Andere Länder in Europa haben schon ganz locker gelassen, Deutschland zögert noch ein bisschen: Eigentlich sollten spätestens ab 2. April auch hier sämtliche Corona-Regeln wegfallen. Ein sogenannter "Basisschutz" sollte greifen und Maskenpflicht, Zugangsbeschränkungen und andere Maßnahmen ersetzen.
Einige Bundesländer wie Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern kündigten bereits an, über die Hotspot-Regelung die Eindämmungsregeln erst Ende April zu lockern. Eugen Brysch, Vorstand der Stiftung Patientenschutz, kritisierte gegenüber dem Nachrichtenportal t-online vor allem eins: "Was ein Hotspot ist, dafür fehlen objektive Kriterien."
41 Prozent der Deutschen wollen unterdessen laut einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov trotz der Corona-Lockerungen auch weiterhin eine Maske in Innenräumen tragen. Beim Lockern von Corona-Maßnahmen steht aber vor allem ein Thema immer wieder zur Debatte: die Regelung der Quarantäne.
Der Virologe Hendrik Streeck hatte in einem Interview mit watson schon vor Wochen die Verkürzung der gesetzlichen Quarantänezeit gefordert: "Wir müssen dahin kommen, dass wir Abstand nehmen von den starren Quarantäne- und Isolierungsregeln." Er ist der Meinung, "Durchseuchung ist etwas, das wir nicht vermeiden können."
Und auch Andreas Gassen, Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, fordert den Wegfall der Quarantäne für positiv Getestete ohne Symptome. Grund dafür ist der massive Personalausfall durch Omikron, der auch die Krankenhäuser trifft. Schnelle und enorm viele Ansteckungen sowie glücklicherweise meistens leichtere Erkrankungsverläufe prägten die Omikron-Variante, sagte Gassen diese Woche.
Nun schlugen am Mittwoch plötzlich auch das Bundesgesundheitsministerium und das Robert Koch-Institut (RKI) vor, die Dauer der Quarantäne bei einer Corona-Infektion auf fünf Tage zu verkürzen. Bisher gelten zehn Tage als Regel, die Quarantäne kann mit einem negativen Test frühestens nach sieben Tagen beendet werden. Empfohlen wird nun, stattdessen freiwillig Kontakte zu reduzieren und – beginnend nach fünf Tagen – wiederholt Tests oder Selbsttests zu machen.
Der Epidemiologe Markus Scholz, Professor am Institut für Medizinische Informatik, Statistik und Epidemiologie an der Universität Leipzig, warnt aber hierzulande angesichts sehr hoher Inzidenzen noch zu Vorsicht: Die Infektionszahlen müssten eingebremst werden, "da kritische Infrastrukturen nur eingeschränkt funktionieren, die Krankenhäuser überlastet sind und die Gesundheitsversorgung eingeschränkt ist."
Scholz positioniert sich auf Nachfrage von watson klar gegen die kommenden Lockerungen in Deutschland: "Ich sehe die aktuelle weitgehende Rücknahme aller Maßnahmen sehr kritisch. Wir können zur Normalität zurückkehren, wenn die Inzidenzen deutlich niedriger sind." Zudem müsse man sich auf eine neue Welle im Herbst gut vorbereiten, beispielsweise durch rechtzeitige Auffrischungsimpfungen der Risikogruppen. "Eine Erhöhung der Impfquote würde uns zudem einen schnelleren Ausweg aus der Pandemie ermöglichen."
In mehreren Nachbarländern Deutschlands wurden die Coronaregeln bereits fast komplett aufgegeben. Vor allem die Quarantänepflicht wird gelockert: Seit Montag wird eine Corona-Infektion in Spanien wie eine "normale" Krankheit, ähnlich einer Grippe behandelt – weder ein Test noch häusliche Isolation sind bei einer Infektion dann noch Pflicht.
Spanien, das gerade am Anfang der Pandemie besonders hart getroffen wurde, kann sich das offenbar leisten: Das Land steht mit einer Quote von 84 Prozent vollständig Geimpften sehr gut da. 52 Prozent haben bereits eine Auffrischungsimpfung erhalten. Zwar steigt die 7-Tages-Inzidenz derzeit leicht, ist aber nach einer Spitze Mitte Januar weiterhin niedrig. Und auch die Krankenhauseinweisungen und ITS-Belegungen sind vergleichsweise gering.
Ein Beweggrund für die Lockerungen in Spanien mag neben den massiven Personalausfällen wegen der alten Quarantäneregelung auch die bevorstehende Urlaubssaison sein: In den letzten Jahren mussten zahlreiche Touristen in Quarantänehotels ausharren und durften ihr Zimmer nicht verlassen. Dieses Jahr wird schon den Osterurlaub in Spanien und vor allem auf der deutschen Lieblingsinsel Mallorca weder eine Quarantäne noch die Testpflicht trüben. Nur die Maskenpflicht in öffentlichen Innenräumen sowie in Bussen, Bahnen und Flugzeugen bleibt von den einstigen Regeln übrig.
