Mit Sorge betrachten viele Menschen in Deutschland gerade die sprunghaft ansteigenden Corona-Infektionszahlen.
Dabei gibt es in Deutschland deutliche regionale Unterschiede. Die Kreise mit den höchsten Werten, der Ilm-Kreis in Thüringen und Dithmarschen in Schleswig-Holstein weisen Inzidenzen von 891 beziehungsweise 637 auf. Die Kreise mit den niedrigsten Werten, Wittmund und Goslar in Niedersachsen, verzeichnen dagegen Inzidenzen von 71 beziehungsweise 82. Durch den Meldeverzug über die Feiertage wurden jedoch wohl noch nicht alle Corona-Infektionen erfasst.
Noch deutlicher sind die Unterschiede europaweit. Während Zypern gerade eine Inzidenz von fast 2800 Corona-Fällen pro 100.000 Einwohner vorweist, liegt Deutschland mit seinen knapp 240 Fällen noch eher am unteren Ende der Tabelle – wobei derzeit eben bedacht werden muss, dass die Zahlen in Deutschland "nur ein unvollständiges Bild der epidemiologischen Lage" abbilden könnten, so das RKI.
So sieht es momentan in einigen europäischen Ländern aus:
Im Nachbarland Frankreich sind 78 Prozent der Bevölkerung einmal geimpft, 73 Prozent der Franzosen haben bereits zwei Impfungen erhalten. Trotz dieser für westeuropäische Verhältnisse durchschnittlichen Impfquote ist die Inzidenz vergleichsweise sehr hoch: Am 4. Januar lag sie bei über 1700 Corona-Erkrankungen pro 100.000 Einwohner. Seit dem 19. Dezember warnt das Auswärtige Amt vor Reisen nach Frankreich und stuft es als Hochrisikogebiet ein. Anders als in Deutschland
Trotz relativ hoher Infektionszahlen sollen in Frankreich wie auch in Großbritannien die Quarantänezeiten verkürzt werden, um die gesellschaftlichen Strukturen zu schützen. So soll man sich nach sieben Tagen freitesten können.
Unser Nachbarland im Norden ist bereits seit dem 21. Dezember als Hochrisikogebiet eingestuft. Mittlerweile weist Dänemark eine der höchsten Inzidenzen in ganz Europa auf: Am 3. Januar liegt sie bei 2514. Dabei sind 78 Prozent der Dänen bereits vollständig geimpft und mehr als 82 Prozent haben bereits die erste Impfdosis erhalten.
Im Sommer 2021 kamen vor allem positive Nachrichten aus dem skandinavischen Land: Das Coronavirus schien so weit eingedämmt, dass bei Konzerten und anderen Veranstaltungen keine Masken mehr getragen werden mussten. Doch im Spätherbst erwischte es Dänemark dann auch aufgrund der neuen Omikron-Variante heftig.
In unserem Nachbarland Österreich ist die aktuelle Lage ähnlich der in Deutschland. Die 7-Tage-Inzidenz liegt am 4. Januar noch bei "nur" 251. Die Impfquote in Österreich ist allerdings auch sehr niedrig: Lediglich 71 Prozent der österreichischen Bevölkerung sind vollständig geimpft und 73 Prozent haben ihre Erstimpfung erhalten. Das Auswärtige Amt hat Österreich nicht als Hochrisikogebiet eingeschätzt.
Noch Ende November 2021 hatte die Inzidenz in Österreich noch bei ungefähr 1000 gelegen, nach einem allgemeinen bundesweiten Lockdown Ende November bis Mitte Dezember hatte sich die Lage im Land jedoch wieder stabilisiert. Es bleibt abzuwarten, welchen Einfluss der Skitourismus auf die Infektionszahlen haben wird. Besonders im Bundesland Tirol, in dem sich viele Wintersportorte befinden, liegt die Inzidenz mit 430 Corona-Fällen pro 100.000 Einwohner deutlich über dem Bundesdurchschnitt.
In Spanien ist die Inzidenz ebenfalls auf einem hohen Stand und steigt stetig, am 4. Januar liegt sie bei 1572. Seit dem 25. Dezember gilt das bei Deutschen beliebte Urlaubsland als Hochrisikogebiet – inklusive der Inselgruppen der Kanaren und der Balearen. Dabei ist die Impfquote eine der höchsten in Europa: 81 Prozent der Spanier sind vollständig geimpft und knapp 85 Prozent haben auch bereits ihre zweite Impfung erhalten.
Seit dem 5. Dezember gilt unser Nachbarland im Süden als Hochrisikogebiet. Denn: Auch hier hat die Omikron-Variante die Infektionszahlen in die Höhe schießen lassen. Am 4. Januar liegt die Inzidenz bei 1233. Die Impfquote in der Schweiz liegt jedoch auch deutlich unter der von anderen europäischen Länder. Lediglich 66 Prozent der Schweizer sind vollständig geimpft und 68 Prozent der Bevölkerung hat mindestens eine Impfung erhalten.
