Merz und das Stadtbild: Anwältin erklärt, wann eine Klage wirksam wäre
Sie kühlt nicht ab, die Debatte um die Stadtbild-Aussagen des Bundeskanzlers. Bei seinen Einlassungen über Menschen, die sich in den deutschen Innenstädten herumtreiben, ließ er kaum Interpretationsspielraum. Offensichtlich meinte er Personen, die nicht Weiß sind, verklärt damit die Lage kommunaler Innenstädte zu einem importierten Problem.
Statt seine Aussage zu relativieren, legte Merz nach – und brachte Familien ins Spiel. Wer nicht wisse, was er meine, solle seine Töchter fragen, sagte er bei einer Pressekonferenz. Es kam direkt zu massiven Protesten. Kritik von Parteikolleg:innen, Koalitionspartnern und Opposition war es zum einen. Zum anderen gab es eine öffentlichkeitswirksame Demo vor der CDU-Bundesgeschäftsstelle. Da hört es aber nicht auf.
Die Grünen in Castrop-Rauxel stellten eine Anzeige wegen Volksverhetzung, die Linke Jena ebenfalls. Abseits parteipolitischer Akteur:innen lädt die Anwaltskanzlei Uyanık Bürger:innen ein, Merz ebenfalls anzuzeigen.
Anwältin gegen Bundeskanzler Friedrich Merz
"Ich möchte gerne unseren Mitmenschen zeigen, was sie rechtsstaatlich tun können, wenn sie eine solche rassistische und hässliche Aussage von hohen Abgeordneten hören", sagt Mitinitiatorin und Rechtsanwältin Tuğba Sezer gegenüber watson.
Es ist mehr die symbolische Wirkung, auf die sie setzt. Dass es zur Klage kommt, hält sie für unwahrscheinlich. "Immunität", merkt sie dazu an. Als Bundestagsabgeordneter ist Friedrich Merz vor strafrechtlicher Verfolgung und Verhaftung geschützt.
Ganz abschreiben will sie das Ganze aber nicht. Sie hofft, dass die juristische Maschinerie zumindest ins Laufen kommt. Eine Möglichkeit: die Staatsanwaltschaft erkennt eindeutige rechtliche Hinweise auf Volksverhetzung an. Ein Strafverfahren wäre somit möglich.
Der Spielball liegt dann beim Bundestag. Hebt er Merz' Immunität auf, kann es zur Verurteilung kommen. Hier braucht es Willen, der nicht zwangsläufig da ist. Juristisch bleibt es kompliziert, moralisch ist es für Sezer eindeutig.
Merz und die historische Parallele zu Goebbels
Sie sieht einen klaren Fall von Volksverhetzung, "allein, wenn man die Wortwahl Goebbels' betrachtet". 1941 schrieb der nationalsozialistische Propagandaminister in sein Tagebuch: "Sie [die Juden] verderben nicht nur das Straßenbild, sondern auch die Stimmung." Die Nähe zwischen dem und Merz' Stadtbild-Aussage lässt sich nicht leugnen. Merz drückte sich zwar offener aus, sprach aber anschließend über Rückführungen.
Nach deutschem Gesetz liegt unter anderem eine Volksverhetzung vor, wenn jemand öffentlich gegen eine Gruppe, zum Beispiel mit rassistischen Aussagen, aufstachelt. Eignet sich eine Äußerung zudem, den öffentlichen Frieden zu stören, kann es zur Anklage kommen.
Ob das zutrifft, entscheiden Anwält:innen. Viele Anzeigen können hier aber ein Gradmesser dafür sein, wie es um den öffentlichen Frieden steht. Eine Klage gibt es so nicht zwingend. Dafür Sekundäreffekte.
"Wenn tatsächlich viele Strafanzeigen bei der Staatsanwaltschaft Berlin eingehen, dann ist es für die öffentliche Debatte wirksam und eventuell entschuldigt sich unser Kanzler", sagt Sezer. Bleibt die Immunität, kommt es nicht zur Strafe, vielleicht aber trotzdem zur Einsicht.
Ein alter Reflex von Merz
Für Hoffnung ist an dieser Stelle aber nur bedingt Platz. Merz’ aktuelle Aussagen stehen in einer langen Tradition von Grenzüberschreitungen. Vor 25 Jahren war er Hebamme der Leitkulturdebatte, in der er von Zuwanderer:innen forderte, sich an die "deutsche Leitkultur" anzupassen. Was die deutsche Leitkultur ist, was genau sie leitet und was das mit Kultur zu tun hat, grenzte er nicht ein – wäre auch nicht möglich.
Der Sturm der Empörung könnte mal wieder schneller abebben als die juristischen Verfahren anlaufen. Auch das hat bei Merz Tradition.
Vielleicht entschuldigt er sich aber diesmal – nicht aus juristischer Einsicht, sondern aus politischer Vernunft. Das wäre mal was Neues.