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Nach Protest im russischen Fernsehen: TV-Mitarbeiterin zu Geldstrafe verurteilt

Die russische TV-Mitarbeiterin Marina Owssjannikowa mit ihrem Anwalt Anton Gaschinski in einem Gerichtsgebäude.
Die russische TV-Mitarbeiterin Marina Owssjannikowa mit ihrem Anwalt Anton Gaschinski in einem Gerichtsgebäude.screenshot/twitter/kevinrothrock
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Nach Anti-Kriegs-Protest im russischen Fernsehen: TV-Mitarbeiterin muss umgerechnet 226 Euro zahlen

15.03.2022, 17:35
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"Stoppt den Krieg. Glaubt der Propaganda nicht. Hier werdet ihr belogen. Russen sind gegen Krieg." – Mit diesen Sätzen auf einem Plakat hat Marina Owssjannikowa im Moskauer Staatsfernsehen für einen Eklat gesorgt. In der russischen Tagesschau – den Abendnachrichten "Wremja" des Ersten Kanals – hielt sie das Transparent in die Kamera, lief hin und her, während Nachrichtensprecherin Jekaterina Andrejewa über Sanktionen des Westens sprach. "Nein zum Krieg!", rief Owssjannikowa, bevor die Sendung unterbrochen und ein anderer Beitrag eingeblendet wurde.

Der Vorgang gilt in dem fast militärisch streng geregelten Sendebetrieb des Staatsfernsehens mit kremltreuen und sehr gut bezahlten Propagandisten als beispielloser Vorgang. Von der 44-Jährigen, die in den sozialen Netzwerken am Dienstag international als mutige Heldin gefeiert wurde, fehlte stundenlang am Dienstag jede Spur. Am Nachmittag dann veröffentlichte der prominente russische Journalist Alexej Wenediktow in seinem Telegram-Kanal ein Foto von Owssjannikowa mit ihrem Anwalt Anton Gaschinski in einem Gerichtsgebäude.

Russische Medien berichteten, dass die TV-Mitarbeiterin wegen der Organisation einer nicht erlaubten öffentlichen Aktion belangt werde. Sie wurde jetzt in Moskau zu 30.000 Rubel (226 Euro) Geldstrafe verurteilt. Ihr hatten außerdem eine Arreststrafe von zehn Tagen oder bis zu 50 Stunden gemeinnützige Arbeit gedroht. Ihr Anwalt Gaschinski wies darauf hin, dass Owssjannikowa als Mutter von Kindern im Alter von 11 und 17 Jahren nicht zu einer Arreststrafe verurteilt werden dürfe.

Zunächst war befürchtet worden, die Redakteurin könnte nach einem umstrittenen neuen Gesetz wegen Diffamierung der russischen Armee verurteilt werden. Wer das Ansehen von Putins Streitkräften durch vermeintliche oder reale Falschmeldungen beschmutzt, dem drohen neuerdings in Russland bis zu 15 Jahre Gefängnis.

Auch russische Staatsmedien mussten über den Vorfall berichten

Auch die EU hatte sich nach ihrem Verschwinden besorgt gezeigt. "Ihre Anwälte dürfen keinen Kontakt zu ihr aufnehmen", sagte ein Sprecher des EU-Chefdiplomaten Josep Borrell. Der Protest sei das jüngste Beispiel einer mutigen Haltung, welche die Lügen und Propaganda des Kreml widerlege.

Kremlsprecher Dmitri Peskow bezeichnete den Vorfall als "Rowdytum", die Senderleitung müsse sich darum kümmern. Nicht einmal Staatsmedien kamen umhin, darüber zu berichten.

Im Netz verbreitete sich zudem ein vor dem TV-Auftritt aufgenommenes Video, in dem die Frau sagt, sie schäme sich dafür, jahrelang Kreml-Propaganda verbreitet zu haben. "Was in der Ukraine geschieht, ist ein Verbrechen." Verantwortlich für die Aggression sei nur Russlands Präsident Wladimir Putin. Sie rief ihre Landsleute dazu auf, gegen den Krieg zu protestieren. "Es liegt nur an uns, diesen ganzen Wahnsinn zu beenden." Die Behörden könnten nicht alle einsperren.

Owssjannikowa, die in dem Video eine Kette mit den Farben der Flaggen Russlands und der Ukraine trägt, erzählt auch, dass sie Tochter eines Ukrainers und einer Russin sei – "und sie waren nie Feinde". "Diese Kette an meinem Hals ist wie ein Symbol dafür, dass Russland den Bruderkrieg sofort stoppen muss und unsere Brudervölker sich noch versöhnen können."

Nach ihrem Protest wurde ihr weltweit eine Welle der Anerkennung zuteil. Der Mitschnitt der Szene, in der sie mit einem handgeschriebenen Plakat hinter der Nachrichtensprecherin auftaucht, wurde am Dienstag vielfach unter anderem bei Twitter und bei Telegram geteilt. "Was Mut wirklich bedeutet", schrieb etwa Pianist Igor Levit dazu. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bedankte sich bei ihr. Er lobte Russen, "die versuchen, die Wahrheit zu sagen".

Nawalny und sein Team wollen die Strafe zahlen

Und auch das Lager des russischen Oppositionsführers Alexej Nawalny bedankte sich bei ihr, nachdem sie in dem Video kritisierte, dass der Kremlgegner vergiftet worden sei. Bis heute leugnen Kreml und Russlands Staatsfernsehen, dass Nawalny 2020 nur knapp einen Mordanschlag mit dem Nervengift Nowitschok überlebte. Nawalny, der im Straflager sitzt und dem in einem neuen umstrittenen Prozess viele Jahre Haft drohen, hatte Putin persönlich für das Attentat mit dem verbotenen chemischen Kampfstoff verantwortlich gemacht.

Nawalnys Team kündigte an, die TV-Redakteurin zu unterstützen. Mann wolle die Strafen übernehmen, die gegen sie verhängt werden könnten, schrieb Maria Pewtschich von Nawalnys Team vor der Urteilsverkündung am Dienstag bei Twitter. Russische Journalisten dürfen nicht von Krieg sprechen, sondern nur von einer "militärischen Spezial-Operation".

Twitter-Account der Protestlerin ist wohl Fake

Der Twitter-Account, über den Marina Owssjannikowa zuletzt angeblich kommunizierte, ist wohl gefälscht. Das haben Recherchen des "taz"-Redakteurs Sebastian Erb ergeben. "Ein neuer Account (hier Tweets seit 9.3.) mit großem öffentlichem Interesse ist fast immer fake", schreibt Erb dazu auf Twitter. Sie hätte ihn zwar anlässlich des Protests auch neu anlegen können, es sei aber sehr unplausibel, dass sie aus dem Polizeigewahrsam twittere. Zudem will der Journalist herausgefunden haben, dass die ersten Tweets auf dem Account noch unter dem Namen "AmonUkrainell" abgesetzt wurden.

(nik/dpa)

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