Serkan Eren, Chef der deutschen Hilfsorganisation Stelp, versorgt Erdbebenopfer in der Türkei mit dem Nötigsten.bild: privat
International
Wenige Stunden nach dem Erdbeben im türkisch-syrischen Grenzgebiet saß Serkan Eren schon im Flieger nach Istanbul – mit 30.000 Euro Bargeld in der Tasche. Da waren die Bilder von der unfassbaren Zerstörung gerade erst um die Welt gegangen. "Die ersten Stunden sind die wichtigsten", sagt Eren im Gespräch mit watson. Denn dann sei die Not am größten und kaum eine internationale Hilfsorganisation vor Ort.
Der 38-Jährige hat vor sieben Jahren selbst eine Hilfsorganisation namens Stelp gegründet und ist seitdem in zahlreichen Krisenregionen der Welt im Einsatz. Doch sogar er, der auf Lesbos, in Beirut, Afghanistan und der Ukraine war und schon so viel Leid gesehen hat, ist angesichts der katastrophalen Lage in der Türkei erschüttert.
Viele Menschen in der Osttürkei stehen nach dem schweren Erdbeben vor den Trümmern ihrer Existenz.Bild: AP / Khalil Hamra
"Die Menschen sind völlig traumatisiert. Fast alle, die wir getroffen haben, haben Angehörige oder Bekannte verloren", sagt Serkan Eren. Über 10.000 Menschen sind nach Behördenangaben in und unter den Trümmern bisher gestorben. Die Bergungsarbeiten werden sich noch Tage, wenn nicht Wochen ziehen. "Es war so viel schlimmer als gedacht", schildert Serkan Eren seine Eindrücke vor Ort.
Während des Telefonats muss er immer wieder unterbrechen, um auf Türkisch den Einkauf von Hilfsgütern zu koordinieren. Decken, Verbände, Medikamente, Wasser, Kleidung, Windeln, Hygieneartikel – weil das Erdbeben viele Menschen aus dem Schlaf gerissen hat und ihre Häuser zerstört sind, fehlt es ihnen an allem.
Hilfsgüter vom Lastwagen zu verteilen, hält Serkan Eren eigentlich für unwürdig. Aktuell gehe es aber nicht anders. bild: privat
Laut dem türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdoğan sind allein in der Türkei über 3000 Gebäude eingestürzt. In die, die noch stehen, trauen sich viele Menschen nicht hinein. Zu groß ist die Einsturzgefahr und die Angst vor weiteren Nachbeben, von denen Seismolog:innen bereits über 50 registriert haben.
Zu allem Unglück hat nach dem ersten Beben am Montagmorgen auch noch ein Schneesturm die Region getroffen. Auch wenn sich die Wetterlage seitdem etwas entspannt hat, erschweren eisige Temperaturen den Überlebenskampf der Menschen seitdem zusätzlich.
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Versorgungsprobleme behindern Arbeit von Hilfsorganisationen
Je näher man dem Epizentrum in der osttürkischen Provinz Kahramanmaraş kommt, desto schwerer wird es, die benötigten Hilfsgüter zu beschaffen, erzählt Serkan Eren. Er selbst fährt deshalb immer wieder raus aus dem Katastrophengebiet, ins 300 Kilometer entfernte Adana, um Hilfsgüter zu besorgen.
Hier hat er sich auch kurz Zeit genommen, um mit watson zu telefonieren. Die Verbindung ist schlecht, immer wieder bricht der Empfang zu ihm ab. Kein Wunder, schließlich ist die Infrastruktur in der Region völlig zerstört.
Es wird Jahre dauern, bis die Straßen und Gebäude in den betroffenen Gebiete wieder aufgebaut sind.Bild: AP / Emrah Gurel
Am Tag zuvor war er als Nothelfer in Hatay, im Süden der Türkei, berichtet Serkan Eren. Das unendliche Leid und die Verwüstung, die er dort gesehen hat, lassen ihn nicht mehr los. "Die Stadt ist komplett zerstört", erzählt er bestürzt, kaum ein Stein stünde mehr auf dem anderen.
Um der Situation vor Ort Herr werden zu können, haben die Türkei und Syrien einen Hilferuf an die internationale Gemeinschaft gesendet. Und die liefert: Inzwischen sind über 60.000 Helfer:innen in der Krisenregion. Zudem sind rund 16.000 Rettungs- und Suchteams im Einsatz, die sich nun schon den dritten Tag in Folge auf der Suche nach verschütteten Überlebenden durch die Trümmer graben.
Auf Instagram gibt Serkan Eren regelmäßig Updates zu seinem Einsatz in der Türkei.instagram/serkan.eren
Geldspenden sind oft hilfreicher als Sachspenden
Serkan Eren war einer der ersten internationalen Helfer vor Ort. Aus jahrelanger Erfahrung im Umgang mit Krisensituationen weiß er, worauf es bei der Erstversorgung ankommt. "Sachspenden können wegen des Transports sehr langsam und kompliziert sein. Die wahren Premiumspenden sind aktuell Geldspenden", erklärt er. Damit ließe sich vor Ort bedarfsgerecht und kurzfristig einkaufen. Für die erste Versorgungswelle seien sie deshalb viel nützlicher.
Auf Instagram führt er diesen Punkt noch weiter aus. Nicht nur sei der Transport von Sachspenden teuer und langwierig, es gebe auch immer wieder Probleme mit dem türkischen Zoll. Außerdem: "Mit Einkäufen supportet man hier lokale Geschäfte, die selbst von Erdbeben und Inflation getroffen wurden", schreibt Serkan Eren.
Seine Hilfsorganisation Stelp, für die inzwischen Hunderte Ehrenamtliche arbeiten und die 2022 mehr als vier Millionen Euro Spenden eingenommen hat, sei ein möglicher Spendenempfänger. Der NGO-Chef nennt aber auch noch andere Hilfsorganisationen vor Ort, beispielsweise den Roten Halbmond oder das Deutsche Rote Kreuz.
Wie es für ihn in den nächsten Tagen weitergehen wird, vermag Serkan Eren jetzt noch nicht zu sagen. "Das entscheidet sich meistens erst am nächsten Morgen", erklärt er.
Zu unübersichtlich ist die Lage derzeit noch. Nur eins steht fest: Die Arbeit der Helfer:innen von Stelp in der Türkei hat gerade erst begonnen.
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