"Die Rente ist sicher", sagte Norbert Blüm 1997. Gut, das war vor 21 Jahren. Als Blüm, damals Arbeitsminister unter Kanzler Kohl, sein Versprechen gab, war ich fünf Jahre alt und wollte Pilotin eines gelben Doppeldeckerfliegers werden. Blüm sprach wahrscheinlich nicht Kindergartenkinder an. Betroffen bin ich dennoch. Derzeit sieht es bei der Rente für mich nicht rosig aus. Altersarmut ist ein großes Problem, besonders für Frauen.
Der heutige Arbeitsminister Hubertus Heil, die SPD, die CDU und die Groko diskutieren gerade mal wieder darüber, wie Renten finanziert werden und wie viel Menschen im Alter bekommen sollten. Heils Plan: Alle Menschen sollen eine Grundrente bekommen, von der sie leben können. Die soll von Steuern finanziert werden. Ich zahle also gerade Abgaben für meine Rente und für die von anderen Menschen? Alles ziemlich kompliziert. Auch, wenn ich mit 26 Jahren noch nicht an das Rentenalter denken will, spukt die Angst vor Altersarmut in meinem Kopf herum.
Bevor ich durchdrehe, habe ich mir einen Experten gesucht, der mir das alles erklären soll.
watson: Herr Bönke, kann ich in 40 Jahren von meiner gesetzlichen Rente leben?
Timm Bönke: Im Sozialstaat Deutschland werden Menschen immer von ihrer Rente leben können, ohne, dass sie privat vorgesorgt haben. Private Zusatzvorsorge ist aber sinnvoll. Unsere alternde Bevölkerung ist immer mehr von staatlichen Leistungen abhängig. Es ist klug, seine Eier in mehrere Körbe zu legen und nicht nur in einem zu haben. Deswegen würde ich empfehlen, privat mit Rentenversicherungsprodukten vorzusorgen, die an der weltweiten wirtschaftlichen Dynamik teilnehmen. In Deutschland wird der Kapitalmarkt von privaten Sparern nicht mit all seinen Stärken wahrgenommen, das ist ein Problem.
Manche haben aber gar kein Geld zum Anlegen. Gerade wird viel über neue Konzepte für eine Respekt-Rente diskutiert, damit jeder von seiner Rente leben kann. Wie soll die neue Rente denn aussehen?
Diese Idee von einer Grundrente oder Basisrente ist ja eine, die immer wieder auftaucht. Wir hatten diese Diskussion auch schon unter der Regierung Kohl. Damals entschloss man sich, die Rente von Niedrigverdienern mit mindestens 25 Beitragsjahren ohne Bedürfnisprüfung aufzuwerten. Das heißt: Die Menschen bekamen einen Zuschuss, damit die monatliche Rente zum Leben reicht. Die Diskussion ist somit sehr, sehr alt. Auch die SPD hat bereits mehre Vorstöße gemacht. Was jetzt an den Vorschlägen von Hubertus Heil neu ist, ist, dass sich die Grundrente nur an der Beitragszeit orientiert und nicht an der Höhe der Beiträge, die man in dieser Zeit geleistet hat. Jetzt stellt sich die Frage, ob man das ohne Bedürftigkeitsprüfung machen kann. Ist dieses Konzept eine gute Option um Altersarmut zu bekämpfen? Denn die bisherige Konzept und auch die Ideen der anderen Parteien sehen immer vor, dass die Grundrente an eine Bedürftigkeitsprüfung gekoppelt ist.
Das Konzept der Rente basiert auf dem Generationsvertrag. Funktioniert das in der Zukunft überhaupt noch oder müssen bald alle besser vorsorgen?
