Es ist ein seltenes Bild in Russland: Mehrere hundert Menschen versammeln sich vor einem Rathaus und protestieren. Dabei rufen sie lautstark "Eine Schande! Eine Schande!", wie ein Video des russischen Mediums RBK zeigt. Es handelt sich um Menschen aus der russischen Stadt Orsk. Ihre Häuser stehen unter Wasser, sie fühlen sich von der Regierung alleingelassen.
Der früh beginnende Frühling mit hohen Temperaturen hinterlässt ein Bild der Verwüstung in Orsk. Denn: Der Schnee schmilzt zu schnell, die Flüsse können das Wasser nicht mehr fassen. Es ist wohl eine von vielen Folgen der Klimakrise. Am Freitag kam es zu einem Dammbruch im Ural – und über Orsk brach eine Flut ein.
Den russischen Behörden zufolge waren dem Dammbruch sintflutartige Regenfälle inmitten der Schneeschmelze vorausgegangen. Tausende Menschen mussten evakuiert werden. Nun demonstrieren sie gegen den Umgang der Behörden mit der Situation – einer der seltenen Fälle von öffentlichem Protest in Russland.
"Trotz öffentlicher Ermahnungen der regionalen Behörden versammelten sich am Montag Hunderte von Menschen vor dem Gebäude der Stadtverwaltung, um eine finanzielle Entschädigung zu fordern", schreibt "Meduza". Das russisch- und englischsprachige Portal zählt zu den unabhängigen russischen Medien.
Laut aktuellen Berichten wurden in Orsk fast 7000 Häuser zerstört. Bis Sonntagnachmittag waren mindestens 4000 Menschen evakuiert worden, heißt es. Die Betroffenen fragen sich nun wohl: Wie soll es weiter gehen? Viele können sich einen Wiederaufbau ihrer Häuser oder Geschäfte schlichtweg nicht leisten.
Hierbei richten sich ihre Rufe auch direkt an Russlands Machthaber Wladimir Putin.
Laut "Meduza" skandierten die Demonstrierenden "Putin, hilf uns!". Die Polizei habe versucht, den Menschenauflauf zu zerstreuen, indem sie sie über ein Megafon aufforderte, "die illegalen Aktivitäten einzustellen", schreibt das Exilmedium. Ihre Bemühungen schlugen jedoch fehl, und die Menschen blieben vor Ort.
Eine mutige Aktion, denn öffentliche Demonstrationen gegen die Regierung sind aufgrund strenger Gesetze gegen Proteste illegal in Russland. Einige von ihnen verlangten sogar den Rücktritt des örtlichen Bürgermeisters. Zudem forderten die Protestierenden mehr finanzielle Hilfe und waren wütend über den Bruch des Damms, der zum Schutz der Stadt gebaut worden war.
Die Proteste zeigten Wirkung. Man sicherte den Betroffenen zu, dass die Kosten der Schäden an Häusern vollständig erstattet würden. Doch das Hochwasser verschont auch andere Orte in Russland nicht.
Es drohen mehreren Regionen massive Überschwemmungen angesichts des Hochwassers in großen Flüssen. Bis Montag wurden bereits mehr als 10.000 Wohnhäuser in den Regionen Ural, Wolga und Westsibirien überflutet. Der russische Wetterdienst erklärte, das Hochwasser im Fluss Ural werde frühestens am Mittwoch seinen Scheitelpunkt erreichen.
Auch in den westsibirischen Regionen Kurgan und Tjumen sind nach Angaben des Kremls Überschwemmungen "unvermeidlich". Die Katastrophenschutzbehörden warnten, Teilen der historischen Stadt Tobolsk in Sibirien drohe die Überflutung durch den gefährlich angeschwollenen Fluss Irtysch. Russland erlebte in jüngster Zeit mehrfach schwere Überschwemmungen und Waldbrände.
(Mit Material der afp)