Bild: imago/ watson-montage
Liebe & Sex
Küssende Männer, schwuler Sex und gleichgeschlechtliche Liebe – in der russischen Version des Films "Rocketman" über Elton Johns Leben fehlen einige Szenen. Der Popstar verurteilt dies als Zensur. Die Behörden tun zwar unschuldig. Dabei hat das Vorgehen System.
01.06.2019, 19:4311.06.2024, 16:14
Mit dem schwulenfeindlichen Teil Russlands liegt
Popstar Elton John seit Jahren im Clinch. Sogar mit Kremlchef
Wladimir Putin hat er schon wegen der schwierigen Lage für
Homosexuelle im Riesenreich telefoniert. Dass der Weltstar nun
erleben muss, wie der Film "Rocketman" über sein bewegtes Leben in
der russischen Version verstümmelt wurde, ist der vorläufige
Höhepunkt einer seit Jahren laufenden Kampagne gegen den Künstler. Der 72-Jährige spricht von Zensur.
Russische Filmkritiker, die den Film bereits auf dem Filmfestival in
Cannes gesehen haben, wunderten sich jetzt in Moskau bei einer
Vorführung, dass in der russischen Variante Szenen mit schwulem Sex
und Drogenkonsum fehlen. Dabei ist Homosexualität in Russland legal.
So reagiert Elton John:
Menschenrechtler bezeichnen diesen Eingriff in die Kunstfreiheit als
unrechtmäßig. In einer bei Twitter und Facebook veröffentlichten
Stellungnahme verurteilte Elton John das nicht abgesprochene Vorgehen
scharf. Den Film nicht zu zeigen, wie er sei, "das ist tatsächlich
eine traurige Spiegelung einer gespaltenen Welt, in der wir immer
noch leben" – eine Welt, die immer noch auf grausame Weise die Liebe
zwischen zwei Menschen nicht akzeptieren könne.
Elton John hatte bereits 2013 ein umstrittenes russisches Gesetz
gegen "Homopropaganda" verurteilt. Verboten ist demnach eine
lebensbejahende Darstellung gleichgeschlechtlicher Liebe in
Anwesenheit von Kindern. Während solche positive Äußerungen unter
Strafe stehen, bleibt Hetze gegen Schwule ungesühnt. "Rocketman"
läuft am 6. Juni in den russischen Kinos an – mit einer
Altersfreigabe ab 18 Jahren.
Männern in Missionarsstellung rausgeschnitten
Nachdem der russische Vertrieb Central Partnership das
Herausschneiden von Szenen mit russischen Gesetzen begründet hatte,
erinnerten Menschenrechtler daran, dass das Vorgehen nicht legal sei.
Die Organisation Amnesty International verlangte deshalb, den
Streifen in Originallänge von rund zwei Stunden zu zeigen. Demnach
fehlen bisher 20 Minuten. Darunter ist auch eine Bettszene mit
nackten Männern in Missionarsstellung – und am Ende eine Textzeile
samt Foto von John und seinem Ehemann David Furnish mit dem Hinweis,
dass beide ihr Glück gefunden hätten.
Die Filmcrew bei der Premierenfeier.Bild: www.imago-images.de
Dass die beiden gemeinsam Kinder erziehen, ist in Russland ein Tabu.
Gleichgeschlechtliche Ehe oder ein Adoptionsrecht für Homosexuelle
gibt es nicht. Wortführer einer schwulenfeindlichen Atmosphäre ist
vor allem die russisch-orthodoxe Kirche. Patriarch Kirill versteht
Russland sogar als Bollwerk gegen einen drohenden Weltuntergang.
Schuld an dieser Selbstzerstörung hätten Schwule und Lesben, sagte er
einmal.
In einer frischen Umfrage des Meinungsforschungszentrums Lewada
sprach mehr als die Hälfte der Befragten von einer ablehnenden
Einstellung gegenüber Schwulen und Lesben. Ein Drittel würde demnach
komplett die Kontakte mit ihnen abbrechen. 47 Prozent gingen davon
aus, dass Homosexualität nicht naturgegeben, sondern eine Frage der
Erziehung und Lebensumstände sei.
Gesetz gegen "Homopropaganda"
Es gibt zwar Schwulenclubs mit wilden Partys in Moskau und anderen
Großstädten, die den im "Rocketman" gezeigten Szenen in nichts
nachstehen. Aber das Austauschen von Zärtlichkeiten zwischen zwei
Männern auf der Straße kann schnell zu gewaltsamen Übergriffen
führen. Immer wieder in der Kritik steht dabei das Gesetz gegen
"Homopropaganda", das Gewalttäter als eine Art Freibrief sehen, gegen
Homo-, Bi- und Transsexuelle (LGBT) vorzugehen.
Erst in der vergangenen Woche kritisierten die Organisatoren des
achten LGBT-Kinofestivals "Bok o Bok" tägliche Provokationen. Sie
meldeten Angriffe von national-konservativen Gruppierungen,
Bombendrohungen und Blockaden am Kinoeingang. Auch der Europäische
Gerichtshof für Menschenrechte hatte das Gesetz als diskriminierend
und unvereinbar mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung bezeichnet.
Im Fall des Elton-John-Films wies der russische Kulturminister
Wladimir Medinski jeden Zensurvorwurf zurück. Doch Kulturschaffende
sehen ihn seit langem als Drahtzieher einer solchen Politik mit
massiven Eingriffen in die Kunstfreiheit.
Der Regisseur Kirill Serebrennikow, der gerade aus einem langen
Hausarrest entlassen wurde und sich vor Gericht wegen angeblicher
Veruntreuung staatlicher Fördergelder verantworten muss, will schon
seit Jahren einen Film über den Komponisten Peter Tschaikowsky
("Schwanensee") drehen. Medinski hatte die Förderung des Films aber
zurückgezogen, weil Serebrennikow die in Russland tabuisierte private
Seite des Nationalhelden Tschaikowsky (1840-1893) zeigen wollte.
"Das war ein beispielloser Druck seitens des Kulturministeriums auf
mich", sagte Serebrennikow damals der Deutschen Presse-Agentur.
Medinski hatte behauptet, dass Tschaikowskys Homosexualität nicht
erwiesen sei. Dagegen bestätigte Kremlchef Putin dessen Schwulsein.
Zugleich machte er deutlich, dass die Russen ihn ja nicht deshalb
lieben würden.
(ts/dpa)
Seine Homosexualität sollte ihm ausgetrieben werden
Video: watson
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