Erst Bushido und jetzt Capital Bra: Immer wieder bekommen deutsche Rapper Probleme mit kriminellen Großfamilien oder anderen Verbrechersyndikaten. Capi, seines Zeichens erfolgreichster deutscher Rapper, musste kürzlich die Polizei einschalten. Gegenüber watson bestätigt die Berliner Staatsanwaltschaft, dass die Beamten derzeit wegen räuberischer Erpressung zum Nachteil von Capital Bra ermitteln.
Dass Gangsterrapper auch mit kriminellen Familienclans oder Rockerbanden unterwegs sind, ist kein Geheimnis. Doch es stellt sich die Frage, was Künstler wie Capital Bra und Bushido an diesen Gruppen so anziehend finden.
Darüber sprachen wir mit Jonathan Kalmanovich alias Ben Salomo. Er verschaffte jungen Künstlern bei der Hip-Hop-Veranstaltung "Rap am Mittwoch" von 1999 bis 2018 eine Bühne – unter diesen Artists war auch: Capital Bra.
watson: Du warst einige Zeit auch als Rapper unterwegs. Außerdem hast du "Rap am Mittwoch" – die größte Battlerap-Veranstaltung in Deutschland – gegründet und bis zu ihrem Ende moderiert. Kamen währenddessen Familienclans oder andere Gruppen auch auf dich zu?
Ben Salomo: Klar, Rockerbanden probierten etwa, die Türsteher zu stellen. Ich habe mich deshalb an eine professionelle Sicherheitsfirma gewandt, die mir diese Menschen vom Leib hielt und die Polizei rief, wenn etwas passierte. Immerhin leben wir in einem Rechtsstaat. Dazu muss ich sagen, ich bin kein Gangsterrapper. Ich kann zur Polizei gehen und erleide dadurch keinen Imageschaden.
Wieso Imageschaden?
In dieser Szene gilt die Polizei als Feind. Kontaktiert ein Gangsterrapper die Behörden, wird er auch als 31er (Anm. der Redaktion: Synonym für Verräter) bezeichnet.
Ironischerweise machte sich Capital Bra genau deswegen über Bushido lustig.
Ja, und jetzt muss er selbst zur Polizei gehen.
Erst hatte Bushido Probleme mit einer Großfamilie, jetzt also Capital Bra. Warum suchen Rapper überhaupt den Kontakt zu kriminellen Clans?
Das ist eine gegenseitige Zweckverbindung. Rapper, die aus dem Straßenrap-Genre kommen, wollen authentisch sein. In ihren Songs neigen sie gelegentlich dazu, gegen andere zu schießen – sprich: Sie haben eine große Klappe. Entsprechend brauchen sie Leute, die sie beschützen. Denn eine große Klappe führt auch dazu, dass andere Menschen schauen, was dahintersteckt. Dadurch kann es zu Kontakt mit diesen Milieus kommen – wenn dieser nicht aufgrund einer kleinkriminellen Vergangenheit schon vorher bestand.
Und was haben die Clans von so einer Zweckverbindung?
Sie können etwa von einem Rapper Schutzgeld für Securities nehmen. Außerdem rappen ihre Schützlinge über Produkte, die sie verkaufen. Zu diesen zählen etwa Drogen. Das macht die Rapper zu einer Art Markenbotschafter. Geldwäsche spielt ebenfalls eine Rolle.
Inwiefern?
Die Syndikate können ihr Geld in Merchandise oder Platten investieren, was wiederum an die Fans verkauft wird.
Jetzt werden die Rapper nicht auf die Straße gehen und jemanden fragen, ob er zu einem Verbrechersyndikat gehört. Wie entsteht der Kontakt zu den Clans?
Ich glaube, dass das auf organische Weise abläuft. Oft haben Gangsterrapper noch vor ihrem Durchbruch Verbindungen zu Syndikaten. Nehmen oder verkaufen sie zum Beispiel Drogen, gibt es ja immer jemand anderen, der diese bereitstellt. Kommt jemand aus dem Straßenmilieu, hat er oft entsprechende Bekanntschaften. Sobald diese erfahren, dass einer ihrer Bekannten Musik macht, könnten sie schauen, wie sie in ihn investieren und am Ende von ihm profitieren können. Und so wächst das alles zusammen.
