Seitdem der US-Amerikaner George Floyd am 25. Mai durch vier Cops ums Leben kam, findet das Land keine Ruhe mehr. Während tausende Menschen gegen Polizeibrutalität und Rassismus protestieren, kündigt Präsident Donald Trump ein härteres Durchgreifen gegen die Demonstranten an. Für die amerikanischen Polizisten, deren Credo es eigentlich sein sollte, "zu dienen und zu schützen", wird das zur moralischen Zerreißprobe werden, sagt Oliver von Dobrowolski.
Der 44-jährige Berliner ist seit 22 Jahren im Dienst und erzählt als Vorsitzender der PolizeiGrün e.V. im Protokoll gegenüber watson, warum der Fall George Floyd ihn selbst so bestürzt und warum wir auch in Deutschland mit Rassismus und Racial Profiling zu kämpfen haben.
Klingt nach Klischee, aber ich bin aus Idealismus Polizist geworden. Etwas Gutes tun für die Gesellschaft im Allgemeinen und für Schwächere im Besonderen. Das motiviert mich seit Tag Eins.
Als ich vom Tod von George Floyd gehört habe, war ich sehr bestürzt. Gerade weil der Vorfall in allen fürchterlichen Einzelheiten als Video für jeden zu betrachten war. Den sterbenden George Floyd, den handelnden Polizisten. Hier ist ein Einsatz gründlich schiefgelaufen, begonnen mit der Lageeinschätzung bis hin zu der falschen Fixierung von George Floyd, die zu seinem tragischen Tod geführt hat.
Die Polizei, die sich oft als weltweit solidarische Gemeinschaft betrachtet, wird durch solche fürchterlichen Vorfälle länderübergreifend kritisiert. Ähnliche Vorfälle werden wieder medial diskutiert. Grundsätzlich sind Debatten über Polizeigewalt für die Bürgerrechte gut. Für die Polizei geht damit allerdings ein großer Prestigeschaden einher und das Vertrauen wird beschädigt.
Ich verstehe die Wut der Bevölkerung vollkommen. Und zwar weil diese Vorfälle leider keine Seltenheit in den USA sind. Aus verschiedenen Gründen, meist wegen Ausbildungsmängeln oder Kompetenzdefiziten, werden verschiedene Bevölkerungsgruppen dort häufiger von der Polizei adressiert. Hinzu kommt häufig eine unsensible und überharte Herangehensweise. Viele schwarze Menschen in den USA haben blanke Angst, ohne Grund von der Polizei kriminalisiert, gar getötet zu werden. Aus dieser Angst entsteht nach Vorfällen wie in Minneapolis Wut und Ohnmacht.
Wichtig wäre jetzt, bereits seit Jahrzehnten bestehende tatsächliche Ungleichheiten im Alltag endlich abzubauen. Alltagsrassismus und Diskriminierungen von marginalisierten Gruppen und bestimmter Communities müssen beendet werden. Dies ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Der Impuls muss hierfür aus der Politik kommen. Ein Zusammenwirken mit Bürgerrechtsorganisationen ist unbedingt erforderlich.
Für die teils unfassbare Politik von Präsident Trump und seine Vorgaben gibt es viel Verständnis bei Cops in den USA. Sie fühlen sich von ihm verstanden und geschätzt.
Aber: das Kernanliegen einer Polizei, der Schutz der Bevölkerung – gut im Slogan der US-Polizei formuliert: "To Serve And To Protect" – gerät mehr und mehr ins Hintertreffen. Es entsteht durch politisches Polarisieren und das Hardlinertum von Trump eine Abschottungsmentalität, die zu einer "Die oder wir"-Haltung führen kann.
Entscheidend für die kommende Zeit wird sein, ob sich liberale und weltoffene Kräfte innerhalb der US-Polizei durchsetzen können. Mut macht, dass auch viele Polizistinnen und Polizisten Anteil an den Protesten und dem Gedenken für George Floyd genommen und ein deutliches Zeichen gegen Rassismus gesetzt haben. Nun muss sich zeigen, ob es nur beim Hinknien bleibt oder sich die Behörden auf die Verfassung ihrer Nation besinnen.
Auch in Deutschland gibt es unbestreitbar Probleme mit dem verbotenen Verfahren des Racial Profilings. Das sehen auch Menschenrechtsorganisationen, EU-Institutionen und die Antidiskriminierungsstelle des Bundes so. Betroffen sind vor allem People of Color, die deutlich häufiger in Verkehrsmitteln oder im öffentlichen Raum verdachtsunabhängig kontrolliert und somit stigmatisiert werden.
Übertragen auf andere Communities, zum Beispiel Obdachlose und die Trinkerszene, spricht man von Ethnical Profiling mit denselben tragischen Folgen. Es sind leider häufig erlernte Vorurteile, die nur langsam aus unserer Gesellschaft verschwinden. Wenn nun die Polizei als sichtbarster Arm der staatlichen Exekutive nicht alle Menschen gleichbehandelt, hat dies fatale Folgen für den Rechtsstaat.
