäuden in der aktuellen Erdbebenregion sind zahlreiche, die noch nicht besonders alt sind. Sadegh-Azar erklärt das Problem so: Während des Baus, meint er, könnten verschiedene Dinge passieren. Zum Beispiel könne es sein, dass das Gebäude nicht richtig geplant wird, oder dass Facharbeiter:innen beim Bau fehlen. Beim erdbebensicheren Bau komme es aber auf Präzision an.
Das Erdbeben hat eine Spur der Verwüstung hinterlassen.Bild: XinHua / Mustafa Kaya
Was neben dem Pfusch am Bau ein Problem ist: "Direkt nach dem Erdbeben '99 waren alle besonders aufmerksam, was die Einhaltung der Standards angeht – ein paar Jahre später allerdings wurden die Menschen dann wieder nachlässiger", sagt der Experte. Die Bauherren würden oftmals versuchen, an unterschiedlichen Stellen zu sparen – während die Behörden weniger genau hingeschaut hätten. Sadegh-Azar stellt klar: "Man muss die Experten ranlassen, damit sie die Vorgaben geben und die Politik muss diese Vorgaben dann auch umsetzen, prüfen und überwachen."
Er nimmt die türkischen Behörden in die Pflicht. Denn sie erteilen die Genehmigungen für Gebäude und sie müssten dann auch darauf beharren und achten, dass die Vorkehrungen für den erdbebensicheren Bau auch eingehalten würden. Andernfalls dürften sie keine Baugenehmigung ausstellen, meint der Experte.
Mehr als zweieinhalb Jahre nach Wladimir Putins Ankündigung, Kiew innerhalb weniger Tage einzunehmen, setzt sich das Töten, Sterben und Verwunden an der ukrainischen Front ungebremst fort. Den gefährlichen Kampfeinsatz versüßt der russische Machthaber seinen Soldaten mit stetig steigenden Solden.