Bei Capital Bra heißt es, dass eine Großfamilie ihn aus einem Labeldeal geholt hat. Wie ist das möglich?
Schließt jemand einen Vertrag für drei Alben ab, müssen diese erstmal geliefert werden. Will ein Künstler die Zusammenarbeit vorher beenden, muss er sich in der Regel rausklagen. Das ist für ihn jedoch kaum gewinnbringend. Deshalb greift er gelegentlich auf eine Paralleljustiz zurück. Also Syndikate, die ihn da rauskaufen. Dadurch binden sie den Künstler wiederum an sich.
Häufig sehen es Rapper nicht als Problem, wenn sie mit Syndikaten verbandelt sind. In ihren Songs prahlen sie sogar damit.
Natürlich, das ist für Rapper eine Art Gütesiegel. Es hat einen gewissen Symbolcharakter, wenn die Künstler Leute im Rücken haben, die besonders bedrohlich wirken und mitunter auch sind. Es ist ja auch so, dass Rapper, die Themen wie Kriminalität behandeln, dadurch authentischer wirken. Und gerade das ist für viele entscheidend. Außerdem bekommen die Künstler dadurch wahrscheinlich ein gewisses Machtgefühl – und das leben sie dann auch aus.
Klingt naiv.
Ist es auch. Aber die Mitglieder solcher Syndikate üben auf viele eine gewisse Anziehung aus. Mitunter sind sie muskelbepackt, dealen oder schüchtern Leute ein. Ihr Leben scheint dadurch wie ein Actionfilm, bei dem die Rapper mitwirken wollen. Allerdings ist es kein Film, sondern bittere Realität. Sie sind bewaffnet, verkaufen Drogen und Schlimmeres. Läuft es mal nicht nach ihrer Nase, kann so eine Zusammenarbeit ordentlich nach hinten losgehen.
Wieso übersehen die Rapper das?
Schwer zu sagen. Vielleicht trifft man sich auf einer Party, lernt jemanden kennen. Die Person ist nett, haut vielleicht mal einen lustigen Spruch raus. Eben sympathisch. Entsprechend verbringt man etwas mehr Zeit mit diesem Menschen und erlebt noch ein paar Dinge zusammen. Dadurch kommt schnell das Gefühl auf, dass man mit dieser Person befreundet ist. Doch das ist trügerisch. Denn dieser scheinbar sympathischen Person geht es nicht um Freundschaft, sondern darum, wie sie von einem profitieren kann.
Wie kann man sich aus solchen Verbindungen lösen?
Für die Künstler ist das schwierig. Eine Verbrecherorganisation ist schließlich kein Label. Da gibt es keine Verträge, aus denen man sich eben herausklagen kann. Für die Leute dort gelten andere Gesetze.
Manche Rapper wechseln ja auch offenbar die Clans, mit denen sie zusammenarbeiten. Ist das der einzige Weg, aus solchen Kooperationen rauszukommen, ohne die Polizei einzuschalten?
Aus meiner Sicht: ja. Wieso sollten solche Strukturen auch freiwillig von ihrem Goldesel ablassen. Niemals würde beispielsweise ein Clanführer sagen: "Wir haben jetzt so viel Geld miteinander verdient. Wenn du magst, kannst du weiterziehen." Wir sprechen immer noch von Mafiastrukturen. Das ist gröbster Raubtierkapitalismus. Die interessiert es nicht, wie viel Geld du schon für sie gemacht hast – die wollen immer mehr. Außerdem ist jemanden gehen zu lassen in dieser Welt ein Zeichen von Schwäche. Kann sich ein Syndikat von einem Rapper trennen, dann vielleicht auch von einem Wettbüro oder einem anderen Geschäftszweig.
Der Hip-Hop-Szene tun sie damit keinen Gefallen…
Aber das ist den kriminellen Clans egal. Denen geht es nicht um die Fans oder die Künstler, geschweige denn um die Hip-Hop-Kultur. Die interessieren sich nur fürs Geld.