Das Konzept haben wir in Deutschland seit 1957. Es funktioniert, wenn die Volkswirtschaft wächst und genügend Kinder geboren werden. Das war in Deutschland lange gegeben. Jetzt gehen die Babyboomer in Rente. Sie selbst haben nur wenige Kinder bekommen, weshalb es weniger Aktive auf dem Arbeitsmarkt gibt. Gleichzeitig wächst die Lebenserwartung, die Menschen leben immer länger von der Rente. Da setzt der demografische Knick ein. Also brauchen wir auch mehr Geld. Den fehlenden Nachwuchs könnten wir durch qualifizierte Einwanderung ausgleichen. Dann würde das Konzept der Rente wieder funktionieren: Durch diese Beiträge könnten wir das System stabilisieren. Zu sagen, der Generationenvertrag funktioniert nicht mehr und wir müssen alle privat vorsorgen – das ist keine Alternative.
Was ist denn eine Alternative?
Man muss an verschiedene Tabus rangehen. Wenn Sie sagen, dass Sie bereit sind, bis zum 70. Lebensjahr zu arbeiten, stehen Sie in der Debatte um eine angemessene Lebensarbeitszeit ziemlich alleine da. Wenn mehr alte als junge Menschen in Deutschland leben, muss das in unserem Rentenniveau und dem Renteneintrittsalter berücksichtigt werden. Das ist ein unrealistisches Szenario, an dem Rentenpolitik teilweise ausgerichtet wird. Wir haben heute verschiedenste Verläufe im Job: späteren Eintritt, früheren Eintritt, Wechsel von und in die Selbstständigkeit und Angestelltenverhältnisse, manchmal etwas Freiraum dazwischen. Wir wechseln öfter unseren Arbeitgeber, haben längere Erwerbsphasen im Ausland. Wir wissen gar nicht, wie typische Verläufe im Job in den nächsten Jahren aussehen werden. Wir brauchen auch viel mehr Flexibilität. Für den modernen Arbeitsmarkt hat das klassische Rentensystem zu starre Regeln. Wenn Leute einer körperlich sehr anstrengenden Tätigkeit nachgehen, wollen sie früher in Rente gehen. Andere wollen später in Rente gehen, weil sie noch fit sind.
Absurdes Szenario: Meine Generation, die Mittezwanzigjährigen, entscheidet sich spontan, ganz viele Kinder zu bekommen. Könnten wir unsere Rente damit sichern?
Das geht nicht schnell genug. Die Kinder wären dann erst in knapp 30 Jahren aktiv in der Arbeitswelt. Rentensysteme, Sozialversicherungssysteme sind so träge in ihrer Anpassung wie die Bevölkerung in ihrem Verhalten. Die Geburtenraten steigen ja gerade sogar. Das Problem der Babyboomer, die wenig Kinder bekommen haben, könne wir dadurch nicht lösen. Wir müssten das System auf eine breitere Finanzierungsbasis stellen. Es gibt auch andere Länder mit anderen Systemen, da lohnt sich der Blick nach Schweden oder Dänemark. Die zeigen, dass es sich lohnt, kreative Wege zu gehen, um ein Rentensystem zu reformieren. Aber durch eine massive Verhaltensänderung der jüngeren Generation können wir nicht alles rumreißen. Das Kind ist in den Brunnen gefallen.
Was sollte die Politik machen, damit ich auch irgendwann eine Rente haben werde?
Sie sollte eine Politik für die Jungen machen, nicht nur für die Alten. Da reicht es nicht, einen Digitalpakt zu schließen. Es geht darum, massiv dafür zu sorgen, dass wir jungen Menschen in Bezug auf Bildung, wirtschaftlicher Teilhabe, wirtschaftlicher und sozialer Autonomie die besten Möglichkeiten zu geben. Wir brauchen Investitionen in die Zukunft.
Ich bin jetzt mal polemisch: Als Redakteurin kann ich bei geistiger Gesundheit also einfach so lange arbeiten, bis ich vom Stuhl falle, um das Leben von einer Standard-Basisrente hinauszuzögern. Und dann werde ich vermutlich nicht verhungern, aber der Luxus erwartet mich auch nicht. Es sei denn, ich stecke etwas Geld in private Vorsorge. Aber eines ist gut zu wissen:
Das bringt ja eh nichts.