Leider gibt es meiner Erfahrung nach auch unter Polizisten Rassismus. Polizei und Militär ziehen traditionell eher wertkonservativere Menschen an, wobei es in einigen Fällen leider zu Ressentiments bis hin zu offenen Antipathien kommen kann, die sich zu Rassismus ausprägen können. Die vielen Berichte aus den letzten zwei, drei Jahren sprechen hierbei Bände.
Es war lange Zeit ein Tabuthema und auch heute ist es – trotz vieler medialer Berichte über Rechtsextremismus in der Polizei und den Lehren aus dem NSU-Terror – kein einfaches Thema. Mehrere Dinge sind wichtig, um eine ungerechte Behandlung durch Beamte zu verhindern: Es fängt an bei der Personalauslese, die noch sorgfältiger werden muss, um sich nicht schon radikalisierte Personen in den Polizeidienst zu holen. In der Ausbildung und ständigen Fortbildung muss darauf geachtet werden, Menschenrechte und die Freiheitsrechte zu betonen.
Ganz wichtig zur Vermeidung einer schleichenden Radikalisierung ist aber auch, dass sich Polizeiangehörige nicht verloren fühlen, zum Beispiel durch Personal- und Ausstattungsmangel, unendlichen Überstunden und selbst empfundener Geringschätzung durch Politik und Gesellschaft. Hier ist eine starke Supervision durch die Dienstbehörden nötig. Wenn die Stimmung zu kippen droht, muss das augenblicklich erkannt und verhindert werden.
Oft ist auch bei Polizeikollegen und -kolleginnen die Meinung zu hören: "Wenn die Steine auf uns schmeißen, müsste man einfach mal zurückwerfen". Das ist absoluter Unfug und zeigt null Verständnis von einem demokratischen Rechtsstaat. Wenn sich Menschen über mich als Polizisten aufregen, laut meckern, dabei unfair sind und nicht differenzieren, dann muss ich das nicht gut finden. Vielleicht kränkt es mich sogar. Aber wenn dies im Rahmen der Meinungsfreiheit legitim geäußert wird, muss ich das tolerieren.
Ich kann sogar versuchen, durch einen Perspektivwechsel die andere Seite nachzuvollziehen. Ich darf jedoch nicht zu gleichen Mitteln greifen. Denn ich repräsentiere den Staat. In dieser Rolle darf ich eben nicht meckern, pöbeln oder frech sein. In der Praxis ist das ein schmaler Grat, auf dem man wandelt. Aber es geht nicht um "Auge um Auge, Zahn um Zahn", sondern um eine kluge und bürgernahe Reaktion. Das ist viel nachhaltiger und führt zu einer Polizei, vor der sich die Menschen nicht fürchten müssen und der sie vertrauen können.
Natürlich fühlen sich viele Menschen nun bestätigt, die die Polizei grundsätzlich ablehnen. Aber Schwarz-Weiß-Denken ist immer problematisch, meist sogar falsch. Es gilt zu bedenken, dass die Polizei eine wichtige Rolle spielt. Und gerade in einer Demokratie muss es darum gehen, liberale, weltoffene und bürgerrechtsfreundliche Elemente zu betonen, statt nur die schlechten Beispiele für allgemeingültig zu erklären. Tatsächlich leistet der überragende Teil der Polizistinnen und Polizisten in unserem Land wichtige und herausragende Arbeit. Sie zu stärken ist auch ein Weg, Selbstreinigungsprozesse in der Polizei zu fördern und Dinge wie Machtmissbrauch und Rechtsextremismus zu bekämpfen.
Ich würde mir für meinen Berufsstand eine Art Kodex wünschen, der nicht eine Abschottung als "Polizeifamilie", die keine Kritik von außen zulässt, zu Grunde liegt, sondern vielmehr die transparente und stets auf den Verfassungswerten beruhende Polizeiarbeit als oberstes Ziel definiert. Polizei ist immer für die Menschen da – Polizei darf nie Selbstzweck sein! Eine gute Polizistin oder ein guter Polizist muss empathisch sein. Die Menschen verstehen, Situationen gut einschätzen können. Und vor allem: gut kommunizieren, verbal und nonverbal.
Meine Botschaft an junge Menschen, die zur Polizei wollen, wäre: Informiert euch über die Vielfalt des Berufs und nutzt dafür alle zugänglichen Quellen, auch die kritischen. Der Polizeiberuf ist nicht die gestreamte Krimiserie. Er ist nah am Leben und am Tod, oft in Randbereichen unserer Gesellschaft. Hierbei nicht in Stereotype zu verfallen, ist die größte Kunst. Nutzt Praktika oder Schnupperangebote und lasst euch in Berufsbildungszentren beraten.
Protokoll: Julia Dombrowsky