Die Gründe der geringen Impfquote in der Schweiz sind nicht bekannt. Nach einer gut angelaufenen Impfkampagne Anfang 2021 flachte die Kurve sehr schnell ab und eine "Impfmüdigkeit" stellte sich ein. Immer wieder wurde im öffentlichen Diskurs ein Zusammenhang zwischen der Popularität von anthroposophischen und esoterischen Ansichten und der Ablehnung von Impfungen gezogen. Auch der ausgeprägtere Föderalismus in den deutschsprachigen Ländern gilt teils als Ursache für schwache Impfquoten.
Italien ist der aktuellste Neuzugang bei den Hochrisikogebieten: Seit dem 1. Januar wird es vom Auswärtigen Amt als solches eingestuft. Auch hier steigen die Infektionszahlen derzeit rasant. Am 4. Januar liegt die 7-Tage-Inzidenz bei 1189. Dabei ist auch in Italien die Impfquote vergleichbar hoch: Bereits über 80 Prozent der Bürger haben mindestens eine Impfdosis erhalten, rund 74 Prozent gelten als vollständig geimpft. Mehr als 33 Prozent der italienischen Bevölkerung haben bereits eine dritte Auffrischungsimpfung bekommen.
In Großbritannien ist die 7-Tage-Inzidenz ebenfalls vergleichsweise hoch: Am 3. Januar liegt sie bei 1976 Corona-Fällen pro 100.000 Einwohner. Die mittlerweile vorherrschende Omikron-Variante des Corona-Virus war im Vergleich zu anderen europäischen Ländern früh im Königreich aufgetreten. Und obwohl die Infektionszahlen nach wie vor steigen, wurde im Land nun die Quarantänezeit verkürzt. Betrug sie zuvor zwei Wochen, wie im Moment auch noch in Deutschland, wurde sie dergestalt verkürzt, dass man sich nach einer Woche freitesten kann.
Nach sechs Tagen kann man einen PCR- oder Antigentest machen und fällt dieser und ein weiterer Test am nächsten Tag negativ aus, wird die Quarantäne aufgehoben. 77 Prozent der Bürger sind mindestens einmal geimpft und 70 Prozent zweimal. Bei den Booster-Impfungen ist das Vereinigte Königreich im europäischen Vergleich besonders schnell: Bereits 50 Prozent der Bevölkerung hat mittlerweile eine Auffrischungsimpfung erhalten. Das Vereinigte Königreich gilt beim Auswärtigen Amt nicht als Hochrisikogebiet.
Sind die verhältnismäßig niedrigen Inzidenzen in Deutschland mit dem Corona-Management der Bundesregierung zu erklären oder ist die Omikron-Welle in den anderen europäischen Staaten lediglich bereits weiter fortgeschritten? Und was muss jetzt passieren, damit die Infektionszahlen nicht so sprunghaft ansteigen wie in anderen Ländern? Watson hat zwei Experten gefragt.
In anderen Ländern wie Frankreich und Großbritannien wurde die Quarantänezeit von zwei auf eine Woche verkürzt. Der Epidemiologe Markus Scholz sieht die Begründung dafür in der kürzeren Inkubationszeit der Omikron-Variante, also dem Zeitraum zwischen der Ansteckung mit dem Virus und dem Ausbruch der Krankheit Covid-19. Für Deutschland findet er diese Maßnahme auch sinnvoll:
Der Epidemiologe Timo Ulrichs, Professor an der Berliner Akkon-Hochschule für Humanwissenschaften, sieht eine verkürzte Quarantäne hingegen kritisch:
Die bekannten Hygienemaßnahmen sollten das Mittel sein, mit der die "unvermeidliche Durchseuchung durch die Omikron-Variante" zeitlich getreckt werden kann, erklärt Ulrichs weiter.
Epidemiologe Scholz führt gegenüber watson aus, dass er im Laufe des Januars mit weiteren Einschränkungen rechne. Der Teil-Lockdown verlangsame zwar die Ausbreitung der Omikron-Variante, könne sie aber nicht stoppen.
Epidemiologe Ulrichs bewertet die aktuellen Maßnahmen in Deutschland als "sehr sinnvoll" und plädiert dafür, dass diese "unbedingt umgesetzt werden sollten".
"Eher schlecht", sagt Scholz klar. Dazu führt der Experte mehrere Gründe an. Die Kontaktnachverfolgung bei den Gesundheitsämtern sei ineffizient, sodass die Datenlage nicht verlässlich sei. Zudem seien die Maßnahmen zur Kontaktbeschränkung nur "eingeschränkt nachvollziehbar beziehungsweise nur teilweise wissenschaftlich begründet." Er kritisiert:
Besonders die Regelung von Alltagssituationen findet Scholz teilweise "unlogisch":
Besonders kritisiert Scholz, dass Geboosterten praktisch keine zusätzlichen Freiheiten eingeräumt würden. Dies erhöhe nicht die Motivation zum Impfen. Negativ bewertet er außerdem, dass Kinder und Jugendliche bei der Pandemiebekämpfung außer Acht gelassen wurden.
Scholz sagt:
Timo Ulrichs schätzt die Situation vorsichtig positiv ein: "Wir stehen ja noch ganz am Anfang, haben aber den Vorteil, dass wir beobachten können, wie die Omikron-Welle in den Nachbarländern verläuft, die uns Tage bis wenige Wochen voraus sind." Daraufhin könne man die Maßnahmen in Deutschland dann anpassen. Weiter führt er aus: