Nach fast sechs Monaten ohne Einkommen hatten die Prostituierten der weltbekannten Herbertstraße gehofft, am kommenden Dienstag wieder arbeiten zu können – doch daraus wird nichts. Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) nahm die geplante Lockerung wieder zurück, zunächst bis zum 30. November. Und das macht den Hamburger Kiez richtig sauer.
"Wir sind enttäuscht, wütend, verzweifelt, traurig und fassungslos", sagt uns Hanna, die in der Herbertstraße arbeitet, im watson-Gespräch. Sie ist Teil des "Sexy Aufstands Reeperbahn" und hatte zusammen mit ihren Kolleginnen in den letzten Wochen mit Hygienekonzepten und einem Tag der offenen Tür um die Öffnung der Bordelle geworben.
Von der jetzigen Entscheidung ist sie mehr als überrascht. Sie erzählt uns, dass erst vergangene Woche der Amtsarzt zusammen mit dem Bezirksamtsleiter vorbeigekommen war und alle optimistisch klangen. "Am Donnerstag sah es noch so aus, als ob die Herbert- und Davidstraße zum 1. September geöffnet werden!"
Die Vorbereitungen liefen, auch weil die Fallzahlen in Hamburg niedrig waren. Doch dann der Umschwung. Während Tschentscher am Dienstag weitere Lockerungen verkündete, so zum Beispiel im Mannschaftssport, für Saunen und Büffets, bleibt die Prostitution weiter verboten. "Diese Pressekonferenz war für alle eine schallende Ohrfeige, da die Entscheidung nichts mehr mit der Pandemiebekämpfung zu tun hat", sagt Hanna weiter.
Schon in den letzten Wochen hatten einige Politiker sich gegen eine Öffnung der Bordelle ausgesprochen. Das Risiko sei zu groß, dass es dort während der Dienstleistungen zu Corona-Infektionen kommen könnte und Kontaktdaten der Kunden aus Diskretionsgründen zu schlecht erfasst würden. Die Branche reagierte, wollte ihre Kunden unter anderem durch gescannte QR-Codes am Bordell-Eingang erfassen und Sex nur mit Mundnaseschutz anbieten, lud Politiker zu sich ein. "Aufrichtig, ehrlich und transparent" hätten sie sich verhalten, sagt Hanna. Genützt hat es nichts.
Sozialsenatorin Melanie Leonhard hatte am Dienstag erklärt, der Senat habe sich intensiv mit dem Thema befasst, sie würden "die gegenwärtige Infektionslage gerne noch eine Weile beobachten wollen, bevor wir hier zu einer Öffnung kommen." Außerdem wolle Hamburg zuerst mit den Nachbarbundesländern sprechen, um eine einheitliche Regelung in Sachen Prostitution zu finden. So sollen auch "Ausweichbewegungen" verhindert werden.
Die betroffenen Frauen fühlen sich vom Senat hintergangen, wie sie in einem Statement erklären: "Wir sind und waren solidarisch mit Hamburger Mitbürgern, haben weder illegal gearbeitet noch lautstark protestiert. Die Pressekonferenz hat jedoch wieder einmal mehr aufgezeigt, dass wir Menschen am Rande der Gesellschaft sind und wohl immer bleiben werden."
Die Stimmung mache Hanna momentan ernsthaft Sorgen, erzählt sie uns: "Ich selbst befürchte, dass die Reeperbahn jetzt brodelt... Noch drei weitere Monate werden viele Prostituierte finanziell nicht mehr durchhalten. Ich habe gestern viele Tränen und Ängste gesehen." Einige ihrer Kolleginnen stünden kurz vor der Obdachlosigkeit, andere leben schon seit Monaten von den Ersparnissen für die Rente. Hanna: "Ich befürchte, dass nun viele Frauen ihren Hurenpass (Anm. d. Red: Prostitutions-Erlaubnisschein des Amts) abgeben werden, ihr Gewerbe abmelden und leider unkontrolliert in die Illegalität gehen."
Damit würden die Frauen nicht nur zu Kriminellen, sondern es ergibt sich auch ein pandemisches Problem: Wenn illegal gearbeitet wird, sind Kundenkontakte und Hygieneregeln nicht mehr überprüfbar. Die Entscheidung gegen legale Prostitution sei daher "fahrlässig", findet Hanna.
"Mit welcher Begründung dürfen wir nicht öffnen, aber Saunen und Dampfbäder schon? Das aufgebaute Vertrauen in die Politik vonseiten der Frauen, die sich bis jetzt an alle Regeln der Bundesregierung gehalten haben, wurde mit dieser Entscheidung komplett zerstört", sagt sie weiter. Private Feiern mit bis zu 25 Menschen seien erlaubt, Sex nicht ausgeschlossen. Doch gewerblich dürfe nicht ein einzelner Kunde empfangen werden, für viele der Sexarbeiterinnen hat das mit Logik nichts mehr zu tun.
Zunehmend sei man inzwischen in der Branche überzeugt, dass die Corona-Pandemie genutzt würde, um Prostitution still und leise wieder zu verbieten. "Wir vermissen einen fairen Umgang mit unserer Branche, Gleichberechtigung und Verhältnismäßigkeit", meldet sich der Bundesverband für sexuelle Dienstleistungen zu Wort und fordert: "Schleswig-Holstein, Hamburg, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Brandenburg, Nordrhein-Westfalen, Hessen, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Sachsen-Anhalt – öffnet sofort die Bordelle!"
In den Nachbarländern Holland, Schweiz und Österreich arbeiten die Sexarbeiter übrigens schon seit zwei Monaten wieder. Und auch in einigen deutschen Bundesländern ist Prostitution inzwischen wieder erlaubt. So durften in bayerischen Städten Bordelle am 16. Juli unter gewissen Voraussetzungen (beispielsweise ausschließlich Eins-zu-Eins-Kundenkontakt) wieder öffnen. Auch in Berlin, dem Saarland und Thüringen sind sexuelle Dienstleistungen unter Corona-Schutzmaßnahmen seit Anfang des Monats wieder genehmigt.