Barrikaden und Schüsse – erneut kommt es zu Spannungen zwischen dem Kosovo und Serbien.
Im Norden des Kosovos stellten serbische Aktivisten am vergangenen Sonntag Barrikaden auf. Laut der Nachrichtenagentur dpa haben Unbekannte Schüsse in Richtung kosovarischer Polizisten abgegeben. Verletzte habe es dabei nicht gegeben, berichtet die Polizei gegenüber der dpa.
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Grund der Aggression soll die neue Einreisereglung für Serben nach Kosovo sein. Die kosovarischen Behörden wollten ab Montag (0 Uhr) an den Grenzübergängen keine serbischen Personaldokumente mehr anerkennen. Stattdessen sollten serbische Staatsbürger an der Grenze provisorische Dokumente erhalten, mit denen sie in das Nachbarland einreisen dürfen.
Zufolge der dpa beruht diese Maßnahme auf Gegenseitigkeit: Auch kosovarische Bürger müssen sich bei der Einreise nach Serbien ein provisorisches Dokument ausstellen lassen, weil die serbischen Behörden die kosovarischen Papiere nicht anerkennen.
Zudem sollten neue Regeln für die Nummernschilder von serbischen Autobesitzern im Kosovo gelten.
"Der aktuelle Konflikt begann vor einem Jahr, als Kosovo verlangt hat, dass bei der Einreise serbische Autonummernschilder durch provisorisch kosovarische ausgetauscht werden müssen", erklärt Florian Bieber gegenüber watson. Bieber ist Professor für Geschichte und Politik Südosteuropas sowie Leiter des Zentrums für Südosteuropastudien an der Universität Graz. Serbien verlange seit Jahren das gleiche vom Kosovo.
Er sagt:
Als Teil des Kompromisses sollten alle bisherigen serbische Nummernschilder im Norden des Kosovo, der überwiegend von Serben bewohnt wird, durch kosovarische ersetzt werden. Die Frist ist ursprünglich der 1. August und hat laut Bieber zu den Blockaden an der Grenze geführt.
Kosovo reagiert auf die Unruhen und verschiebt die neuen Pläne für die Grenzkontrolle und Autokennzeichen. Über Twitter verkündet der kosovarische Ministerpräsident Albin Kurti, dass seine Regierung das Vorhaben 30 Tage lang auf Eis legen werde. Als Gegenzug sollen alle Barrikaden entfernt werden, um eine komplette Freizügigkeit wiederherzustellen.
"Es gibt immer wieder Spannungen zwischen Serbien und Kosovo", sagt Bieber. Er sieht den Grund darin, dass Serbien bis heute den Kosovo nicht als eigenständigen Staat anerkenne.
Kosovo entspringt aus dem Erbe des ehemaligen Jugoslawiens, das einst ein Königreich und nach dem Zweiten Weltkrieg eine Sozialistische Föderative Republik war.
Das sozialistische Jugoslawien zerbrach 1991 und aus ihm gingen unter anderen Serbien und Montenegro hervor, die bis 2006 in einem gemeinsamen Staat verblieben. Zu diesem gehörte formal auch der Kosovo, bevor sich das Land 2008 als unabhängig von Serbien erklärte. Kosovo wird heute von einer Mehrheit der Staaten anerkannt, ist aber immer noch umstritten.
Seit dem Zerfall Jugoslawiens beherrschen Identitäts-, Grenz- und Statusfragen die Region, erklärt Marie-Janine Calic gegenüber der Bundeszentrale für politische Bildung. Die Professorin für Ost- und Südosteuropäische Geschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München führt weiter aus, die serbische, bosnische, mazedonische und albanische nationale Frage sei noch immer ungelöst. Bis heute erkennen die ethnisch lebenden Serben im Norden Kosovos die Regierung der jungen Republik nicht an.
Vladimir Đukanović, ein serbischer Abgeordneter der Regierungspartei, äußert sich auf Twitter am Sonntag: Es scheine ihm, dass Serbien gezwungen sein werde, mit der Entnazifizierung des Balkans zu beginnen. Entnazifizierung – ein Begriff, den der russische Präsident Wladimir Putin zur Rechtfertigung seines völkerrechtswidrigen Angriffskriegs gegen die Ukraine verwendet hat. Serbien pflegt traditionell enge Beziehungen zu Russland, das ebenfalls die Unabhängigkeit des Kosovos nicht anerkennt.
Deutschland, die USA und die meisten westlichen Nationen sehen den Kosovo dagegen als unabhängig an.
"Ich denke nicht, dass ein bewaffneter Konflikt droht", schätzt Bieber die Lage ein. Im Kosovo seien nach wie vor NATO-Einheiten im Rahmen der KFOR Friedensmission stationiert. Diese können eine Eskalation notfalls verhindern.
Weiter erklärt Bieber dazu:
Am Sonntagabend teilte die Nato-Mission KFOR über Twitter mit, dass die Sicherheitslage im Norden des Kosovos angespannt sei. Sie beobachte die Situation genau und sei bereit, einzugreifen, sollte die Stabilität gefährdet sein. Die Nato-geführte Mission konzentriere sich jeden Tag darauf, ein sicheres Umfeld und Bewegungsfreiheit für alle Menschen im Kosovo zu garantieren.
"Seit über zehn Jahren fördert die EU den Dialog zwischen Serbien und Kosovo, aber es ist keine grundsätzliche Annäherung in der Frage der Anerkennung absehbar", sagt Bieber.
Bieber zufolge muss die EU mehr Druck ausüben, dass die Regierungen auf beiden Seiten und insbesondere in Serbien nicht diese Krisen künstlich anheizen. Gerade in Serbien verbreiten Medien, die der Regierung nahe stehen – beziehungsweise von ihr kontrolliert werden – immer wieder gefährliche Falschnachrichten und heizen Spannungen an. "Eine Lösung ist dann möglich, wenn die EU sich wieder ernsthafter mit dem Balkan beschäftigt und eine reale Mitgliedsperspektive anbietet", meint Bieber.
Josep Borrell Fontelles begrüßt die Reaktion Kosovos, die Maßnahmen verschoben zu haben. Der hohe Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik schreibt auf Twitter, dass er von Serbien erwarte, dass alle Blockaden sofort entfernt würden. Ungelöste Probleme sollten über einen von der EU vermittelten Dialog gelöst werden. Eine Normalisierung der Beziehungen zwischen dem Kosovo und Serbien sei essenziell für deren Weg in die Europäische Union.