Mit Transparenten klebten sich die Aktivistinnen und Aktivisten am Montag auf die Straße des Horner Kreisels in Hamburg. Bild: rtn - radio tele nord / rtn, frank bründel
Meinung
04.02.2022, 15:5106.02.2022, 08:34
Fangen wir mit der guten Nachricht an: Junge Menschen gehen wieder für ihre Überzeugungen auf die Straße. Und nicht nur das: Sie kleben sich sogar darauf.
Nackte Füße, Sekundenkleber und harter Asphalt ergeben eine Protestform, die seit der vergangenen Woche für Schlagzeilen sorgt. Die Protestbewegung "Letzte Generation" pocht damit auf strengeren Klimaschutz. Womit wir bei der etwas schlechteren Nachricht wären: Viele Menschen schütteln über die Aktionen, die ihnen den Weg zur Arbeit, zur Kita oder zur Familie versperren, den Kopf.
Revolutionen, Aufstände und Revolten sind immer vor allem eine Schlacht der Bilder.
Wer sich aus einer Position der Schwäche heraus mit den Mächtigen anlegt, muss sich etwas einfallen lassen, das die ungleichen Machtverhältnisse ausgleicht.
Von Greenpeace lernen
Die Achtundsechziger mussten das lernen und haben in Massenveranstaltungen ihren "Agitprop" – also ihre politischen Botschaften – öffentlichkeitswirksam unter das Volk gebracht.
Die linksextreme Terrororganisation Rote Armee Fraktion (RAF) hat es nie gelernt und versucht, den Gewehrläufen des Staates ihre eigenen Gewehre entgegenzustrecken. Das endete bekanntlich meist im Sarg, im Knast oder auf lebenslanger Flucht.
Greenpeace hat die Kunst der Polit-Propaganda von unten perfektioniert. Mit spektakulären Aktionen gewannen und gewinnen sie die Herzen von Presse und Bevölkerungen weltweit: 2007 transportierten sie einen an der Ostseeküste verendeten Wal vor die japanische Botschaft in Berlin, um gegen Walfang zu protestieren.
Zwei Jahre später besetzten sie die Kuppel eines Kernreaktors des Atomkraftwerks Unterweser im niedersächsischen Stadland und ließen riesige Transparente herabhängen. Auch ein Fußballstadion wurde zu ihrer Bühne. Das war sexy, transportierte klare Botschaften und schränkte nur wenige Menschen direkt ein.
Eine andere Aktion ging hingegen schief: 2021 verlor ein Aktivist bei einer Protestaktion in München die Kontrolle über seinen Gleitschirm, zwei Menschen wurden verletzt.
Aktionsgruppen neueren Datums wie das Zentrum für Politische Schönheit oder das russische feministische Kollektiv Pussy Riot sind wegen teils kontroverser Aktionen zwar nicht "Everbody's Darling", aber sie sind kreativ, kraftvoll und im Sinne der Verbreitung ihrer Botschaften sehr erfolgreich.
Kaum revolutionärer Geist
Nun also kleben sich junge Klimaaktivisten der "letzten Generation", die das Ende der Welt noch aufhalten zu können glaubt, auf Autobahnen. Die dabei produzierten Bilder atmen indes wenig vom revolutionären Geist ihrer ideologischen Vorbilder.
Man sieht genervte Polizisten, die lustlos an den Hosenböden der Aktivistinnen herumfummeln, um diese vom Asphalt zu trennen.
Auch ein Rettungswagen mit eingeschaltetem Martinshorn soll dabei am Durchkommen gehindert worden sein, was die Aktivisten von sich weisen.
Man sieht wütende Autofahrer, deren Weg zur Arbeit durch mutwillig herbeigeführte Umstände blockiert wird, die sich ihnen in der Hitze des Moments kaum erschließen dürften.
Es wird viel gebrüllt
Es kommt zu Handgreiflichkeiten, auf einem Video sieht man, wie ein Mann, der nach eigenen Angaben Schulessen ausfährt, einen Demonstranten schlägt. Allgemein wird viel gebrüllt.
Und hier kommen wir zu einer problematischen Seite der Protestform. So legitim die Anliegen nach einem sauberen Klima und einem vernünftigen Umgang mit Ressourcen auch sind: Jede Revolution muss sich daran messen lassen, ob sie die Köpfe und Herzen der arbeitenden Bevölkerung gewinnt.
Eine Aktivistin wird von der Polizei abgeführt.Bild: rtn - radio tele nord / rtn, frank bründel
"Proletariat", oder "revolutionäres Subjekt", hat man früher dazu mal gesagt. Daran übrigens ist die RAF gescheitert und Greenpeace gewachsen.
Dies scheint der "letzten Generation" gerade ein wenig zu entgleiten. Neben Zustimmung herrscht Kopfschütteln, und das wird zunehmend heftiger, je länger die Autobahn-Aktivisten tun, was sie tun.
Noch haben sie Zeit, zu lernen und sich zu entwickeln. Ein Blick in die Chroniken des Aufstandes, siehe Achtundsechziger, Greenpeace oder das Zentrum für politische Schönheit, täten ihnen dabei gut.