Auch die in Spanien üblichen Massentestungen entfallen künftig: Laut Regierungsankündigung sollen nur noch schwere Fälle getestet werden. Der Epidemiologe Dr. Markus Scholz ist über den spanischen Weg nicht erfreut: "Für die Beobachtung und Bewertung der Pandemiedynamik ist dies natürlich ungünstig", sagt er watson.
Auch in Polen sind die Masken- und Quarantänepflicht seit diesem Montag außer Kraft. Es reiche, wenn Corona-Infizierte mit einer Krankschreibung zuhause blieben, teilte Gesundheitsminister Adam Niedzielski vergangene Woche in Warschau mit. Zur Begründung der Lockerungen sagte der Minister, seit zwei Wochen beobachte man einen Rückgang der Neuinfektionen, dieser Trend habe sich in den vergangenen Tagen noch verstärkt.
Ein Mund-Nasen-Schutz muss künftig nur noch in medizinischen Einrichtungen wie Krankenhäusern oder Apotheken getragen werden, sagte der Gesundheitsminister. Er empfahl jedoch, bei größeren Menschen-Ansammlungen weiterhin eine Maske zu tragen.
Polens Impfquote ist bei weitem nicht so gut wie in Spanien. Vollständig geimpft sind knapp 60 Prozent der Bürgerinnen und Bürger, eine Auffrischung haben knapp 30 Prozent erhalten. Gerade angesichts von 1,3 Millionen ukrainischen Geflüchteten und einem Krieg im Nachbarland erscheint dieser Schritt möglicherweise gewagt.
Der Epidemiologe Markus Scholz beruhigt jedoch mit einer vorsichtigen Entwarnung bezüglich der Lockerungen in Polen und Spanien:
Der Blick in diejenigen Länder, die bereits den Weg der Lockerungen genommen haben, ist beruhigend. Weder in Dänemark noch in Schweden kam es seit den Lockerungen im Februar zu nennenswerten Anstiegen der Corona-Inzidenzen, allerdings wird auch weniger getestet.
In Dänemark fiel am heutigen Dienstag sogar die letzte Corona-Beschränkung: Dort gilt nun auch keine Testpflicht mehr für ungeimpfte Einreisende.
Dafür wurde in dort ein starker Anstieg der Todeszahlen beobachtet, der allerdings kein Grund zur Sorge ist, sondern eher eine Ungenauigkeit der Berechnung. Denn in Dänemark werden alle Todesfälle als Corona-Todesfälle gezählt, bei denen innerhalb von 30 Tagen vor dem Todesdatum ein positiver PCR-Test vorliegt. Somit laufen auch Todesfälle mit in die Statistik ein, bei denen Covid-19 nicht die Todesursache ist.
"Es ist zwar richtig, dass immer noch Menschen an Covid-19 sterben", schreibt die dänische Infektionsschutzbehörde Statens Serum Institut (SSI) in einer Stellungnahme, "aber da die Omikron-Variante eine geringere Sterblichkeit verursacht als frühere Varianten, stirbt eine zunehmende Zahl 'mit' Covid-19 und nicht 'an' Covid-19."
Nur in Großbritannien stiegen die Infektionszahlen nach dem Ende der Quarantänepflicht Ende Februar zuletzt wieder steil an. Den Unterschied zu den nordischen Ländern mit gleichbleibend niedrigen Infektionszahlen, erklärt Scholz mit der ansteckenderen Omikron BA.2 Variante:
Seit einigen Tagen jedoch wieder fällt die britische Kurve wieder. Die Impfquote in Großbritannien ist etwas niedriger als in Deutschland, vollständig geimpft sind auf der Insel fast 73 Prozent, eine Auffrischung haben 58 Prozent erhalten.
Dass es Polen und Spanien nach dem Wegfall der Quarantänepflicht ähnlich ergehen könnte wie wie Großbritannien, schließt Epidemiologe Scholz nicht aus: "Das ist durchaus möglich. Die Quarantäne ist ein entscheidendes Mittel im Kampf gegen die Pandemie. Dieses sollte neben der Maskenpflicht in Innenräumen zuletzt und nur bei niedrigen Inzidenzen wegfallen."
Ist der Blick in die Nachbarländer also ein Blick in unsere Zukunft? Können auch wir uns bald erlauben, die Corona-Krise wie eine normale Grippe zu behandeln? Es scheint möglich. Ob es aber auch vernünftig ist, wird sich zeigen – spätestens im Herbst oder Winter.
(mit Material der dpa)